March 4, 2007

spaziergang zur kahlen lichtung durch einen buchenwald (ein ausflug von erfurt)

Filed under: Texte eines irdischen Alltags — sarah @ 11:32 pm

das wetter verhiess den frühling, als wir mit dem bus von weimar richtung ettersberg fuhren. an einem scheideweg stiegen wir aus und begannen unser hitch-hiking. wir liefen auf einer blutstrasse. rot waren jedoch einzig meine fingernägel, alles andere war grau, die sonne verblasste hinter dichten wolken zu sengendem weiss. es roch nach strasse und feuchtem holz. der wind erhob sich geräuschvoll zwischen den erst knospenden buchen. wir unterhalten uns oder schweigen auch. das schweigen macht empfindungen platz: der geschmack von asphalt, das kratzen von asphalt auf den zähnen, blut, die zunge in einem gewehrlauf…. ein auto hielt. ein etwas älteres ehepaar nahm uns mit. wir überbrückten die strecke von 1933-1939, die blutstrasse. “Jewöihnlisch fahr isch hierher in die Pilz. Man kann hier wunderbor Pilze sammeln. Ansonsten kenn isch mir da gar nisch sou eus, gei Mutter?” das nette paar setzte uns auf der grossen lichtung vor dem ehemaligen kz buchenwald ab. das jugendstilgittertor verspricht “jedem das seine”, geflügelte worte für menschen mit abgeschnittenen flügeln. die eigenen schritte waren zu laut, hörten sich an wie zielgerichtete schritte in schaftstiefeln. die blicke in die zellen machten uns zu spähern. man wollte sich auf eine pritsche setzen, die fotografie von lagerinsasse nummer 0815 umarmen und eine zigarette mit ihr rauchen. ein leerer appellplatz, dahinter noch einige verbliebene anlagen.die desinfektionsanlage, die genickschussanlage. ich vermied die fotografien: before and after: junge landmädchen mit langem dichtem, schwarzen haar, einem verschüchterten blick, junge landmädchen ohne haar, mit nummer, ohne blick, die sich bald wie ihre akten in einer ecke stapelten. ich sah listen und listen über listen, befehlschreiben über befehlsschreiben von befehlshabern von befehlshabern von befehlshabern. eine riesige bürokratie öffnete stöhnend ihre aktenschränke, liess ihre nummern für ein paar augenblicke spielen. menschen tanzten als bunte symbole und zahlen ihren totentanz, ihr name eine zahl, ihre bedeutung ein symbol. flinke seifensaubere hände blättern durch diese listen von listen und verwalten 0815 bis zu seinem kleinsten goldzahn, bis zu seinem letzten getragenen kleid, und sei es die haut, das irgendwohin über irgendeine grenze geschickt wird: “kleidung von insasse 0815. gebraucht.” eine schreibmaschinenzeile schiesst in gotischen lettern: freileiche. ein wort tötet. ein buchstabe hat die kraft einer gewehrkugel. die schreibmaschine – hermes, todesbringerin. wenns denn so sauber ginge… buchenwald führte in die untersten etagen, ins untergeschoss, wo die abstrakten zahlen und symbole form annahmen in tausenden von nackten…  Nie wieder dorthin! – oder vielleicht doch? Um Pilze zu sammeln?

Leave a Reply