September 26, 2006

Abschied von Kirgistan

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:35 pm

David hatte im Schneideratelier neben Fatimas Haus, wo ein paar gewitzte Uzbekinnen walteten und schalteten, ein weisses Hemd in Auftrag gegeben. Die Schneiderin meinte eifrig, sie wisse nicht, ob sie es bis um 11Uhr schaffe, werde es aber für uns versuchen. Aus irgendeinem Grund schien sie den Narren an uns gefressen zu haben, jedenfalls hatte fast alles was ich sagte einen freudigen Lachanfall zur Folge ; ). Sie waren beeindruckt von Davids Wünschen, die ich übersetzte, und lachten noch mehr dabei. Sie hatten die Augenbrauen markant mit schwarzem Eyeliner über der Nasenwurzel zu einem Balken zusammengezogen. Das ist in dieser Region, auch in Uzbekistan, ein Schönheitsmerkmal: zusammengewachsene Augenbrauen, mindestens à la Frida Kahlo, sonst wir mit Schwarzstift nachgeholfen.
Natürlich wollten sie wissen, ob wir Mann und Frau sind. Ich meinte, wie so oft etwas ausweichend, “noch nicht”. Dann ging das Geschnatter erst recht los “Ohlala!! Dann soll es ein festliches Hemd werden für die Hochzeit, ja?” – “Nein, nein. Das noch nicht. Einfach ein simples Hemd für unterwegs.” – “Oh, ich würde für euch  so gute Heiratskleider machen!” Wieder langes Lachen. Wir fühlten uns fast dem Erröten nah ; ).
Schliesslich erhielt David ein traditionelles weisses uzbekisches Hemd, das aber etwas kürzer als üblich ist.
Wir holten das Hemd am Abfahrtstag ab und verabschiedeten uns von den fröhlichen Damen.
Unsere Fatima war sauer, da sie am Vortag einem Bekannten angerufen hatte, der uns zur Grenze hätte bringen sollen, da sich aber unser Reiseziel kurzfristig wegen Davids Flug verschob, mussten wir ihr und ihm kurzfristig absagen, da wir mit einem Bus nach Osh mussten, ein Auto wäre einfach zu teuer gewesen. David hatte sich auf den 7. Oktober einen Flug von Tashkent nach Urumqi noch in Biskek gebucht. Er hatte darum gebeten, ihm bessere Flugdaten noch mitzuteilen, um auf später umzubuchen, da ich auch erst am 11. Oktober nach Istanbul fliege. Nun erhielt er ein Email von der Reiseagentur, die ihm ein besseres Datum offerierte. Wir sollten nochmals zur Agentur, die es noch in Osh gab. Daher mussten wir via Osh über die Grenze nach Usbekistan.
Die Frau ärgerte sich, da sie nun schlecht vor dem Fahrer dastand. Es war eigentlich etwas unbegründet, da wir uns selber beim Fahrer entschuldigten und erklärten, weshalb wir nicht fahren konnten. Er seinerseits schien das ohne Ärger verstanden zu  haben. Fatima machte mir aber deswegen Vorwürfe, was ich unfair fand, nachdem wir immerhin ein paar Tage ihre Gäste waren. Es war abundzu während der Reise nicht leicht als Erste mit einem Problem konfrontiert zu werden. Da ich Russisch spreche, hatte meistens ich den Grossteil auszutragen, was ich vermutlich manchmal leichter und nicht zu persönlich hätte nehmen sollen.
Schliesslich verliessen wir die etwas missmutige Dame richtung Avtovokzal (Busstation).
In Osh, einer auf den ersten Blick sehr betriebsamen Stadt, blieben wir nur sehr kurz, gerade für die Umbuchung des Fluges. Wir assen in einer kleinen Kantine eine Shorpo und Nan, dann fuhren wir mit der Marschrutka bis zur Grenze. Dort liefen durch die verschiedenen Posten. Es bereitete uns zum Glück keine Probleme bei der Ausreise, dass wir keinen kirgisischen Einreisestempel auf dem Visa hatten. Der Beamte hakte zwar eine Weile nach, doch wir erklärten wir hätten einfach keine Grenzposten gesehen, was so etwas wie die Dreiviertelwahrheit ist ; ).
Unser Gepäck wurde vor der Einreise geröntgt, und wir mussten eine Einreisedeklaration ausfüllen, das war alles. Es hatte viele Frauen an der Grenze, die mit grossen Taschen unterwegs waren. Ein paar Zigeunerinnen veranstalteten aus irgendeinem Grund ein Mordsgeschrei, was sich als brutales Fluchen heraushören liess.
Einen Fahrvermittler hatten wir bereits auf der kirgisischen Seite auf den Fersen, dieser brachte uns zu einem Fahrer, der mit zwei anderen Leuten bereit war loszufahren.
Wir waren in Uzbekistan angekommen.

