May 10, 2006

Jazyki…… Sprachen……

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 11:15 pm

Chinesisch
Arabisch
Koreanisch
Das wäre das sprachlich exotische Sandwich auf unserer Wohnheimetage. Französisch und Deutsch, von Schweizerdeutsch brauchen wir nicht zu reden, machen dabei lediglich den Teil des Salatblatts aus. Es dominiert von der rechten Seite das Chinesisch, verdünnt sich gegen die Mitte hin etwas, wird schroff unterbrochen von rauhen arabischen Stimmen, nimmt danach wieder langsam zu und geht irgendwann für meine europäischen Ohren unhörbar ins Koreanische über. Gleich verhält es sich mit dem Essen. Die zwei Grössen sind Korean und Chinese Food. Mein russisches Poulet liegt dabei bei sogar unschweizerischem Rezept in einer dunklen Mitte zusammen mit dem französischen Paté. Das poulet à l’arabe habe ich bisher noch nicht gesehen, doch es wurden schon oft zu später Stunde weinend zu Fleisch Zwiebeln gehackt. Was und wie kocht man in der Schweiz? Natürlich wird diese Frage oft gestellt, etwa in den etwas müssigen Sprachstunden “Russisches Gespräch”, wo man plötzlich irgendwie keine Lust mehr hat auf so ein “lockeres” Gespräch und die Lehrerin, die von den verdorbenen Sitten des slavischen Heidentums einfach nicht mehr aufhören kann. Der schülerhaft beflissene Wille einen anspruchsvollen Satz zu machen, lässt das FONDUE irgendwie drollig rüberkommen: “Das ist ein Gericht aus geschmolzenem Käse, den man zur Zubereitung mit einer Holzkelle in der Form einer 8 rührt.” Im Vordergrund steht die Korrektheit und der Informationsgehalt des geformten Satzes. Doch ich koche kein Fondue und auch keine Rösti, kulinarisch eher heimatlos versuche ich es öfters à la russe oder uni-culture: russische Rüebli, Kohl (RUS), Sojaoel (KNR), Oliven (Spanien), Olivenoel (Spanien), Käse (Dänemark) etwas zu kochen und werde manchmal mit ganz guter chinesischer Suppe beschenkt.

