Der Suzuki brauste den steilen Strassengraben hinunter, die Scheinwerfer fielen auf eine staubige schmale Holperstrasse zwischen geschlossenen Vorhöfen. Wir stiegen aus und standen vor einer Häuserfront mit zwei Eingängen. Zeeshan wies mich an, das grosse Tor in den Hof zu benutzen, er ging links mit David durch eine kleine Tür rechts von mir. Es war schon spät, und ziemlich müde begriff ich erst gar nicht, was das denn sollte. Im Innenhof angelangt holte mich Zeeshan wieder ein, der aus dem separaten Raum herauskam. David blieb drin, ihm war das Übertreten der Schwelle in den Hof nicht gestattet. Der Anblick der Frauen in der Familie war ihm verwehrt, man musste ihn im Zimmer aufsuchen, wo er als Gast mit mir logierte. Zeeshan brachte mich zuerst zu seiner Schwester, deren Zimmer gegen den Hof meistens offen war. Ich lernte Muni kennen mit ihrem zweimonatealten Töchterchen Ifra, deren Augen bereits schwarz mit Surma umrandet waren. Sie sprach ein paar Brocken Englisch, was sie damals in Lahore aufgeschnappt hatte, als sie dort Arabisch studiert und noch mit Zeeshan gewohnt hatte. Sie ist Zeeshan wie aus dem Gesicht geschnitten und erinnerte mich an eine Frau aus vielleicht sehr altenZeichnungen, mit grossen dunklen Augen. Wir verstanden uns schnell sehr gut. Ich lernte weitere Frauen kennen, die Schwägerinnen. Die eine war eine zierliche hübsche Frau, die mir aus irgendeinem Grund sehr gefiel und ,vielleicht auch unbegründeterweise, leid tat. Mit ihr habe ich allerdings nie gesprochen, aber sie war häufig in den Frauenrunden auf dem grossen Bett dabei.Sie hat fünf kleine Kinder, die alle ihr Gesicht haben und mit ihrer Mutter in einem Bett schlafen.Der älteste Junge, ein ziemlich frecher, sollte mir die Hand geben, dabei schlug er mir ziemlich fest auf die Hand. Mädchen gebe er sicher nicht die Hand! Aha, gut aufgepasst. 🙂 Er war sehr frech und unberechenbar. Auf Zeeshan schien er allerdings sehr zu hören, der ihn manchmal äusserst barsch, dann wieder liebevoll ansprach. Mir waren die Schwesterchen lieber, vermutlich generell die Frauen, ich werde sagen warum. Die andere Schwägerin, Shaida, hatte Hemmungen mich zu sehen, sie hatte noch nie jemanden aus dem Ausland getroffen. Um ihre Scheu zu brechen, gingen wir zu ihrem Zimmer sie begrüssen. Kam mir eigenartig vor natürlich, dass sich eine junge Frau vor mir genieren kann. “Hello, it’s me, Sarah. You have a beautiful son!” Das stimmt, sie hat einen kleinen erstgeborenen Sohn, ein paar Monate alt, der ein Mündchen hat, als wäre es gezeichnet und Augen, die bereits bestechen. Ihr Mann war sehr stolz auf den Kleinen und trug ihn ständig mit.Dann lernte ich die Schwiegermutter kennen. Ich halte sie für eine strenge Frau, doch ich gewann sie doch lieb für diese paar Tage. Als David weg war mit Zeeshan, sassen wir in unserem Zimmerchen auf dem Bett, und ich zeigte ihnen meine Sachen: was ich sonst so trug, mein Necessaire sogar stiess auf Interesse. Wir sprachen oft mit Gesten und einzelnen Wörtern. Dennoch besprachen wir nebst vielen praktischen Interessen ziemlich brisante Themen. Nach einigem Gelächter und Beraten, stiess Muni die Frage hervor: “But how is you and David married and no baby?”(wir erklärten uns die meiste zeit als verheiratetes paar) Alle guckten mich erwartungsvoll an, wie ich wohl reagieren würde, ob die Frage nicht zu intim sei. Natürlich musste ich lachen, weil es so herzig war diese neugierige Runde um sich zu haben. Auch wenn viele Männer dort immer wieder betonen müssen, wie ungebildet ihre Frauen sind, so lässt sich nicht leugnen, dass es auch ihnen an Fortschrittdenken nicht fehlen kann. Dass diese Frauen kurz gehalten werden, brauche ich kaum zu erwähnen. Ihre Aufgabe besteht angeblich in der ewigen Mutterschaft. Das ein Mensch eine natürliche Intelligenz haben kann, scheinen einige Männer dort nicht zu verstehen, welche in ausgefeiltem Englisch sagen: “Oh, I hope you are fine. They are all very uneducated, they know very little.” Sie setzen Intelligenz mit “studiert haben” gleich, was den meisten Frauen in der Gegend vorbehalten bleibt. Die Männer betonten ihre eigene Ausbildung meist sehr und schienen es oft auf eine Demonstration ihrer Intelligenz anzulegen. Sie waren allesamt sehr freundlich zu mir, gesprächig und interessiert, doch nach ein paar Tagen störte mich langsam dieser männliche Überlegenheitsgedanke, dieses “die Intelligenz gehört uns”. Shaida malte mir in ihrem Zimmer ein Mehndi auf die Hände. Dort waren wir auch wieder eine ganze Gruppe auf dem Bett. Reden über Männer und Hochzeiten. Und so wurde es langsam 2007 und erster Januar, Eid, Zeeshan hatte Geburtstag, doch weder Sylvester noch Geburtstag werden gefeiert. Der Jahresumbruch erfuhr lustigerweise kein Wort der Erwähnung. Nach ein paar Stunden der Trennung :), fiel ich um halb eins David zum Neujahr um den Hals.