Arslanbob

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:32 pm

Zuerst wollten wir per Bus nach Arslanbob fahren. Wir fuhren erfolgreich von Zhalal-Abad weg, blieben aber an einer lustigen Bushaltestation, die neben einem Bazar war, so kommt es im Süden sehr oft vor, einige Zeit lang stecken. Es kam und kam kein Bus. Natürlich hätten wir sofort hinter den Bazar gehen und einen “Tico” (Minidaewoo) haben können, doch wir waren sehr überzeugt davon, dass ein Bus fährt. Wir schauten noch einem Zauberkünstler und Akrobaten zu, der eine ganze Menge um sich brachte und von lauter technoartiger Musik begleitet (dabei zapfte er seine Autobatterie an) zwei seilangebundene Juns mit den Zähnen in die Luft hob. Das verkürzte die Zeit etwas. Als der Bus plötzlich da war, konnte man mit dem leider nicht fahren. Es schien also nicht zu klappen, und wir fanden leicht einen Fahrer hinter dem Bazar, der uns nach Arslanbob hinauffuhr.
Arslanbob liegt in einem Talkessel am Hang. Durch das Dorf fliessen mehrere Bäche, und die Berge im Hintergrund sind atemberaubend. Überall stehen Pappeln, Vieh weidet auf den bereits gelben Wiesen, Eselkarren fahren vorbei.
Als wir ankamen, stand bereits ein grosser Typ mit roter Schweizer Baseballmütze vor uns. Er war vom CBT und hatte uns sofort aus dem Haus erspäht.
Er hiess Malik und bat uns herein. Wir sagten gleich, dass wir eine Adresse hätten.
Die Leute waren wirklich ausgesprochen sympathisch und boten uns ein Auto an, um zum Haus zu kommen, welches ziemlich ausserhalb vom Dorfzentrum liegt.
Wir wurden herzlich von der Familie empfangen. Eigentlich sahen wir fast auschliesslich den Vater. Er war im Dorf der Deutschlehrer, daher konnten wir mit ihm Deutsch sprechen. Die Frauen, Töchter und eine Schwiegertochter blieben sehr im Hintergrund und bedienten uns lediglich. Die Familie hat einen bezaubernden Garten mit vielen Apfelbäumen, vier verschiedene Sorten. Sie hatten zwei Häuser. Im einen schliefen wir in einem Zimmer, im anderen Zimmer war der Sohn mit seiner Frau. Das andere Haus war eher das Familienhaus mit der offenen Küche nebenan angebaut.
David und ich assen unter einem grossen Nussbaum, an dem usbekischen Tisch, d.h. auf dem Bettgestell auf dem man im Schneidersitz sitzt und auf dem ein kurzbeiniges Tischchen steht. Ich weiss noch gar nicht, wie diese Einrichtung heisst.
Am nächsten Tag machten wir von dort aus eine Wanderung an einen grossen Wasserfall, durch den Wald, wo wir Shashlyk bekamen, wieder ins Dorf.
Ich hatte einige Tage schwere Magenverstimmung gehabt und war einigermassen ausgelaugt, und ich hatte ziemliche Mühe zum Wasserfall hochzukommen.
Es war ein total schöner Einblick in dieses Dorf, wo aussschliesslich Usbeken leben. Die Lebensweise schien uns auch komplett anders, als wir sie vom Norden in Kirgistan kannten. Ich fande es befremdend von den Frauen von vorn bis hinten so bedient zu werden und mit ihnen dabei kaum ein Wort wechseln zu können.
Ruhig scheint dort das Leben vorbeizuziehen, jenseits von allen grossen Weltgeschehnissen, so scheint es.
Am Nachmittag fuhren wir nach Zhalal-Abad zurück, wo wir unsere Sachen gelassen hatten und noch eine Nacht bleiben wollten.

In den Süden

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:31 pm

Nach schweren Verhandlungen mit Fahrern, fanden wir jemanden, der uns für uswngefähr 30.- nach Zhalal-Abad mitnahm. Die Fahrergemeinschaft scheint ganz offensichtlich ein Kartell zu bilden. Alle sagen sie den selben Preis, der für uns viel zu hoch war. Der Fahrer holte seine Frau und deren Mutter noch ab, die vor dem eigenen Lebensmittelgeschäft schon bereit standen.Der Mann war nur vorübergehend als Fahrer tätig. In Zhalal-Abad war ein Fest, anscheinend eine Todesgedenkfeier, an welche die ganze Familie fahren musste. Da es eine lange Strecke ist, lohnte es sich noch einen Fahrdienst anzubieten. Die Fahrt war sehr schön aber auch sehr lang, etwa zwölf Stunden waren wir unterwegs. Dabei fuhren wir über drei Pässe, an einem einprägend blauen Stausee vorbei. Es wurde zusehends heisser und die Landschaft trockener, sonnenverbrannter. Die Leute waren sehr gesprächig, und die Fahrt war somit noch ganz schön.
Irgendwann war etwas mit dem Motor nicht mehr in Ordnung, wahrscheinlich etwas mehr als überhitzt, und wir stiegen kurz vor Zhalal-Abad in ein anderes Auto um.
In Zhalal-Abad wandten wir uns an ein CBT-Büro, wo wir Auskunft über Übernachtungsgelegenheiten erhielten. Wir landeten bei einer runden usbekischen “Fatima”, wie ich sie nannte. Sie war meiner Ansicht nach eine etwas herrische und nicht so herzliche Person, aber es war Im Grund genommen in Ordnung bei ihr. Die Häuser sind im Süden schon völlig anders als im Norden. Sie sind schon dieselben wie in Uzbekistan. Ein grosses Tor, dahinter ein grosser gepflasteter Innenhof, die Küche nahe beim Eingang, der Herd im Hof selber unter einem Vordach, wo sich auch eine hölzerne Tribüne befindet, wo man isst. Die Zimmer sind alle um den Hof herum angesiedelt. Wir schliefen wieder in einem Teppichzimmer. Wir bekamen usbekische Matten, die man dreilagig auf dem Boden ausbreitet. Man schläft hart aber sehr bequem.
Zhalal-Abad war als unser Ausgangspunkt nach Usbekistan gedacht. Zuerst wollten wir aber noch einen Abstecher nach Arslanbob, in ein uzbekisches Dorf machen. Wir hatten von einem Jungen, der beim CBT arbeitet die Adresse seines Vaters in Arslanbob bekommen, so dass wir vorhatten diesen aufzusuchen.