Neues aus Petersburg oder Auf einer schlechten Party

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 11:13 pm

Erste Bekanntschaft mit der hiesigen Polizei, genannt Milicia. Angenehm. Klingeln um vier, hartes Klopfen um 2 nach vier, Hämmern um 3 nach vier. A., der Chozjajn (zu deutsch Mieter) öffnet um 4 nach 4, 4 Minuten zu spät, oder überhaupt überflüssigerweise, die Tür. 5 nach 4 und A. kriegt einen Schlag ins Gesicht. Alle anderen, inklusive die kerligen russischen DJs, halten sich hinter geschlossenen Türen verborgen, mucksmäuschenstill. Eine unglaubliche Ruhe, die der strengste Lehrer bei der zahmsten Schulklasse nicht hinkriegen würde. Die annähernd 80 Leute scheinen verschwunden zu sein, ihr Gegröhle, ihr betrunkenes Kichern, die spastischen Bewegungen zum eckig anonymen Elektrosound. Ich freue mich zunächst auf meinem Plätzchen in der Küche, dass mal jemand vielleicht auf die Idee gekommen ist, die Musik zu wechseln, welche dem Gesichtsausdruck nach die Leute im Griff hat. Ich ernte hie und da einen giftigen Blick von einem Mädchen, der mir den Aufenthalt in der Küche auch nicht grad gemütlicher macht. Ein Blick einer Schmollmündigen mit tiefem Decolleté, der schon Gegnerschaft auf Lebzeit ausdrückt. (So glaubte ich jedenfalls vor ein paar Wochen – nun versteht man sich nachmittags auf dem Sonnenbänkli doch bereits blendend….Frauen..) Mein Lächeln beantwortet die Schönheit mit noch grimmigeren Blick…nichts zu machen. Ich versuchte es mit einer beschwipsten Russin in geblümter Bluse und dunkelrot-metalisé lackierten Fingernägeln, die bereits alles wunderbar lustig findet. Immerhin. Wohlgesinnung. Parties dieser Art verführen zum Rauchen und Trinken. Doch mir graut vor den süssen Mädchengetränken (Vodka mit Kirschsaft), da ich nach zwei Gläsern von diesem klebrigen Zeug nicht mehr stehen kann. Aber wo war ich? Genau, wegen Ruhestörung in mehreren Fällen, hat eine etwas betagtere Nachbarin schliesslich die Milicia bestellt. Die Küchentür springt auf, alle weichen mit den Köpfen zurück. Im Türrahmen steht ein schnurrbärtiger Mann, mit kleinen roten Augen und funkelt zornig und beginnt zu lärmen. “Pasport”, “Pasport”!! Die Küchengesellschaft gerät in Bewegung und beginnt in den Taschen zu kramen. Der Schmollmund schaut noch viel ernster, mit einer gewissen dramatischen Note. Ein junger Typ, mit letzter nachpubertärer Akne und blonder Dandystirnwelle, scheint seinen Rausch vergessen zu haben und gibt plötzlich kleine Anweisungen: Pass nicht geben, nicht bezahlen, bezahlen… Ich gebe gleichgültig meine “Spravka” (provisor. Passersatz) ab, mit dem Wissen, dass ich sowieso bald den Pass vom Passbüro zurückbekomme. Am Ende kommt der Milizionär etwas ruhiger in die Küche, knallt unsere Pässe auf den Tisch und spricht plötzlich in der Erzieherrolle zu uns. Der nächtliche gefürchtete “Eindringling”, dessen zweiter Name “Unannehmlichkeiten” ist, gibt uns die Anweisungen, so spät nicht mehr so laut Musik zu hören, schliesslich lebten hier Familien mit kleinen Kindern, und überhaupt befänden wir uns in einem unglaublichen Dreck…all die Flaschen, Becher, Servietten, dreckige Pfannen, Aschenbecher (dabei haben wir noch die meisten Flaschen versteckt)…so einen Tisch dürfe man Mädchen doch nicht präsentieren, die zu Besuch seien… Schmunzeln. Ungefähr 400 Rubel konnten das Problem lösen. Die Mädchen v.a. sind übel gelaunt. Auch ich bin gereizt, weil an diesem Abend sowieso mit niemandem vernünftig zu reden ist. Mir gefällt die Party an sich überhaupt nicht, und wie wir uns endlich entschliessen doch schon mal in ein café zu gehen, werde ich von zwei beduselten Russen für eine eingeschüchterte Ente gehalten. “Warum gehst du denn schon?” Könnte ihnen doch eigentlich Schnuppe sein, schliesslich haben wir kein einziges Mal an diesem Fest miteinander gesprochen. “Hast Du Angst bekommen? Immer bekommt Ihr Ausländer gleich Angst. Bleib doch, ist ja gut jetzt.” – “Wollte sowieso gern gehen.” – “Sie hat Angst.” Naja, eben beknackte Gespräche an einer schlechten Party. “Ja gut, hatte Angst. Ich geh jetzt.” Zu fünft gehen wir ins Kofechaus, wo ich eine dicke heisse Schokolade bestelle. Wohltat auf leeren Magen. Gespräch mit nem etwas älteren Typen mit ganz vielen Goldzähnen. Sympathischer Frauenheld, etwas militärische Visage, auffallend freundlich und aufmerksam. Ein Mann, den ich als sehr autoritär einschätze. Leichter Hang zur “Ethnophobie” (mag Tataren nicht, Grund: es gibt viele). Den Ausdruck habe ich in ‘ner Vorlesung mitbekommen, seither begleitet er mich. War der angenehmste Teil des Abends, wenns auch am äussersten Ende der Zeit, Wachheit und Aufmerksamkeit stattfand. In Zukunft werde ich mich doch wieder auf das Bauchgefühl verlassen und bei geringer Lust auf Parties doch lieber zuhause ein Buch aufschlagen.Dabeisein ist manchmal nicht immer alles….aber doch gut, auch das gesehen zu haben ; )

Gorod

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 11:12 pm

Spaziergang – entlang den Rohbauten. Weisser Himmel über Schnee. Es ist die Zeit der Maslenica, Frühlingsfest, und in den Vogelnestern häuft sich der Schnee. Alles ist rauh. Die Luft, der Atem, die Haut und die körnigen Fassaden der Wohnblocks, die, ähnlich leeren Schachteln, an einer aufgelösten Strasse Spalier stehen. Sie sind da bloss und laden nicht ein, doch eine eigene, heimlichtuerische Geschäftigkeit herrscht hinter diesen Schmiergelpapierwänden. Kleine Holzhütten, aufgefüllt mit buntem Gemüse und Obst, säumen die Füsse der traurigen Giganten. Von dort drüben schaut ein düsterer Rohbau mit grossen schwarzen Augen herüber. Irgendwoher, wie ein neuer Wind, weht eine klassische Musik durch diese Welt und prallt von einer Wand an die andere und erreicht mich in kleinen Splittern. Unter meinen Füssen schwappt ein grauer nasser Schnee. Es dauert noch, bis der Frühling kommt. Resigniert wandern Leute zum Meerbusen, geschultert das Kreuz der Skier. Von weit höre ich ein Lachen. Unter langen Arkaden aus Beton spielt ein alter Mann Harmonika – und wie. Traurig schön.
Ich gehe und gehe. Die Welt wird für einen Augenblick weiss. Oben und unten ist es gleich. Der Stadthorizont teilt Himmel und Erde. Einssein mit dieser Stadt. Ich schliesse die Augen und sehe sie: ihre Gesichter, ihre Bewegung – in mir. Ich geh nicht durch die Stadt, ich geh durch mich, oder geht die Stadt durch mich? Winterbäumchen krümmen sich stiller Verneigung.

