February 4, 2008

Neulich im Zug

Filed under: Texte eines irdischen Alltags — sarah @ 8:47 pm

Es war ein Sonntagabend. Ich bestieg am HB Zürich den Schnellzug nach Bern. Ich überlegte etwas länger als sonst, ob ich oben oder unten sitzten sollte und nahm schliesslich neben der Gepäckablage in einem Viererabteil platz. Etwas lustlos nahm ich mein Buch hervor und begann etwas darin zu lesen, als plötzlich drei junge Männer ins Abteil kamen und sich etwas unsicher zu mir setzen und dann doch rücksichtsvoll auf mein und eine anderes Sitzabteil aufteilen wollten. Ich sagte ihnen, sie können ruhig zusammen neben mir sitzen, es würde mich nicht stören. Sie sprachen in einer fremden Sprache. Ich hielt sie für Zentralasiaten, konnte aber ihre Sprache keinem mir dort bekannten Land zuordnen. Zu dieser Zeit dachte ich schon längst nicht mehr an die Zeilen in meinem Buch und klappte es daher auch bald einmal zu. Der, welcher gegenüber von mir sass, las murmelnd einen Text. Er hatte einen pakistanischen Basmatireissack dabei. Das machte mich schmunzeln, weil ich auch mal überlegt hatte den als Tasche zu verwenden. Irgendwann dann müssen wir ins Gespräch gekommen sein. Ich fragte sie, in welcher Sprache sie sich unterhielten. Es sei Farsi, denn sie seien aus dem Iran bzw. einer aus dem türkischen Grenzgebiet zum Iran. Wir unterhielten uns also etwas über den Iran. Ich kenne viele Leute, die kürzlich dort gewesen waren, einschliesslich mein Freund, und interessiere mich generell für diese Region. Ich erzählte, wo ich in letzter Zeit so gewesen bin, dass ich auf dem Rückweg aus Georgien in der Türkei gewesen war. Deshalb fragte ich, von wo der eine genau stamme, ob er in der Nähe von Kars aufgewachsen sei. Eigenartigerweise kannte er Kars nicht, was mich sehr erstaunte, zumal er sich als Kurde ausgab. Dass er nicht wie ein Kurde aussah, schwante mir , aber man gibt sich meistens nicht ungläubig, wenn jemand seine Volkszugehörigkeit verrät. Es kam mir manchmal vor, als ob sie mir geschickt in gewissen Fragen auswichen, gerade dann, wenn ich wissen wollte, wo sie denn studiert hatten und wie die Lage denn früher gewesen war und wie sie heute aussieht. Die Unterhaltung war natürlich an und für sich sehr nett , sonst hätten wir auch gar nicht soviel reden können, denn die Zeit verstrich im Eilzug. Die drei jungen Männer waren sehr sympathisch und v.a. höflich. Offensichtlich weilen sie noch nicht so lange in der Schweiz. Ich schien eine der ersten Personen zu sein, mit denen sie sich ausführlicher unterhielten. Die Unterhaltung war eigentlich nur mit einem der drei in Englisch möglich, und dieser übersetzte jeweils seinen Freunden. Der andere konnte schon etwas Deutsch. Sie waren offensichtlich auch noch etwas unsicher, wie sie sich mit einer Frau unterhalten sollen. Ganz offen meinte einer von ihnen: “Entschuldige, wenn ich dich beim Reden noch nicht anschaue, das ist für uns noch so ungewohnt. Aber ich gebe mir Mühe