Bishkek

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:30 pm

Bishkek ist eine sehr klein und gemütlich wirkende Stadt. Wie in Almaty sind die Strassen von alten Eichen gesäumt, deren Stamm stets weiss angestrichen ist. Eine gute Übernachtungsmöglichkeit fanden wir in dem japanischen Guesthouse “Sakura”, das von einem Ehepaar (er Japaner, sie Kirgisin) geleitet wird. Es war gemütlich auf dem kleinen Sitzplatz abends. Immer kam wieder jemand neu dazu, Japaner auf Weltreise, mit Motorrädern, mit Fahrrädern, ein englischer “Expat”, den es nach Sian Xiang verschlagen hat, wo er sich mit Import-Export beschäftigt – sprich mit Export von Trockentomaten nach……..Italien. David besorgte sich mit vielen Nerven ein chinesisches Visum und bekam aber mit Leichtigkeit ein Pakistanivisum. Das hielt uns eine gute Woche in der kirgisischen Hauptstadt. Es gibt ein paar gute Museen, doch insgesamt hat man die Stadt schnell gesehen und trifft auch immer wieder auf dieselben Leute. Zwei Cafés, das “Metro” und das schrecklich klingende “Fatboys” sind ein Anzugspunkt für Touristen oder generell Ausländer. Im Metro hätten wir für Wucherpreise Bücher in verschiedenen europäischen Sprachen kaufen können. Uns ging irgendwann mal die Literatur aus. Im Fatboys konnte man Bücher ausleihen. Das einzige Buch, welches ich fand war “Krieg und Frieden”… mit der Leihfrist gab es da natürlich Probleme ; ). Eine Kollegin aus der Schweiz trafen wir noch, die für ein paar Monate in Kirgistan ist für ihre Liz in Geographie. Es war toll nach so langer Zeit wieder mal selber was zu kochen in ihrer Wohnung. In einem Einkaufszentrum “Beta” konnte man ganz tollen türkischen Kaffee und, noch besser, die türkischen Süssigkeiten bekommen. Mir schien, dass man dort viele Türken oder evt. Iraner auch sah, die sich oft trafen. Bishkek hat jedenfalls einen internationalen Touch, und es ist gemütlich dort ein bisschen zu bleiben, obwohl es selber sicher nicht der Grund ist, nach Kirgistan zu reisen. Kirgistan hat mit seiner natürlichen Schönheit ausserhalb der Stadt das Herz des Besuchers gewonnen. Ich fand es unvergleichlich schön mit den Leuten teetrinkend in der Jurte zu sitzen und den stahlblauen Himmel durch die Dachluke zu sehen.

Am Song Köl

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:28 pm

Wir hatten Glück und fanden einen dritten Mitfahrer an den See, Francise aus Paris, der den sechzehnjährigen Azamat als Guide mitnahm. Unser Fahrer hiess Jussuf, ein älterer Mann mit langem Spitzbart und scheinbar noch drei Zähnen in seinem stets lachendem Mund. Er blieb die ganze Zeit mit uns am Song Köl oben und fuhr uns am Schluss wieder hinunter. Ich bin froh, dass wir ihn dabei hatten, er war so lieb und erklärte immer gerne, wenn man was zu fragen hatte. Die Fahrt an den See dauerte etwa drei Stunden. Die Landschaft war sehr anders als im Norden, nur mehr goldbraun und steinig. Unterwegs fiel Francise ein, dass er seine Kamerabatterie an den Strom hätte hängen müssen, in einer kleinen Siedlung legten wir drum einen kurzen Stopp ein. In einem Haus am Wegrand konnte er die Batterien laden. Zwei Mädchen waren mit einem Lastesel am Wegrand und luden Lehmziegel auf den Wagen. Ein Junge kam mit einer ganzen Pferdeherde vorbeigeritten. Der Song Köl ist ein sehr grosser See, rundherum verläuft das Land lange sehr flach, dann kommen die Berge. Am Ufer entlang sieht man schon von Weitem die weissen Punkte der Jurten und die schwarzen der Kühe und Pferde. Ein Kamel trottete uns sogar entegegen, doch das war entschieden the odd one out unter den Tieren und war etwas einsame Touristenattraktion. Wir fuhren zu einer Siedlung aus mehreren Jurten, wo wir mit Francise zu dritt eine Jurte teilten. Ajgül war die Frau, die mit ihrer Familie das Jurtenlager leitet, als Nebeneinkommen. Das ist der Sinn vom CBT, dass die Familien sich mit Gästen als Nebeneinkommen beschäftigen, so dass man als Besucher eben nicht in ein Hotel sondern in eine Familie geht und die Leute dort sich mit der traditionellen Arbeit beschäftigen können. Wir liefen am ersten Tag lange am See entlang, sahen weit bis zum Horizont und stiessen auf dem Rückweg auf einen Jungen und seinen Bruder, die dabei waren Fischernetze zusammenzulegen. Der Junge wollte unbedingt mit uns Fotos machen und wir liessen ihn knipsen. Seine Mutter kam irgendwann mit dem schwarzen Pferd und stellte sich als Genara vor. Der Junge sprang aufs Pferd und hetzte es in den See, und sie schwammen hinaus, hinaus, bis seine Mutter ihm böse was zuschrie. Anscheinend konnte er noch gar nicht richtig schwimmen. Der Befehl war eindeutig. Sie lud uns zu sich in die Jurte ein zu Khmyz. WIr kamen zu einer kleinen alten Jurte, hinter der sich die Babuschka mit Decken ausgebreitet hatte und mit einer alten Singer Nähmaschine auf dem Boden sass. Sie kam auch zu Khmyz in die Jurte, wo bereits der Dedushka sass mit kleinem grauen Spitzbart. Die Verständigung verlief fast nur noch über Gesten, aber es ging ja ganz gut. Die Khmyz kam direkt aus dem schwarzen Plastikeimer in die Pialas (henkellose Tassen). Sie war nicht mehr ganz so gut, wie wir sie im Chong Aksu bei der anderen Familie hatten, aber auch nicht schlecht. Nach einer Weile verabschiedeten wir uns von der Familie, nachdem das Omin gesprochen war, und liefen zurück. Wir blieben zwei Tage in dem Jurtenlager, schliefen in einer Jurte und assen in der anderen. Der Fahrer Jussuf war stets auch dabei. Es war abends früh dunkel und schnell sehr kalt, da wir sehr hoch oben waren (3016m ü. M.). Eindrücklich war es in den Bergen zu sein und doch solch eine Weite um sich herum zu sehen. Der See lag gross und weit vor uns und hinter uns weites Grasland bis zu den Bergen, wo Kühe und Pferde weideten. Am zweiten Tag gingen wir reiten. Ich verlangte ausdrücklich ruhige Pferde, da David noch nicht so oft auf dem Pferd gesessen hatte. Den Begleiter wollten wir nicht, da das zu teuer gewesen wäre, daher führte ich Davids Pferd von meinem Pferd aus am Strick. Das Problem war nur, dass mein Pferd viel langsamer war als seines, und wir fast nicht vorwärts kamen. Mein Wallach reagierte auf einen Fersendruck, geschweige denn auf einen Schenkeldruck, überhaupt nicht. So entschloss ich die Pferde zu tauschen. Davids Pferd verhielt sich an der Leine sehr gut, doch als Leitpferd hatte es merklich seinen eigenen Kopf. Ich musste kämpfen den mühsamen Racker auf der Spur zu halten. Wir zockelten so zwei bis drei Stunden durch die Gegend – kein wildes Reiterlebnis zugegeben, doch wie man sagt “Man hats mal gemacht.” Am folgenden Morgen fuhren wir wieder runter nach Kochgor, von wo aus wir mit dem Shared Taxi nach Bishkek fuhren, wo eine neue Episode unserer Reise begann.

