What you want?
In Indien wird man viel gefragt. Der suedindische Fragenkatalog ist leider furchtbar monoton und toleriert keinerlei Abweichungen. Ich kann nicht mehr sagen, wie vielen Schulklassen ich geduldig meinen Namen klar und deutlich genannt und brav meine Nationalitaet preisgegeben habe, bis ich mir schon bloed vorkam. Taeglich diese Fragen an Indienreisende. Auch von Erwachsenen: komischerweise dann ganz sachlich kurz und knapp: “Your name? Country?” und dann kehren sie sich um und gehen. Als ob sie Statistik fuehren wuerden, sagt David. Da gibt es nicht mehr zu verstehen und selber fuehlt man sich auch nicht besser verstanden. Das sind die fluechtigen Beruehrungspunkte in Tempelstaetten, Museen und Parks. Ich frage mich, ob wir vielleicht sowas wie eine Freizeitattraktion sind. Den ganz Kleinen wird schon gesagt, “komm geh hin und sag Hi, what is your name. Geh schon, los, los.” Und die kleinen schuechternen Toddler wackeln mit Windelbeinchen auf die gutmuetigen laechelnden Clowns zu, strecken ihr mit Reifen geschmuecktes Aermchen aus, reichen uns das weiche Haendchen zur Frage … What you want? Zweifelsohne eine der letzteren Fragen, die man in Indien zu hoeren bekommt in der Reihe: What’s your (good) name? Coming which country? Die Frage, danach, was man will, bewegt sich meistens auch in einer gewissen Skala oder einer Ansammlung von (wahren/falschen) Alternativen. In dem Teeplantagenstaedtchen Kumily fragten wir nach moeglichen Touren durch den Nationalpark. Die Dame im Office klappte daraufhin einen Prospekt auf, tippte mit dem Kugelschreiber kurz auf die Bilder und sagte: “This, this and this we have, this one not. What you want?” Eine Glacekarte. Man kann sich nicht ganz zwischen Erdbeer und Vanille entscheiden. Vielleicht kann man etwas kombinieren? “No, no. Fix price.” Grenzen von Kommunikations- und Kombinationsmoeglichkeiten – das wird zur spielerischen Herausforderung. Ein vergnuegter aelterer Wirt fragt uns in einem der typischen “100% Pure Veg-Restaurants”: “Coppee (Coffee), Milktea, Tea?” Wir entscheiden uns unisono fuer “Milktea” und bestaetigen nickend. Er guckt etwas lustig, wackelt mit dem Kopf und verschwindet in der Kueche. Nach fuenf Minuten bekommen wir eine heisse Tasse Milch. Daraufhin schaut uns der Mann ganz pruefend an, im Sinne von “Was sagen sie jetzt?” Nach einem sehr langen heissen Tag mit Wandern, Tempeln anschauen und Busfahren, war ich derart muede, dass ich von zuerst kicherte und dann laut lachte und ich mich kaum beruhigen konnte. Der Mann fing auch zahnlos an zu lachen, wackelte mit dem Kopf und schlurfte gemuetlich zurueck in die Kueche. Die Milch schmeckte sehr gut.
Die Frage “What you want” ist der Ausgangspunkt fuer ein Geschaeft.
Ich moechte eine Limca, eine suesse Limonade in der Flasche, ein Masala Dosa, einen Lime Juice, einen Sappotha Shake, einen neuen Shalwar Kameez, ein Zimmer unter 500 Rupees, ein Reliance USB Modem, zu dem oder jenem Tempel fahren, mich waegen im Restaurant, Yoga machen, einen Liter Wasser, in die Natur raus, meditieren, Martini Dry, auf die naechstbeste Toilette, das Ramayana lesen, einen Zug nach irgendwo.
Hinter der merkantilen Frage laechelt es mir hie und da ganz unverbluemt entegegen “Was willst du hier eigentlich?” Jeden Tag ein vielbevoelkerter Film, quasi ab Breitband. Er spult sich vor meinem Auge ab und ich soll da irgendwo drin mitspielen. Staubiger Landschaftsfilm in toenernen Farben im Busfenster, hingegen farbenstarke Momentaufnahmen mit Tiefe auf Stadtspaziergaengen ohne Ziel. Fokus auf die Hand der Frau, die den Jasmin zu langen Haarschlangen bindet, auf den braunen faltigen Ruecken einer pilgernden Greisin, auf das heilige Tempelinnere, den Shiva Lingam, auf das dritte rote Auge auf der Stirn oberhalb eines eindringlichen Blicks. Blick auf Oberflaechen: Wandstrukturen, Saris aus Seide und Baumwolle, goldene Borduren, meterlange schwarze Zoepfe, rissige Fuesse, weisse Kraegen, pinkfarbene Busse, ein grosses mit Gold verhaengtes Schmuckgeschaeft. Wir wollen den Fuss reinsetzten. Wo sind wir da drin? Mitten drin in der pilgernden Menge, unversehens mit einem Buttertoepfchen in der Hand, das mit der heiligen Flamme vor dem Elephantengott Ganesha angezuendet und als Gabe dargebracht wird. What you want? Was suchst du hier? Ich suche keine Erleuchtung, keine Weisheit, keine Verbesserung, nein – nichts dergleichen. Wir gehen hier nur einmal hindurch und gruessen dabei vielleicht auch den Goetzen. Wir sind drin und doch draussen. Es gibt wohl kein zweites Mal hier, nicht fuer uns. Gewisse Wege geht man einfach nur einmal. Ein bisschen reisen wir unseren Vorstellungen hinterher, dann kommen wir an, verweilen, leben den wahren Moment das einzige Koernchen, das wir als heilig schaetzen koennen, und reisen weiter. Eine Masche ist somit gestrickt, und es folgt die naechste. Wir stehen vor der dichten beinahe dampfenden Menge, vor unerstickbarem Strassenlaerm… What you want? Wir wollen hindurch. Wir wollen das unsichtbar gestrickte Kleid. Wir wollen sowas wie im Maerchen: des Koenigs unsichtbare Kleider.