March 28, 2005

Ausgang im roten Loewen, vorletzte Woche

Filed under: St. Petersburg 2005 — sarah @ 1:05 pm

Der rote Loewe ist ein irisches Pub. Leider ist die Bedienung da so was von marod, dass ich naechstes Mal gut ueberlege, dahin zu gehen. Die Barfrau bedient nicht,sie hat schlechte Laune, die Kellnerin kommt nicht, sondern plaudert herzlich lang mit einem huebschen Finnen und toetet uns mit eisigem Blick, wenn wir sie rufen.
Eine Viertelstunde stand ich an der leeren Bar fuer ein Bier. Ich war mit Oksana da, sie nuetzte das Gratisangebot Champagner aus, doch mir war nicht so danach.
Dafuer war die Gruppe sehr gut, haben alte Sachen gespielt: Beatles und sogar The shocking Blues!!! Da gab es kein Halten mehr, wir sprengten nach vorne und tanzten den ganzen Abend, und der Rest war laengst vergessen. Es war ein guter Abend. Morgen hat Oksana wieder vor, irgendwohin zu gehen, mal sehen.
Mittlerweile, muss ich sagen, habe ich mich an einige Dinge, die fuer eine Westeuropaerin Unannehmlichkeiten bedeuten koennen, gewoehnt. Das heisst, reg Dich nicht auf, lass Dich von nichts aufhalten, habe Geduld, bleib trotzdem hoeflich.
Es funktioniert recht gut bis jetzt;)
Ja, es beginnt mir hier immer besser zu gefallen, Tatjana wird mir schon sehr lieb, Kirill ist ein ganz toller, erklaert mir ganz viel, die Lehrerinnen am Institut waren genial, sehr pflichtbewusst, ORGANISIERT, zielbewusst.
Petersburg, ich komme wieder!!!

Suche nach Wohnung Nr. 46

Filed under: St. Petersburg 2005 — sarah @ 12:52 pm

Gestern, Ostern, fasste ich den Plan, Tanja Mednina (wenn der Name stimmt) aufzusuchen. Laut alter Adresse wohnt sie in Petersburg, Strasse Rubinstein, Haus Nr.36, Whg Nr.46. Sie beherbergte vor laengerer Zeit Viola und René bei sich, die ihr nun ein Geschenk ueberbringen lassen wollten, und da ich so kleine Auftraege ganz gerne mag… – ging ich da hin.
Das Haus Nr.36 besitzt fuenf Eingaenge, der Grossteil davon befindet sich im Innenhof. Die erste Schwierigkeit ist, dass die meisten Eingaenge kein gewoehnliches Tuerschloss besitzen, das tagsueber geoeffnet ist, sondern ein kleines Schaltpult, wo man einen Hauscode eingeben muss. So ist es auch bei Tatjana. Das hiess, ich wartete, bis irgendwann jmd zufaellig herunterkam, und ich rein konnte. Gestern hatte ich Glueck und kam ueberall rein, doch wo war Whg 46?? Erste Etage, Whg 38, zweite Whg 45 und 56 ??? Welcher Logik bedient man sich hier in Sachen Wohnungsnummerierung? Man stelle sich vor: alte hohe Eingaenge, frueher glaenzende Entrées, heute abblaetternde Waende, die aber noch etwas vom alten Charme ausstrahlen. Ich fing an zu fragen, aber es konnte mir niemand richtig antworten auf meine Frage WO GENAU? Ich sah, dass der Teil unter dem Dachstock voellig ausgebrannt war, und vermutete immer mehr, dass die Whg aufgehoben, abgebrannt, was weiss ich, war, und die Leute umgezogen sind.
Kirill glaubte mir natuerlich nicht 🙂 und beschloss nochmals hinzugehen. Schliesslich fanden wir heraus, dass die Whg in der ersten Etage war, nun aber zum Buero geworden ist, Schlussfolgerung: die Leute sind umgezogen, wohin, das weiss man nicht. Um das herauszufinden braucht man in Russland deren Geburtsdatum, Geburtsort, Buergerschaft, alle DREI Namen.
Schade, die Schokolade haben wir selber zu Ostern gegessen, und die Karte muss ich wieder heimnehmen. Trotzdem find ich, hat sichs irgendwo gelohnt.