Kochgor

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:27 pm

Ein Stress am Taxi Stand: ein Mann kam angerannt, wild fuchtelnd und rufend “Taxi, Taxiiiiiiiiii”. Jaja, denkt man sich, nur mal mit der Ruhe. Wir mussten nach einer langen Fahrt erst mal etwas essen, bevor wir weiter nach Kochgor konnten. Der Mann rannte auf die andere Strassenseite davon, wir suchten erst mal ein Cafe am Strassenrand.
Dort assen wir wieder einmal Laghman, den es immer aber auch wirklich immer gibt.
Der Taximann kam mit einem Fahrer angerannt. Die Fahrt war sehr leicht organisiert. Mit der Preisabsprache hatten wir zu dem Zeitpunkt noch keine Probleme ; ).
Mit zwei anderen Leuten im Auto fuhren wir los. Eine Frau musste schnell mit Einkäufen (literweise Getränke, Turnschuhe für einen Neffen, Haushaltwaren) nach Hause chauffiert werden, dabei bogen wir in ein holpersträsschen ein, dass zu einem Minidörfchen führte mit vielen Kindern auf der Strasse und alten Männern mit Kalpak.
Dann fuhren wir nach Kochgor.
In Kochgor suchten wir das CBT Büro, Community Based Tourism, aufgezogen von der Schweizer Organisation Helvetas, welches noch auf hatte nach 19Uhr. Eine Frau und ein Junge namens Azamat, der englisch sprechen konnte, waren dort. Die Frau war eine ziemlich grosse imposante Person, im langen dunkelvioletten Batikkleid und schwarzen Ledergilet (DAS Kleidungsstück in Zentralasien). Beide waren sehr sympathisch und hilfsbereit bei unserer Suche nach einer Übernachtunsmöglichkeit und der Planung eines Ausfluges an den Song Köl (Bergsee), wo sich Jurtenlager befinden. Ein Auto an den Song Köl kostete ziemlich viel, daher suchten wir noch nach jemandem, der mit uns die Fahrt teilen konnten. Azamat schlug uns jedenfalls bereits eine Familie vor, die sich schliesslich als seine eigene herausstellte, was er verschmitzt eröffnete. Er drückte uns ein Plänchen in die Hand und wir fanden bald nach ein bisschen Weghilfe von anderen Leuten sein Haus. Der Blick durch die abendliche Strasse fiel auf hohe Berge im Hintergrund, überall schielten Kinder aus den Toren und riefen “Hello” oder “Hello! What is your name?”.
Als wir durch das blaue Eingangstor traten, kam uns der Vater entgegen und der Bruder von Azamat. Die Mutter stellte sich uns später noch vor. Sie hatten zwei Häuser, ein kleineres mit Küche und ein grösseres mit grossem Esszimmer und mehreren Zimmern für Gäste. Sie wohnten im Sommer im kleinen Teil. Das Haus war reich mit Teppichen und Shyrdaks (bunte Filzteppiche aus Schafswolle) ausgestattet. Hinter einer Mauer begann der Garten, und eine Kalb guckte noch aus seinem Gehege.
Wir bekamen Tee und Nan mit selbstgemachter Aprikosenconfiture. Danach guckten wir uns im Ort noch etwas um und assen irgendwo.
Früh wurde es dunkel, daher waren wir auch nicht lange unterwegs. Mit Taschenlampe fanden wir wieder heim.

