March 29, 2010

Stuendeler Huendeler

Filed under: Kochi - Irkutsk 2010 — sarah @ 7:47 pm

Hundeleben in Indien. Ein Leben als Hund. Hunde leben in Indien. In Indien “leben” Hunde. Eine kleine Auslegeordnung zum Thema. In Indien ist ein richtiges Hundeleben moeglich. Mager, zerlaust, rippig, aufgedunsen, von Kraetze befallen sind die schwaecheren, die missmutigeren, die sich winselnd, flehend auf den Boden werfen oder ploetzlich aus mutiger Dummheit irgendwo zubeissen. Die anderen, die etwas staerkeren eben, sind sicher genauso windigen Charakters, doch sie halten sich gut, denn sie sind schlauer. Sie laufen mit Touristen als treue Begleiter mit, lassen sie Sicherheit und Treue spueren, bis sie ein Stueck Fisch bekommen oder dann doch einfach als Schleimer entlarvt und mit dem einheimischen “Hep!” weggejagt werden. Das ist das Hundeblicktraurige: Obwohl sie sich im Rudel so stark fuehlen, und ganze Straende unsicher machen, sucht sich jeglicher Klaeffer irgendwie den Bezug zu einem Menschen. Zurueck zum Wolf, das ist zu spaet. Das koennen sie nicht mehr. Der Mensch ist ihre Gnade. Indische Hunde fristen ein Leben unter absoluter Menschengnade: Sie werden genaehrt, verstossen, verjagt, getreten, gefuettert, beworfen – aber nicht getoetet. Mehrmals jaehrlich bringt die Huendin neue und wieder neue Geschoepfe zur Welt. Es sind samtweiche kleine Welpen, die in den Ressorts von Touristen gepaeppelt, von Kindern gehaetschelt und getaetschelt werden. Man liebt das Leben, solange es jung ist. Wie die Hunde ausgewachsen sind, traegt die Hundemutter bereits die naechste Generation. Ihre Zitzen sind so gross, man meint, man könnte dieses Tier melken wie eine Kuh oder eine Ziege. An jungen Hunden fehlt es nie – ein wahrer Jungbrunnen. Die Alten muessen sich selbst durchzuschlagen wissen. Manche mausern sich zu tatsaechlich treuen Dienern, die den Weg nach Hause zeigen, andere Hunde verscheuchen und ergeben vor der Huette warten. Andere kaempfen sich sonst auf irgendwelche Art an den Menschen vorbei durchs Leben. Sie fahren Schiff, Zug, warten an Bahnhoefen, baden am Strand. Richtige Stuendeler.
Kuerzlich bestieg einer mit uns das Schiff nach Long Island in Rangat. Ein schlanker Hellbrauner mit glattem Fell. Ein angetrunkener Bordmechaniker suchte ihn anfaenglich, vergass ihn im Laufe der Ueberfahrt aber dann. Kurz vor Long Island entdeckte er denselben wieder, als dieser am Bordrand stand und scheinbar irgendwohin aufs Meer hinausschaute. Also schlich er sich heran, und befoerderte den Braunen mit einem kurzen heftigen Tritt ins Wasser. Es waren noch ein paar hundert Meter bis zum Ufer. Der Hund tat nichts anderes als hinter dem Schiff hinterher zu schwimmen. Er folgte deutlich der Fahrspur, den Kopf knapp ueber Wasser und eilig paddelnd. Ich war froh, jaulte er nicht und schwamm irgendwann endlich direkter auf die Insel zu. Er wuerde es schaffen, wussten wir nach ein paar Augenblicken. “Idiot”, zischten wir boese ueber den Mechaniker. Was ist das fuer eine Gnade, aus Prinzip “nie” aber “beinahe” umgebracht zu werden?
Ich stand noch einige Minuten am Pier und hielt nach dem Tier Ausschau. Ich frage mich immer noch, ob ich hinausgeschwommen waere, um es dort rauszuholen, waere es wirklich noetig gewesen. Nun? Waere ich, waere ich nicht? Zum Glueck muss ich das nicht beantworten, denn der Hund lebt jetzt auf Long Island …