Kindergarten, Studentenheim, Kommunalka, Konzert, Roesti

Filed under: St. Petersburg 2005 — sarah @ 12:38 pm

Nun, ich bin zurueck aus dem Kindergarten. Heute waren nur 10 Knirpse da. Haben gesungen heute, etwas barsche Musiklehrerin, waren im Hof (sonnig aber sehr, sehr kalt). Am liebsten fahren sie auf den Plastikplatten/Schlitten die Rutsche herunter, unermuedlich…rauf,runter, rauf. Wenn wir raus wollen, muessen wir immer zuerst auf den Wachmann warten, der schliesst uns dann auf. Jedes Kind sagt waehrend des Hinausgehens nochmals Spasibo (danke), jaja gut erzogen.
Ich habe grosse Teile ausgelassen in letzter Zeit. War mit Nachbarin, deren Mann und Kirill und dessen Kollegin im Kino Turezkij Gambit schauen, Film ueber russisch-tuerkischen Krieg. War teilweise etwas schwierig zu verstehen, doch ich war ja in besten Haenden, und man erklaerte mir alles (im Sinne: “jetzt schnarcht er gerade 😉 )
Danach gingen wir zu Lena nach Hause, die in einer Kommunalka wohnt, das ist die typisch russische Megawohnung, wo bis unendlich viele Leute, Familien etc. zusammen wohnen. In ihrer Whg sind aber nur 4 Leute, das sind ja noch wenige.
Kommunalka zeichnet sich oft auch dadurch aus, dass es an Komfort fehlt. Manchmal gibts kein Bad, oder nur eines fuer 20 etc. Man kann sich’s ja vorstellen, doch etwas Gutes hat es, sagt Tatjana: wenn Dir etwas fehlt, sind immer Leute da. Trotzdem, selbst unter Russen ist die Kommunalka nicht die bevorzugte Wohnmoeglichkeit, doch oft einzige Moeglichkeit.
Ich fands da jedenfall gar nicht ungemuetlich, da in diesem Fall das Noetigste da war, und sie waren auch nur zu viert.
Viele Junge wohnen im Studentenheim, wo es teilweise recht gut ist zu wohnen. Kirill z.B. wohnt in einem, das einer Firma, einem Werk gehoert. Das heisst, ein kleines Bad, ein Zimmer fuer zwei, im 14. Stock.
Ist gemuetlich da, denn er hat sich mit einem Freund eingerichtet.
Oft faellt der Lift aus, dann gehen wir zu Fuss rauf…da gibts nichts.
Halb so wild, man gewoehnt sich daran, dafuer sind die Leute umso wertvoller.
Kirill wohnt unweit meines Kindergartens, so, dass ich abundzu nach ein Uhr bei ihm zum Tee vorbeigehe. Russen lieben Tee!!!
Kuerzlich habe ich Roesti gekocht, war etwas weich, aber ansonsten hats geklappt. Am Dienstag gibts nochmals Roesti bei Tatjana zuhause.
Heute gehe ich ans kubanische Konzert von Buena Vista Social Club, d.h. von Omara Portuondo, bin schon ganz aufgeregt!!
Tatjana hat mir erzaehlt, dass sie frueher am Gornyj Institut viele Kubanische Studenten hatte, es hätte tatsaechlich ein reger Studentenaustausch bestanden. Wobei die Russen wahrscheinlich weniger nach Kuba reisten als Kubaner nach Russland.
Sie hat mir Photos gezeigt, ganze Kisten mit Schwarzweissphotos, mit denen man in die 70-er, 80-er Jahre blickt.
Ich muss sagen, hier erlebt man schon sehr viel Interessantes, trifft spannende Leute.
Und…..: ich fang sogar langsam an das Essen zu moegen! Was ich bestimmt mitbringe sind ca. vier Sorten Brei, Smetana (einmalige Sauersahne),keinen Kohl.

March 25, 2005

Leute kennengelernt

Filed under: St. Petersburg 2005 — sarah @ 3:21 pm

Katja habe ich kennengelernt, die Tochter von Grigorij, der in Zuerich wohnt. Wir haben uns kuerzlich getroffen, gingen ins Dostojewskijmuseum und ins Café.
Sie kommt im April nach Zuerich fuer drei Wochen.
Dann habe ich letzten Montag an einem klassischen Konzert (Beethoven, Sibelius, Mussorgskij) Kirill kennengelernt, der gerade am Gornyj sein Diplom macht. Jetzt bin ich oft mit ihm unterwegs, und er zeigt mir Einiges, z.B. Tschischik-Pizhik, ein kleiner Spatz an der Fontanka (Denkmal), dem man Geld zuwirft, und der Glueck bringt, Medovucha, ein klasse Honiggetraenk… dann lehrt er mich erfolgreich in ein paar russischen Slangausdruecken, ohne die hier die Jugend schwer zu verstehen ist…