Abstecher in die kulinarische Seite Kirgistans

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:16 pm

Die Speisekarte in Kirgistan sieht immer etwa folgendermassen aus: Samsa (blaetterteigartige Taschen mit Fleisch oder Kaese), Manty (Teigtaschen mit Fleisch und unbedingt weissen Fettkluempchen), Plov (Reis mit Fleisch und Gemuese), Shorpo (Bruehe mit oder ohne Stueck Fleisch und Kartoffel), Beshparmak (versch. Fleisch in Bouillon), Laghman (selbergemachte dicke Nudeln mit Fleisch und Gemuese, suppenaehnlich), Boso Laghman (gebratene Nudeln und trocken), Osobyj Laghman (besonderer Laghman ?). Dann kommt das russische Angebot: Pel’meni (Ravioli mit Fleisch und ohne Sauce, wenn dann mit Smetana), russische Mayonnaisesalate, Solyanka (Suppe mit vielen Zutaten und Zitrone und immer genau “einer” Olive), Borschtsch (Rotebeetesuppe mit Fleisch). An vielen Orten bekommt man Dungan Essen, bereits schon (muslimisch) chinesisches Essen, mit z.B. Reisnudelgerichten. Ashlyanfu ist eine Mischung von Laghmannudeln und Reisnudeln, scharf gewuerzt und kalt serviert wie Salat.
Wenn man in den Bergen auf den Jailoos bei Familien zu Besuch ist, sieht das Essen aber etwas anders aus. Dort stehen Milchprodukte im Vordergrund: Milch, Kajmak (schmeckt wie Mascarpone und isst sich mit Brot, was hier Nan heisst und rund und flach wie ein Teller ist und manchmal so benutzt wird), Ajran (Naturejoghurt), Khmyz (fermentierte Pferdemilch, manchmal gemischt mit Kuhmilch). Fleisch ist die Grundnahrung, d.h. Schaffleisch. Getrunken wird landesweit immer Chaj, Gruentee und Schwarztee.
Ich persoenlich mag die Milchprodukte sehr gern. Fleisch ist des Kirgisen erste und wichtigste Nahrung, es kann uns etwas zu viel des Guten werden. V.a. wird das Fett sehr geschaetzt. Dass man in den Manty weisse Fettbaellchen findet, soll keine Qualitaetskritik sein, obwohl wir am Anfang dachten, wie lausig – da noch Fett reinzufuellen!
Da wurden wir aber belehrt: Fett wird sehr geschätzt. Die besten Stücke sind die mit Fett dran. Das entspricht noch einem alten Gesundheits- bzw. Schönheitsempfinden, was es bei uns frueher vermutlich auch gab. Das Tier wird immer ganz verwertet, so dass gezoepfelter Darm und und und keine kulinarische Exotik darstellen. Eine Kollegin erzaehlte von einem Essen in einer Jurte, wo ihnen einige verschmaehte Innereien noch zum “Lunchpaket” im Karton verpackt mitgegeben wurden.
Vegetarier haben es in Kirgistan, grosse Vorwarnung (!), fuerwahr nicht leicht.
Kirgistan – die Fleischessernation, dabei finde ich aber, dass der Umgang mit Tieren und Fleisch sehr natuerlich und bewusst ist. Mir schien, sie moegen die Tiere und schaetzen das Fleisch. Sie arbeiten jeden Tag mit ihren Tieren, schlachten sie selber, verwerten von ihnen alles restlos. Ich hatte kein einziges Mal ein Gefuehl von schlechtem Gewissen, wie wenn ich an der  Migroskasse stehe und ueberlege, ob das nicht doch daneben ist das guenstigere Don Pollo Huhn dem Freilandhuhn vorzuziehen, dabei miteinbeziehend, dass beide Huehner ja sowieso tot sind und es noch danebener waere, wuerde das arme Don Pollo trotz seines schlechten Lebens gar nicht gekauft werden… – Am Schluss stehe ich vor dem Tofu und denke “Die Loesung”.
Ich mag es in Kirgistan den Tieren zugucken zu koennen, wie sie frei durch die Praerie spazieren ohne Grenzen. Abends kommen die Mutterkuehe von alleine nach Hause, weil dort ihre Kaelber auf sie warten. Dabei beginnt ein fast ruehrendes Muhkonzert, endlose Begruessungsszenen. Das hoert sich nun sicher alles furchtbar sentimental und ktischig an, aber – im Ernst! – es ist so. Natuerlich werden die Kuehe nachher von den Leuten gemolken.
Hier ist das Fleisch ein tierisches Produkt, kein Industrieprodukt, das hat mir gut gefallen.

September 18, 2006

Ein paar Worte über das Medium

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 1:57 pm

Manchmal verabscheue ich die Internetcafés. Vielleicht auch zu Unrecht. Man bleibt immer viel zu lange, die Röhrenbildschirme töten die Augen, und brennenden Hunger kriegt man nach zwei Stunden, den man zu lange durchsitzt. Die Laune nach einem langen Internetaufenthalt ist bei mir meistens auf dem eigentlichen Nullpunkt. Eine Stunde ist noch in Ordnung, ab zwei wird es ätzender bei mir. Die Stimmung in einigen Cafés ist auch oft so was von gespalten: da sitzen die nurdish Gamers und knallen sich den ganzen Nachmittag ab, dort die Kontaktfreudigen am Pärchenchat, dort die Infosucher, an einem anderen Ort die Schaulustigen, die auf der Jagd nach irgendwelchen Fotos sind. Da sind noch die vielen Emailaner, die oft über die Hälfte ausmachen und mit einem gewissen Ernst sich ihrer Post widmen. Die Blogger nicht zu vergessen, hier meistens Ausländer, die sich genervt umdrehen, wenn die Gamer wieder mal zu laut sind und bei Gedankengängen mit Schiessen und Schreien stören.
Wenn ich nach einem Zeitungsartikel von Tagi oder was auch immer Online informiert und gleichgültig das Café verlasse, verlässt gleichzeitig eine betrübte Chatterin das Cafe, eine Muslimin, die von Hassan aus dem Internet eine eisige Absage bekommen hat. Dabei unterscheiden sich unsere Gesichter nicht im Geringsten, dieselbe Bildschirmausstrahlung hat uns befallen und wir trotten aneinander vorbei in die befreiende Abendluft.