das zu lernen.” Da musste ich schon ziemlich lachen. Wir kamen auf die momentane politische Lage im Iran zu sprechen, auf Amerika und natürlich Afghanistan und Irak. Als ich Afghanistan sehr bedauerte und vor allem den Untergang einer ganzen Kultur, stellte ich fest, wie alle drei mich gebannt anschauten. Ich fand, es sei traurig, dass Afghanistan oftmals fälschlicherweise mit Terrorismus in Verbindung gebracht und das Land als solches mit seiner ehemals sehr säkulären Kultur beinahe vergessen werde. Der, welcher sich als Kurde ausgegeben hatte, schaute mich an, sagte merkwürdig beherzt: “Bravo, dasselbe fühlen wir auch.” Naja, meinte ich, so würden viele andere Menschen hier eigentlich auch denken. Dann meinte er, sie müssten mir etwas gestehen. Sie hätten mich angelogen. Sie seien gar keine Iraner bzw. Kurden, sondern Afghanen. Natürlich war ich ganz konsterniert. Zuerst musste ich lachen, weil irgendwas bei der ganzen Unterhaltung ja nicht reingepasst und es zuviele Ungereimtheiten gegeben hatte. Dann fragte ich sie, warum sie sich denn als Iraner ausgeben. Als Afghane habe man doch einen eher schlechten Ruf. Erst kürzlich habe man ihn als “Tourist” beschimpft. Ich muss wie ein Fragezeichen im Raum gestanden haben. “Was ist denn in der Schweiz bitteschön schlimm daran Tourist zu sein?” Auf diese Frage schauten sie mich wiederum mit grossen Augen an. Es ging noch eine Weile so hin- und her, bis ich zuguterletzt verstand, was sie mit dem absurden “Touristen” meinten. Terrorist. Ich glaube man wird mir doch hier zustimmen, dass es sich also um einen sehr tumben, sogar vernachlässigbaren Schweizer gehandelt haben muss, welcher ihn aufgrund des “Afghanentums” als Terroristen beschimpfte. Ebenso hoffe ich, dass meine Behauptung, dass viele Schweizer über einen etwas differenzierteren Blick und ein etwas sensibleres Verhalten verfügen, wahr ist. Auch das kann angezweifelt werden. Ich konnte es kaum glauben, dass drei Afghanen vor mir sassen und sich allen Ernstes aus Vorsicht als Iraner ausgaben, weil Farsi ihrer Landessprache Dari ja ganz nahe steht. Ist das wirklich die Möglichkeit? Oder war das auch eine Geschichte? Die Begegnung wirkte dennoch rührend. Sie entschuldigten sich tausendmal dafür, dass sie mir nicht von Anfang an die Wahrheit erzählt hatten. Sie hätten ja nicht ahnen können… und so weiter. Der, welcher sich als Kurde ausgab, war schliesslich ein Hazara, ein Angehöriger einer Minderheitengruppe in Afghanistan. Ich insistierte etwas naiv, dass momentan der Film “The Kite Runner” in den Kinos gezeigt werde, in dem es unter anderem um einen Hazara-Jungen gehe. So quasi: So ganz egal ist uns euer Land auch wieder nicht. Der Name des Buchautoren Khaled Housseini schien in ihm zwar eine Erinnerung zu wecken, doch ich erfuhr nicht mehr, ob er die Geschichte kannte. Wir fuhren in Bern ein.Wir verabschiedeten uns auf dem Bahnsteig. Das war eine kurzweilige Fahrt der unglaublichen Geschichten.