Fluchen

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 11:09 pm

Entdeckung des unanständigen Vokabulars – endlich
Nicht unwichtig ist hier , finde ich, das “herzhafte” Fluchen zu verstehen. Geflucht wird zu Freude, Frust und Leid. Unterrichtet wird das sozusagen auf der Strasse. Doch wenn man mit jemandem unterwegs ist, und danach fragt, was das für ein hingesprühtes Wort ist, bekommt man selten eine direkte Antwort. Meistens heisst es beschützerhaft: “Sowas sollst du gar nicht hören.” Nur, man hört es eben doch ständig… manchmal lauthals, manchmal kleinlaut in einem Nebensatz. In der Leksikologia haben wir das Thema gestreift, dabei hat uns die Dozentin Natalia einen Slovar’ (Wörterbuch) empfohlen, der 2004 erschienen ist und diese überaus “lebendige” Sprache festzuhalten versucht. Dass Lehrer damit sehr vorsichtig und gewissenhaft umgehen gegenüber ihren ausländischen Studierenden, ist nur verständlich. Ich wüsste auch nicht, was ich uncharmanter fände als einen in gebrochenem Schweizerdeutsch fluchenden Austauschstudenten. Wenn fluchen, dann so richtig. Andernfalls entpuppt man sich eher als peinlicher Tourist, der sich solche kleine bunte Wörterbüchlein kauft, um Bier, Frauen und Taxi zu bestellen. Um mich im Grossstadtstimmengewirr zurechtzufinden, um die kleinen Situationen im Streifzug durch die Stadt besser mitzubekommen, den familiären Streit um das Fernsehgerät durch das Wohnzimmerfenster, um mir auch ja nichts entgehen zu lassen an dieser Stadt, darum möchte ich das Fluchen lernen, wenn auch ohne persönlche Verwendung. Verstehen. Damit ich mich einmal an all das erinnern kann. Vsjakoe znanie – vospominanie. (Alles Wissen ist Erinnerung.)

21.März 2006

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 11:07 pm

Es ist wieder ein Tag
Ich weiss nicht, wie um alles in der Welt ich es schaffen soll, all das zu lesen, was ich vorhabe. An jeder Ecke hält mich hier etwas Neues auf. Jeder Tag ist hier buchstäblich ein neuer. U n w i e d e r h o l b a r . Es wird Nacht, es wird morgen. Es geht so schnell und ruckartig, wie die Fahrt heute in der Marschrutka, schnell, stockend, schnell und dann plötzlich Stillstand mitten auf der Kreuzung, eingeklemmt zwischen Schwärmen von Fahrzeugen und Menschen. Tür auf, raus, rennen, und hüpfen zum schönen Wetter, in die Stunde “Russischer Brief”. Unterwegs, aber innerlich manchmal immer noch auf der ersten Seite eines riesigen aufgeschlagenen Buches. Zdravstvujte devocki, singt mir Viktor Zoj aus der Vergangenheit (oder woher?) zu. Ein Sänger, der hier mal viel in den jungen Seelen bewirkt haben muss, jedenfalls hat er stets Besuch bei sich am Grab, so wurde es mir zugetragen: “Vosmiklassica…mmh…mmh” (Achtklässlerin). Und er kanns immer noch. Musik hält die Zeit an. Die Buchseiten falten sich zu Tauben, fliegen davon.

11.März 2006

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 11:05 pm

Es ist Samstag Morgen in der Stadt. Die Sonne scheint, es ist eiskalt. Die Pelze werden wieder aus den Schränken geholt, und Bären wandern durch die Strassen. Man sieht die Menschen atmen. Tausend kleine Kraftwerke. Man trinkt Bier bei minus 16 Grad. Der Geruch von Lippenstift, Bier und Lederjacken hängt müssig am Eingang der Metrostation und verschluckt jeden, der hineintritt mit einem warmen, ekligen „Gluck”. Bunt sind die kleinen Lavki, die kleinen Läden, hinter deren Scheiben Kohlköpfe, knallige Orangen und grüne Äpfel in geometrisch linearer Anordnung präsentiert werden. Ich denke an das bunte Mathematikbuch, 1. Klasse: Ich habe 3 Birnen und 2 Bananen sowie 5 Kirschen und 7 Bananen, bestimme die Schnittmenge. Die Verkäuferin trägt eine grüne Schürze. Durch die kleine Fensteröffnung sind oft nur ihre geröteten Hände zu sehen, und schnell werden die zerknautschten Nötchen ausgetauscht. Ein Verkäuferliladen in der Grossstadt.