September 16, 2006

Tamga, Wohnung Nr.36 – Irinas Welt

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 4:46 pm

Da Karakol nicht am Issyk Kul liegt, wir aber schon einen guten Vorgeschmack des grossen Sees bekommen hatten, wollten wir unbedingt noch an der schoeneren Suedkueste entlangfahren. Mit einem alten schepprigen Bus und, o weh, einem noch viel aelteren Fahrer, ein hageres langsames Maennchen in den Achtzigern, brausten wir los. Die Fahrt war gar nicht so schlecht, und heute weiss ich, dass ich hier immer lieber mit einem Greis mitfahre als mit einem jungen Typen. Die Landschaft am See ist trocken braun, die Berge erheben sich im Dunst hinter gruenen Pappelwaeldern und Alleen. Wie wir am See entlangkurvten, sahen wir immer wieder groessere und kleinere Straende, an denen sich lustigerweise meistens nur Kuehe raekelten. In Tamga stiegen wir aus und sahen bis auf die Bushaltestelle, den See dahinter und einen grossen braunen Huegel auf der anderen Seite gar nichts. Ab und zu kamen heubeladene Lastwagen herangefahren, die so beladen waren, dass der Fahrer im Fuehrerhaeuschen nicht mehr zu sehen war. David fand, dass die Laster aussahen wie grosse Pumuckls. Mit unserem Gepaeck liefen wir den Huegel hoch, um in das Doerfchen Tamga zu kommen, wo anteilsmaessig mehr Russen wohnen. Es war sehr heiss an dem Tag, und wir begannen uns schon wegen Bloedsinn mal wieder leicht zu streiten, von wegen “Links”-“Nein, rechts, komm jetzt..” und dem Ueblichen, was halt waehrend einer gemeinsamen Reise so auftauchen kann. Wir suchten ein Guesthouse. Die Strassen in Tamga sind eigentlich einfach Wege, und  Strassenschilder existieren in dem Sinne nicht. Manchmal steht was. Die Hausnummern sind aber vorhanden. ICh weiss nicht, war die Hausnummer falsch oder das Hotel ganz an einem anderen Ort, wir liefen die staubige Strasse richtung Sanatorium hoch, dort um die Kurve und waren wieder am Dorfrand. Da kam vom Feld eine Frau auf uns zu mit Kartoffeln, Kohl und Aepfeln bepackt und im  Strohhut. Ich fragte sie, ob sie eine Idee haette, wo das Guesthouse sein koennte. Sie stellte schwer atmend das Gemuese hin und hielt einen MOment inne. Schliesslich schlug sie vor bei ihr zu uebernachten, sie wohne gleich im kleinen Wohnblock im Sanatoriumsgelaende. Wir waren einverstanden. Die Frau stellte sich vor als Irina, sie war Russin und etwa um 65. Ein richtiges Mami. Sie erklaerte sicher zehnmal auf welcher Etage sie wohnt und die Wohnungsnummer – die naemliche Nummer 36. Das Sanatorium, ein Relikt aus Sowjet-Glanz-und-Gloria-Tourismus, sah stillgelegt aus, obwohl einige “russische Sportler” dort oft unterkaemen oder andere Gaeste. Bei Irina zuhause war es sehr gemuetlich und belustigend eigenartig. Im WOhnzimmer, wo zwei Betten fuer Gaeste  bereitstanden, schien sich seit den 70er,80ern nichts mehr veraendert zu haben. Die Zeitschriften aus der Zeit lagen da, als waeren sie am Vortag eben grad noch gelesen und kurz zur Seite gelegt worden. Kirgisisch waren die grossen Wandteppiche, russisch die alten Schwarzweissfotos. Irina hat kein Gas in der Wohnung und kein warmes Wasser. Gut sei es gewesen in der Sowjetunion daher, meinte sie, alles sei gratis gewesen oder billig und vor allem vorhanden. Irgendwann sei das warme Wasser verschwunden, irgendwann das Gas. Der Hahn wurde zugedreht. Im Badezimmerchen kochte sie die Kartoffeln auf einer elektrischen Platte. ICh las etwas, und David schlief kurz. Wir sahen aus wie ein Ehepaar aus den 60/er Jahren in dem Interieur. Irina kochte uns Kartoffeln, dazu gab es Gurken, Speck (nur das Fett davon, gesalzen, unverdaubar wahrscheinlich aber essbar) und Mayonnaise und natuerlich Schwarztee. An der Kuechenwand hing eine grosse Weltkarte. Fast drei Stunden sassen wir mit ihr in der Kueche und redeten. Fast vergassen wir den Issyk Kul, wo wir doch baden wollten. Sie hatte frueher im Sanatorium als Physiotherapeutin gearbeitet und wohnte daher in dem Block, der zum Sanatorium gehoert. Sie kommt