Die Schneiderkatze

Filed under: Kochi - Irkutsk 2010 — sarah @ 7:42 pm

Eines schwuelen Abends auf den Andamaneninseln liefen wir bereits im Dunkeln die betongepfadete Strecke ins Inseldorf hinunter. Wir waren derzeit auf Long Island, einer kleineren, menschenleeren Insel. Das Dorf bestand aus notduerftig gebauten Huetten und Bretterverschlaegen. Zu gewissen Tageszeiten glich die Siedlung einer verlassenen Goldminenstadt. Dort, in dieser verlassenen Ortschaft, oeffneten sich jedenfalls die Fenster und Ladentueren erst, sobald es dunkelte. Erst dann erwachten die Buden zu Leben und knatterte aus Transistorradios der letzte Bollywoodhit.
An jenem Abend bedurfte ich eines Schneiders, um an meinem Lunhgi (Wickeltuch, ueblicherweise von Maennern getragen) einen Saum naehen zu lassen. Tatsaechlich fanden wir zwei Schneider im Dorf. Der Juengere hatte seinen Laden ziemlich voll, auch quoll es daraus an Stoffen nur so hervor. Der Aeltere hingegen stand in einem puppenstubenkleinen Lokaelchen. Seine lange weissgekleidete Gestalt wiegte sich langsam, waehrend er mit dem Buegeleisen einen dicken Stoff glaettete. Bei ihm spielte ein rotes Kaetzchen mit einem Fadenknaeuelchen auf dem Schneidertisch. Unter der Tischplatte schielte ein Hund hervor.
Wortlos trat der Schneider einen kleinen Schritt auf mich zu und begutachtete den Lunghi, indem er ihn in der Luft entfaltete. Kein Wort war noetig. Auch nicht meine kurze Begruessung und der Hinweis auf den ausgefransten Stoffrand, der sich immer weiter in den schwarzen Stoff frass.
Der Schneider stellte das Buegeleisen zur Seite, wedelte langsam mit der Hand, was dem Kaetzchen galt, das dem heissen aufgerichteten Dreieck zu nahe kam, und eine deutliche Sekunde lang strich die lange trockene Hand ueber das rote feine Fell. Der Schneider setzte sich behende an die alte Tretnaehmaschine und zog von irgendwoher einen fast unsichtbaren Faden hervor. Er suchte mit grossen Augen das Nadeloehr. Das Kaetzchen pfoetelte nun fein gegen den Finger des Schneiders und den Faden, dann drehte es auf der Naehmaschine eine Runde und sprang auf den Boden. Der Hund, der sich vor Langeweile den Kopf auf die Pfoten gelegt hatte, wachte schlagartig auf und schlich langsam dem Kaetzchen hinterher, das aus dem Laden beinelte. Der Schneider hielt gerade einen Moment inne, er hatte das Oehr gefunden und den Stoff nun unter die Nadel gezogen. Ich sah den Hund im heimlichen Anlauf auf die Katze, welche sich schon buckelte, als ganz unerwartet ein langer Bambusstock aus dem Fenster auf den Hund hinabschnellte, so zischend und knallend, dass dieser laut aufheulte und von der Katze wegsprang. Der Hund wurde einsilbig an seinen Platz verwiesen, und das Kaetzchen trabte siegreich zurueck und sprang wieder auf den Schneidertisch. Der Schneider trat aufs Pedal und der schwarze Stoff glitt durch Daumen und Zeigefinger. Das Kaetzchen beobachtete, sprungbereit. Der Schneider drehte den Oberkoerper zur Seite, streckte sich zu einem Faden und rollte ihn zwischen den Fingern zu einem Kuegelchen. Das Kuegelchen legte er auf die stoffige Unterflaeche und spickte es lautlos weg. Das Kaetzchen frohlockte mit kleiner Kralle. Der Schneider fuhr fort. Der plumpe Huempu seufzte, der Arme. Dies war nicht seine Geschichte. Am Ende des sanften Stoffes schnitt der pharaonenhafte Schneider mit langer Schere den Faden entzwei.