Stuendeler Huendeler
Hundeleben in Indien. Ein Leben als Hund. Hunde leben in Indien. In Indien “leben” Hunde. Eine kleine Auslegeordnung zum Thema. In Indien ist ein richtiges Hundeleben moeglich. Mager, zerlaust, rippig, aufgedunsen, von Kraetze befallen sind die schwaecheren, die missmutigeren, die sich winselnd, flehend auf den Boden werfen oder ploetzlich aus mutiger Dummheit irgendwo zubeissen. Die anderen, die etwas staerkeren eben, sind sicher genauso windigen Charakters, doch sie halten sich gut, denn sie sind schlauer. Sie laufen mit Touristen als treue Begleiter mit, lassen sie Sicherheit und Treue spueren, bis sie ein Stueck Fisch bekommen oder dann doch einfach als Schleimer entlarvt und mit dem einheimischen “Hep!” weggejagt werden. Das ist das Hundeblicktraurige: Obwohl sie sich im Rudel so stark fuehlen, und ganze Straende unsicher machen, sucht sich jeglicher Klaeffer irgendwie den Bezug zu einem Menschen. Zurueck zum Wolf, das ist zu spaet. Das koennen sie nicht mehr. Der Mensch ist ihre Gnade. Indische Hunde fristen ein Leben unter absoluter Menschengnade: Sie werden genaehrt, verstossen, verjagt, getreten, gefuettert, beworfen – aber nicht getoetet. Mehrmals jaehrlich bringt die Huendin neue und wieder neue Geschoepfe zur Welt. Es sind samtweiche kleine Welpen, die in den Ressorts von Touristen gepaeppelt, von Kindern gehaetschelt und getaetschelt werden. Man liebt das Leben, solange es jung ist. Wie die Hunde ausgewachsen sind, traegt die Hundemutter bereits die naechste Generation. Ihre Zitzen sind so gross, man meint, man könnte dieses Tier melken wie eine Kuh oder eine Ziege. An jungen Hunden fehlt es nie – ein wahrer Jungbrunnen. Die Alten muessen sich selbst durchzuschlagen wissen. Manche mausern sich zu tatsaechlich treuen Dienern, die den Weg nach Hause zeigen, andere Hunde verscheuchen und ergeben vor der Huette warten. Andere kaempfen sich sonst auf irgendwelche Art an den Menschen vorbei durchs Leben. Sie fahren Schiff, Zug, warten an Bahnhoefen, baden am Strand. Richtige Stuendeler.
Kuerzlich bestieg einer mit uns das Schiff nach Long Island in Rangat. Ein schlanker Hellbrauner mit glattem Fell. Ein angetrunkener Bordmechaniker suchte ihn anfaenglich, vergass ihn im Laufe der Ueberfahrt aber dann. Kurz vor Long Island entdeckte er denselben wieder, als dieser am Bordrand stand und scheinbar irgendwohin aufs Meer hinausschaute. Also schlich er sich heran, und befoerderte den Braunen mit einem kurzen heftigen Tritt ins Wasser. Es waren noch ein paar hundert Meter bis zum Ufer. Der Hund tat nichts anderes als hinter dem Schiff hinterher zu schwimmen. Er folgte deutlich der Fahrspur, den Kopf knapp ueber Wasser und eilig paddelnd. Ich war froh, jaulte er nicht und schwamm irgendwann endlich direkter auf die Insel zu. Er wuerde es schaffen, wussten wir nach ein paar Augenblicken. “Idiot”, zischten wir boese ueber den Mechaniker. Was ist das fuer eine Gnade, aus Prinzip “nie” aber “beinahe” umgebracht zu werden?
Ich stand noch einige Minuten am Pier und hielt nach dem Tier Ausschau. Ich frage mich immer noch, ob ich hinausgeschwommen waere, um es dort rauszuholen, waere es wirklich noetig gewesen. Nun? Waere ich, waere ich nicht? Zum Glueck muss ich das nicht beantworten, denn der Hund lebt jetzt auf Long Island …