urspruenglich aus Omsk, hat aber kirgisische Staatsbuergerschaft. In ihrem Pass steht: Buergerin Kirgistans, Nationalitaet: Russin. Sie haette es verpasst damals die russische Staatsbuergerschaft anzunehmen, das waere wohl besser gewesen. In der Sowjetunion sei halt alles offen gewesen. Sie haetten sehr wenig. Russland gilt als reicheres Land,wobei ich immer den Eindruck habe, dass sich das im Verhaeltnis wieder aufhebt. Rentner leben auch in Russland erbaermlich. Es sei gerade eine Zeit, in der viele Russen nach Russland abwanderten. Ab 2007 soll in Kirgistan Kirgisisch offizielle Amtssprache werden, und auch Lehrmaterial soll in kirgisischer Sprache verfasst werden, das sei eine Motivation fuer viele zu gehen. In der englischsprachigen Zeitung Central Asia News lasen wir spaeter genauer darueber. Vladimir Putin verabschiedete ein Gesetz, laut dem ab 2007 Russen, die im Ausland oder ehemaligen Sowjtetrepubliken leben, erleichtert in Russland eingebuergert werden und zum Neuanfang unterstuetzt werden sollen. Bis jetzt sind schon Tausende von Russen in ihre Heimat zurueck. Wir fragen uns, was das wohl fuer Folgen fuer die jeweiligen zentralasiatischen Laender hat. Gegen fuenf Uhr rissen wir uns mal los, den dritten Tee dankend ablehnend und liefen zum See hinunter. Der Weg war ziemlich lang und endete am supersowjetischen Sanatoriumstor, einer Trouvaille von Sowjetkitsch. So schoen! Links und rechts vom grossen bunten Torbogen standen Fallschirmspringer und natuerlich FallschirmspringerIn in Lebensgroesse und salutierten, den kleinen Rucksack auf den Ruecken geschnallt. Am See unten gab es tatsaechlich einen kleinen umzaeunten Sportplatz, der so bunt war wie ein Spielplatz. Dort stemmten starke Russen Hanteln und sprangen Seil. Ab und zu rannten wieder zwei Jungs an uns vorbei. Am See waren wir fast alleine. Weit weg fuhr einer Wasserski, krampfhaft das Seil haltend hinter dem orangen Boot. So war der Issyk Kul wirklich schoen, eindruecklich wie das Meer. Eine grosse bunte Raupe kroch ploetzlich ueber meinen Fuss. Nachdem wir diese von ihrem Seeweg abhalten konnten, liefen wir alles wieder hoch. Im Sanatorium gab es ein kahles Cafe, wo es aber guten Laghman (Nudeln, Fleisch, Tomaten) gab und Tee. Das Dorf war gegen Abend ausgestorben, Kuehe liefen durch die Strassen auf dem Heimweg nach einem langen Weidetag. Ein paar Frauen unterhielten sich kauernd am Wegrand. Alte Maenner sassen vor den Hauseingaengen in ihren Kalpaks (kirgisischer hoher Filzhut). Irina hatte uns vor “betrunkenen Kirgisen”gewarnt, die sehr unangenehm sein koennten. Ab und zu werde ein Sportler von solchen in die Mangel genommen. Die Leute seien im Grunde genommen gut, doch sie vertruegen nun mal keinen Alkohol. Ich hatte sie gefragt, ob es Konflikte gaebe zwischen Kirgisen und Russen. Sie sagte ja, das gaebe es. Im Gross und Ganzen eigentlich nicht, doch auf gewissener Ebene schon, im Dorf z.B. unter der aelteren Bevoelkerung, manchmal unter den Jungen, wenn sie getrunken haetten und einen Grund zu streiten suchten.
Am naechsten Morgen verliessen wir bei Zeiten, nach kraeftigem Fruehstueck mit Plov (Reisgericht mit Fleisch) Irinas kleine Siebzigerjahrewelt und gingen zur Bushaltestelle. Zu erst allerdings gingen wir am Strand hinter der Haltestelle nochmals baden ;).
Auf den Bus warteten wir schliesslich ueber zwei Stunden, die kleinen Busse waren meistens bereits ueberfuellt. Autos hielten selten an oder verlangten viel zu viel nach Kochgor. Ein Mann kauerte dort mit uns, einer der irgendwann schrecklich was abbekommen haben musste, Narben verliefen ueber Stirn und Wangen, ein Ohr war nur noch ganz schlecht. Er half uns einen Bus zu finden und in Bakonbayevo umzusteigen. EIn Paar Russen waren per Autostop und mit Wassermelone unterwegs. Niemand nahm sie aber mit, so liefen sie zu Fuss los. Wir schafften es irgendwann einen Bus mit wenig Platz zu finden. Ein neuer Abschnitt begann – Kochgor und die Fahrt an den Song Koel (Koel bedeutet im kirg. “See”).