Im Schwimmbad

Filed under: Texte eines irdischen Alltags — sarah @ 7:51 pm

Während der Sommermonate habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, während des Verfassens von Semesterarbeiten oder überhaupt während intensiver Lernphasen ins Freibad zu gehen und meinen Körper im Wasser abstrampeln zu lassen. Dazu hat das an frühen Nachmittagen so stille Wylerbad seine eigene kleine Poesie. Ein feiner Windhauch kräuselt die glatte Wasseroberfläche, welche zwei Rentnerinnen und ich in gleichmässigem Rhythmus schweigend durchpflügen. Danach legt man sich auf den heissen Stein und lässt sich von einer einzelnen Ameise die Wade kitzeln. Immer wieder sieht man dieselben Gesichter, meine Lieblingsdame mit der Taucherbrille, die genüsslich hin- und herplanscht, den Mann, der ausgestreckt am Beckenrand den ganzen Tag der Sonne frönt.?Jetzt im Winter ist es irgendwie anders im gedeckten Hallenbad. Der Chlorgeruch ist etwas streng, und die Hektik im Becken am frühen Abend erinnert an den Abendverkehr. Es ist immer interessant, während des Schwimmens das Geschehen zu beobachten. Ich habe deshalb bis jetzt noch nicht die Schwimmbrille ausprobiert. Da fällt mir immer wieder der Mann in den Mitvierzigern hinter seiner Schachzeitschrift auf. Abundzu scheint er ganz vertieft zu sein in einen Schachzug, später beobachtet er längere Zeit den kräftigen Schwimmzug einer Dame.
An manchen Tagen kommen sogar die Synchronschwimmerinnen, die zu lauter Musik ruckartig und mit angespannten Gliedern ihre Wasserakrobatik im Gleichtakt üben. Ich schwimme in der Bahn für “Kreisschwimmer” und werde immer wieder von zwei tätowierten Wundern überholt, die ganz ergeben wie zwei Fische durchs Wasser tauchen. Obwohl man wesentlich weniger freizeitlichen Charme empfindet als im Freibad, ist das Hallenbad trotzdem nicht nur Sport-, sondern auch ein bisschen Schauplatz.

Ferien in der Schweiz

Filed under: Texte eines irdischen Alltags — sarah @ 7:12 pm

Seit Weihnachten weile ich wieder in unserem Land und mache eigentlich Ferien. Ein bisschen Melancholie hat mich seit meiner Rückkehr aus Georgien immer wieder befallen, denn es liegt auf der Hand, mein Semester beginnt am 18. Februar erst wieder. Somit hatte ich genug Zeit nachzudenken, nötige Literatur zu wälzen, Sprachen zu repetieren und neue Musik zu hören, Filme zu schauen, Zeitung zu lesen, das Büro namens “Schweizer Leben” aufzuräumen. In Georgien durchquerte ich so oft die Stadt, durchfuhr mehrere Räume, landete in kleinen verrauchten Zimmern, suchte eine Türe, fuhr als wärs ans Ende der Welt, steckte eingeklemmt zwischen Einkaufstüten tief im Stau an einem gottvergessenen Ende der Stadt… Hier sitze ich stundenlang am selben Fleck, schau aus meinem Küchenfenster in die Allee. Ich kenne alle Farben des Himmels. Ich warte und dabei lese und lerne ich. Ich warte auf emails, die mir Erfreuliches verkünden, ich warte auf eine Stimme aus dem Telefon “Frau Müller, ja Sie haben die Stelle! Gratuliere!” oder die Anrede “Sehr geehrte Frau Müller, es freut uns Ihnen mitzuteilen, dass Ihr Antrag auf ein Studiendarlehen angenommen wurde”, “ja, du hast die Assistenz an unserem Theater” etc., etc….
Ich stelle Anträge, um Anträge zu stellen und frage mich dabei kaffeetrinkend, wo ich denn da wieder hineingeraten bin, warum es schwierig ist, hier still zu sitzen. Gleichzeitig der Eindruck, dass wahre freie Zeit und das bedeutet wahres Nichtstun, Stillsitzen in diesem Land ganz abwegig wirken. Keiner sitzt einfach nur da und schaut einfach zu. Doch, manchmal sehe ich Männer, die das tun. Sitzen und schauen. Das will ich auch. Mit königlicher Musse einer Marie-Antoinette (vielleicht besser ohne Kaufrausch) will ich mich durch diesen Schweizer Park begeben:  die Allee vor meinem Fenster, stundenlanges Schwimmen im Hallenbad, das Glitzern auf dem Thunersee, und scheinbar befreiende Zugfahrten innerhalb dieses schweizerisch perfekt zurechtgestutzten Versailles.