Die vierte Woche

Filed under: St. Petersburg 2005 — sarah @ 3:16 pm

Es ist wieder eine ganze Weile her seit dem letzten Eintrag, und es ist sehr viel geschehen. Vermutlich lasse ich einen grossen Teil aus…
Ich habe das Gornyj Institut nun bereits hinter mir, ich habe ein wichtigaussehendes Zertifikat bekommen und besuchte noch den alten Teil des Instituts, denn es ist das aelteste technologische Institut Russlands, von Katharina gegruendet im 18.Jh. Und ich staunte Kloetzchen als ich das Museum sah, d.h. die Mineraliensammlung, die Fossiliensammlung, dort ist alles…Riesige Kristalle aus dem Ural, Jaspis, Bernstein, Malachit etc. endlos viel. Das dient alles zu Studienzwecken. Dann gibts noch eine Abteilung mit Maschinenmodellen. Ich muss hier etwas weiter ausholen. Das Institut heisst Berginstitut, weil da Bergbau, Geologie, Ingenieurwesen, Gas- und Oelfoerderung gelehrt wird. Das heisst ueberall haengen Karten mit spezifischen Angaben zu Bodenschaetzen, Skizzen mit Kohlenschaechten und Bohrmaschinen etc.
Mir hat der Unterricht sehr gefallen.
Am letzten Tag hat mich Igor, ein Lehrer, etwas untersetzt mit rotem Bart und sehr, sehr sympathisch, zum Kindergarten begleitet. An jenem Tag wehte ein kleinerer Schneesturm, und wir fanden ewig den KG nicht. “Der muss hier irgendwo sein, ich war doch schon hier. Es sieht alles gleich aus, v.a im Winter.” Nach einer Weile kamen wir an den richtigen Ort. Im verdunkelten Eingang sass ein Wachmann im daemmrigen Schein eines blauen, romantischen Laempchens und loeste Kreuzwortraetse.
Nein, es sei grad niemand da. Ich solle einfach montags kommen.
Das habe ich dann auch gemacht. Jetzt helfe ich in einer Gruppe von etwa 16 Kindern mit, die so um vier und fuenf Jahre alt sind.
Die Kinder sind allerliebst, und es macht mir Spass hinzugehen. Sie sind sehr neugierig und sehr, sehr plapprig. Es ist also recht lustig mit ihnen. Im Kindergarten geht es aber v.a.um Erziehung, d.h. sie sind den ganzen Tag dort und folgen einem fixen Programm. Manchmal sehe ich vor mir kleine Erwachsene.
Mich erinnert diese Art von Kindergarten an meine Zeit in der École maternelle in Aix-en-Provence. Nach dem Essen alle auf die kleinen Kindertoiletten, zwei Stunden Schlafen, muxmaeuschenstill ueberall, dann am Abend kommen die Eltern die Kinder abholen.

March 17, 2005

Tschechows Kirschgarten

Filed under: St. Petersburg 2005 — sarah @ 3:46 pm

Vorgestern war ich an der Theatervorstellung in einem sehr kleinen einfachen Theater zu Tschechows “Kirschgarten”. Die Buehne war sehr interessant gestaltet, alles sehr andeutungsweise, kleine Miniaturstuehle, um ein Kinderzimmer anzudeuten, Schiebewaende…sehr einfach und schlicht. Das Stueck hat mir gut gefallen, obwohls in dem Theater unheimlich zog, war zml kalt.
Ich moechte nun noch die andern Stuecke von Tschechow sehen, da er auf seine Weise voellig einzigartig ist. Die Stuecke sind immer wieder sehr witzig aber v.a. auf das Ende hin eroeffnet sich eine wahnsinnige Tragik, und man ist zwischen Lachen und Weinen.
Gestern spazierte ich wieder etwas durch die Ermitage, wo ich, wuerde ich hier wohnen, immer hingehen wuerde. Ich schaute mir Rubens aesthetische Fleischberge an, die Antikenausstellung, eine Ausstellung des Ermitagetheaters zu antiken Theatermasken und -gegenstaenden.
Heute ist Ruhetag, bei mir. Ich hatte heute vier Paare, das heisst vier mal 1 1/2 Stunden. Nichts sehnlicher wuenschte ich mir als einen guten Kaffee. War grad in einem Café um die Ecke, klein und nicht unsympathisch, obwohl ein Afroamerikaner auf einer Wandphotographie der einzige ist, der mit seinem Laecheln ein Willkommen verbreitet. Doch der Kaffee war guuuuuuuuuuut!!!
Jetzt geh ich auch gleich heim, da ich schon lange nichts mehr gegessen habe.
Vielleicht gehe ich morgen an ein Konzert in die Oper, mal sehen.
Jedenfalls kommt am 28.Maerz Ibrahim Ferrer nach Petersburg! Wenn ich nur jmd finden wuerde, der mitkommt! Ich muss rumfragen.
So, das war das Fenster nach Russland fuer heute.