September 11, 2006

Das zerbrochene Herz und das Blumental

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:46 pm

Der Mann aus dem Gasthaus war bereit uns bis zum Talbeginn hochzufahren. Anfaenglich wurde uns ein riesiges Busmobil angeboten, was uns grad etwas uebertrieben vorkam. Schliesslich fuhren wir in seinem weissen Kombi mit. Die Landschaft war sehr trocken, gegen Talbeginn hoch wurden die Steine roeter und roeter. Am Strassenrand sass irgendwo ein Junge und spielte Gitarre. Von weitem sahen wir einen riesigen, roten, in der Mitte gespaltenen Felsen – “Razbitoe serdce”, das gebrochene Herz. Ein schoenes Maedchen soll mal zwei Verehrer gehabt haben, die sich im Streit um sie toeteten. Dabei brach ihr Herz entzwei.
Dort hatte es einige Haeuser und ein Sanatorium, was einfach in den meisten Faellen ein Kurort ist. In einem Cafe assen wir zuerst noch was. Ein paar Jungen sassen auf der Terrasse und feierten etwas mit Vodka. Wir sassen im Schneidersitz am niederen Tisch und assen Ashlyanfu.
Die kleine Tochter half mit und kassierte am Schluss bei uns ein.
Wir liefen etwa zwei Stunden hoch ins Tal. Blumen hatte es um die Jahreszeit natuerlich nicht. Dafuer viele Jurten und viele Pferde. Unterwegs trafen wir auf eine kirgisische Familie, die zur Erhohlung hochfuhr. Ein Stueck liefen wir mit ihr zusammen hoch. Dort hinten sieht es aus wie in unseren Schweizer Bergen. Es koennte irgendwo beim Spluegenpass sein.
Ein Berg heisst sogar “Pik Jelzin”, aber kaum, weil dieser es da hinauf geschafft hat, sondern weil im Sanatorium einmal ein Treffen mit Kirgistans Ex-Praesidenten Akaev stattgefunden hatte. Uebrigens hatte Jurij Gagarin seinerzeit dort oben die Ferien verbracht.
Wir jedenfalls schlugen den Weg zum einen Talende ein, wo mehrere Jailoos (Sommerjurtenlager) standen. In einem kleinen Gehege waren ein paar Fohlen. Hunde kamen auf uns zugerannt. Zwei Paar neugierig skeptischer Kinderaugen waren auf uns gerichtet.
Eine Frau kam schuechtern auf uns zu. Ich fragte sie, ob es moeglich waere in der Naehe ihrer Jurte unser Zelt aufzuschlagen. Sie meinte laechelnd, da muesse sie schnell ihren Mann fragen. Ihr Mann, ein hagerer Mann mit ausschliesslich Goldzaehnen im Mund, kam aus der Jurte. “Selbverstaendlich”, meinte er, “Sajkal, komm mit. Finde einen guten Zeltplatz.” Das Maedchen mit dem Namen Sajkal rannte mit ihrer kleinen Schwester auf den Huegel und tappte mit dem Fuss auf die Erde. Dort war unser Lagerplatz. Keine Minute Ruhe war uns beschieden ;). Die beiden kleinen Maedchen sassen, lagen, standen vor unserem Zelt und warteten jede Bewegung ab, die wir machten und staunten jeweils oder lachten verschmitzt. Sajkal war im Gegensatz zu ihrer Schwester ganz dunkel und trug einen roten Pullover mit der Aufschrift “Adiads”. Ihre Schwester, die einen etwas schwierig einzupraegenden Namen trug, war kurzgeschoren, wie das viele Kinder sind, und blond. Sie legte ihre Stirn meistens in tausend skeptische Faeltchen. Als wir das Zelt aufgestellt hatten, machten wir eine kleine “Fuehrung”. Alle waren ab unserem kleinen koreanischen Zweierzelt begeistert. Lustig, wir fanden die Jurte natuerlich interessanter. Irgendwann kamen noch die Nachbarsmaedchen von oben und gesellten sich zur Kindergesellschaft vor unserem Zelt. Das eine Nachbarsmaedchen lernte in der Schule bereits Russisch, und wir konnten uns so unterhalten. Ich glaube, sie war ganz stolz vor allen anderen Kindern soviel mit uns plaudern zu koennen. Ihre Hobbies waren Karaoke und Lernen, wie ich herausgefunden habe. Es sei etwas langweilig langsam auf dem Jailoo, aber bald beginne wieder die Schule im September, dann koennten sie wieder runter.
Wir kochten unser Abendessen auf dem Spirituskocher. Die Maedchen hockten die ganze Zeit neben uns und schauten gespannt zu.
Der Vater sagte uns, er werde nachts ein Auge auf unser Zelt haben. Es gaebe viele Tiere dort oben, wir muessten aber keine Angst haben. Die Frau meinte aber, sie haette schon etwas Angst in diesem kleinen Zelt, doch ihr Mann passe gut auf.
Nachts merkten wir auch, was sie meinten. Die Kuehe mussten wir einige Male wegjagen. Das Geschnueffel im Ohr weckt doch einigermassen. Einmal hoerten wir lautes Pferdegewieher, dann bebte die Erde um unser Zelt ab sprengendem Galopp. Da war uns schon nicht mehr so wohl. Als wir rausguckten, sahen wir zwar nur Schwarz, doch die Maenner waren aus der Jurte gekommen und liefen mit den Taschenlampen herum und so schien uns alles in Ordnung.
Am Morgen beim Fruehstueck fragte ich, was gewesen sei. Ein fremder Hengst war von irgendwoher zum Lager gekommen. Ihr Hengst haette mit diesem einen Kampf angefangen.
Zur Familie gehoerten noch zwei Jungen im Alter von 19 und 26, Sultan und Mirlan. Mit ihnen gingen wir ein paar Stunden mit den Pferden in die Berge hoch. David sass bei Sultan vorne oben auf dem Pferd. Mirlan sprang manchmal hinten auf mein Pferd hoch, eine Stute mit “Anhang”, Fohlen. Mein Pferd hatte gar keinen Namen, da taufte ich sie Carla, nach einer Person, die im Buch Shantaram vorkommt. Das Fuellen benannte ich dann so halbwegs nach Carlito, einem Cousin meiner Mutter. Als wir beim Wasserfall waren, kletterte Sultan die Steine hoch, damit wir von ihm ein Bild machen. Irgendwann mussten wir rufen “Ist gut, wir glauben es reicht jetzt. So hoch musst du auch nicht rauf!” Die Bilder versprachen wir ihnen spaeter zu schicken. Ich hatte auch viele Fotos von den Maedchen gemacht.
Gegen Abend brachen wir unsere Zelte ab, verabschiedeten uns von der Familie und suchten zuerst nach einer Fahrgelegenheit. Wir mussten zuerst ein Stueck zu Fuss gehen, dann fuhr ploetzlich ein rechtsgesteuertes Buesschen vorbei. Drin lief laute kirgisische Volksmusik. Nach diesen Kassetten hielt ich spaeter auf dem Markt noch Ausschau. An der Nationalstrasse warteten wir dann auf einen Bus nach Karakol zurueck. Am Strassenrand beim Laden standen Kinder, die uns ganz stolz tausendmal “Hello, hello!” zuschrien.

« Previous PageNext Page »