Nicht Schwarzmalen

Filed under: St. Petersburg 2005 — sarah @ 3:30 pm

Schwarzmalen muss man nicht. Ich sehe aber, beschoenigen soll man nicht. Hier gibt es viele Seiten, man entdeckt wie in allen Staedten sehr viel. Schrecken und Zauber liegen manchmal nicht weit auseinander. Man kann also seinen Blick nicht nur auf das “zauberhafte, verschneite Petersburg Gogol’s oder Puschkins wenden oder verliebt ueber die goldenen Kuppeln schwaermen, die Nase nur in die geniale Literatur stecken. Um die ewigen Probleme des Alltags kommt man nicht herum.Und es sind eben nicht einfach dieselben Probleme, die wir haben. Die Perspektiven sind hier nicht dieselben.
Petja hat z.B. gesagt, dass er kaum jmd kenne, der den Wunsch habe zu reisen. Er selber wuerde ganz gerne mal verreisen, doch es sei eigentlich kaum ein Thema. Viele nehmen die Gelegenheit wahr per Charterflug in die Tuerkei zu verreisen, was etwas vom guenstigsten ist. Will denn niemand von euch in den Osten reisen, fragte ich. Wenige, also er kenne niemanden, der so was mal gesagt haette. Es koste halt auch viel, daher vielleicht. Doch er faende es wichtig, dass man reise, wenn es irgendwie geht. – Dann kam Oleg herein in die Kueche, in seinem leuchtendgruenen Bademantel. Er mags ganz gerne abends etwas zu schwatzen und Tee zu trinken. “Nun, von was habt ihrs gerade?” – Vom Reisen.
“Ach herrje, man hat doch heute Fernsehen. Moechte ich die Schweiz sehen, zipp – voilà – meine Damen und Herren – die Schweiz.” Petja meinte, dass sei doch wohl nicht dasselbe. Oleg fand, Petersburg biete genug, die Ermitage: von Asien ueber Europa bis Amerika, man koenne dort alle Kunstwerke finden. Griechenland? – Bitte sehr, im griechischen Saal, dritte Tuere links.
Da ich nicht wusste, was ich da erwidern konnte, schwieg ich. Es ist nicht voellig unverstaendlich, was er sagt, denn die Mittel, um eine Reise zu unternehmen sind wirklich so gering, dass das ganze Geld schon fuers Verkehrsmittel draufgeht. Doch zugegeben, das Interesse ist auch gering. Ich weiss nicht, vielleicht ist es geringer geworden, vielleicht entspricht dieser Einstellung auch Resignation.
Ich glaube aber, dass die Traeume meiner Gleichaltrigen nicht diesselben sind, wie ich oder viele meiner Freunde sie in der Schweiz haben.
Fuer gewisse Frauen ist z.B. wichtig, einen Freund oder Mann mit Geld zu haben, und ich denke ehrlich gesagt gar nicht abschaetzig darueber, denn ich glaube hier kann das wirklich entscheidend fuers Leben sein. Bei uns ist das schon anruechig, hier siehts anders aus. Heiraten, gute Arbeit, Kinder, stabiles Leben, das sind so die Wuensche, wenn moeglich irgendwann mal ins Ausland in die Ferien. Im Umfeld, in dem ich jetzt bin, ist das so. Natuerlich ist das nur ein Ausschnitt, und, vielleicht ist dieses Bild von Stabilität auch oft eine Illusion. Es gibt Leute, die sehr reich sind, so, dass es wirklich auffaellt.
Lustig ist, wie die Maedchen, Oksana und Inna fragen: ist das in der Schweiz so? Wahrscheinlich zieht ihr Euch ganz anders an in der Schweiz, oder? Die Rede ist von den Frauen. Nun, eigentlich traegt man hier dasselbe wie bei uns, nur gibt es hier einheitlicheren Stil. Ich sehe wenige weibliche Punks oder Hippies oder Hip-Hopperinnen (oder wie man das richtig schreibt), etc. Die meisten Maedchen sind sehr damenhaft. Hohe Absaetze sind auch bei Eis, so scheint mir, ein “must”. Teils sind die Absaetze schlecht und biegen sich bis zu 45 Grad, aber egal 🙂 Hier besteht jedenfalls keine Angst vor “overdressed”, so, dass ich mir meistens reichlich underdressed vorkomme. In den Museen haengen in den Garderoben, auch in Theatern, grosse Spiegel, damit sich die Frauen nochmals schminken koennen.