March 4, 2010

Von Stalins Reinkarnation, Heiligen, Halbgoettern und Honda Heroes

Filed under: Kochi - Irkutsk 2010 — sarah @ 5:29 am

Goetter, Heilige und Helden – kein Tag in Indien vergeht, ohne dass man ihnen begegnet.
Die grossen Tempelanlagen beherbergen einen ziemlich grossen Pantheon. Von Shiva ueber Vishnu und Ganesha bis zu Meenakshi, der fischaeugigen Goettin mit drei Bruesten, – man findet hier alles. Hier segnet nicht der Priester sondern der Tempelelefant, mit seinem Ruessel gibt letzterer seinen Segen gegen eine Silbermuenze. Aus dunklen Nischen schauen uns schwarze von Butter glaenzende Goetzen entgegen. Die Glaeubigen streichen sie mit Butter ein oder entzuenden an ihnen Ghee (butteraehnliche Fluessigkeit). An den manchmal unfoermigen Goetztenleibern kleben bunte duftende Blumen – Jasmin und Ringelblume. So laechelt uns manchmal ein vergnuegter schlanker Shiva im Halblotussitz aus seiner Hoehle zu und manchmal ballt sich uns eine konturlose staemmige Masse aus dem oeligen Dunkel entgegen. Die Luft ist feucht, wenn sich viele Menschen im Tempel bewegen. Die Masse bewegt sich konvulsiv auf das immer enger werdende zentrale Heiligtum zu. Das Gemurmel, die gesungene Formel wird eingehender. Soviele Menschen, dass es unmoeglich ist wieder umzukehren. Langsam immer einen Schritt naeher zur kleinen Oeffnung, zum Shiva Lingam, einem schwarzen phallusartigen Sockel, mit Blumen behaengt, Shivas potentativer Repraesentant. In meinem Bauch zieht es sich zusammen. Es ist feucht und eng. Schweiss tritt aus allen Poren. Ein bisschen Luft … Wir sind aus der Schlange herausgetreten. Ein Seiteneingang auf der Hoehe des Heiligtums erlaubte uns “von aussen” nochmals einen Blick ins Heiligtum zu werfen. Ich kann es noch nicht so richtig, Teil der Menge, der Masse sein. Ich wuenschte mir hier manchmal herausgehoben zu werden. Wie frueher waehrend der Chilbi oder der Fasnacht, als mein Vater mich aus der Menge zog und auf seine Schultern setzte.
Von den Goettern nun zu den Heiligen: Der Unterschied ist mir nicht immer so klar, zumal Goetter genauso in Bild und Figur Verehrung finden wie die Abbildungen der sogenannten Sri Aurobindos, Ammas und Mothers. Amma bewirtschaftet mit ihren taeglichen Umarmungen weltweit und lokal ein ganzes Ashram in der Naehe von Alappuzha. Dort sind wir mit dem Boot vorbeigefahren. Unter Ashram hatte ich mir eine abgelegene Herberge, etwas Klosteraehnliches, vorgestellt. Der riesige rosa Hotelbunker wirkt dank multiplikativer Zellenstruktur leicht berechnend. Amma war damals gerade auf Dienstreise (hier das wunderbare russische Wort komandirovka). Trotzdem standen viele Schwerbepackte Rucksacktouristen am Quai, kommend oder gehend. Mit oder ohne inniger Umarmung der ewig muetterlich Laechelnden.
Jenseits des Mamikomplexes steht die Manifestation einer starken Vaterfigur. Dieser Vater strahlt von jeder Hauswand in jeder Stadt, in jedem Dorf. Er umarmt die Kinder, lacht beherzt, laeuft im schneeweissen Hemd und Lunghi auf den Betrachter zu, umgeben von einer regenbogenfarbenen Aura. Es gibt Leute, die habens. Und er habe sogar den richtigen Namen, so meinen manche. Vaeterchen Stalin, bekannt als M.K. Stalin Deputy Chief Minister von Tamil Nadu, Angehoeriger der staerksten Partei DMK (Dravida Munnetra Kazhagam – Dravidian Progress Federation). Nomen sei Omen. Oder man geht von Wiedergeburt aus: Josef Stalin erfuhr 1953 in Tamil Nadu folglich seine Reinkarnation. Merwuerdigerweise geschah dies am 1. Maerz, also vier Tage vor seinem Todestag. Wie dem auch sei: Heute, 2. Maerz, war jedenfalls in allen Zeitungen von den Geburtstagsfeierlichkeiten des beliebten M.K.S. zu lesen. Offensichtlich waltete er auch an seinem Geburtstag seines Amtes: In den Zeitungen sieht man Photos vom Besuch einer Schule. Ich verstehe tamilische Politik nicht, doch es scheint mir, dass bis auf Schnauz und Vaterkult keine weiteren Parallelen zu seinem frueheren alter Ego bestehen. Reinkarnation auf hoehere Stufe? Ach was, eine Muecke. Stalin ist bloss eine Muecke, eine von mir.
Hinter einer Vaterfigur steht nicht selten eine weitere, in M.K.s Fall ein wohl autoritaerer Politikervater. Und so reihen sich neben den Matrjoschkas die nicht minder reproduktiven Papjoschkas oder Paterjoschkas.
Neben den PolitikerInnenikonen existiert ein Priesterstand. Sie erteilen unter anderem den sterblichen Helden den Schutzsegen, bevor diese in die Strassenschlacht ziehen. Der heutige Held heisst nicht mehr Rama, sondern Honda Hero. Schnell, flink und mit einer goldenen Hupe bestueckt, teilt die Honda taeglich das Stadtgewuehl. Nicht genug, dass vor den ersten Spritzfahrten eine Pruefung abgelegt werden muss, die Maschine muss vor allem auch einen Schutzsegen empfangen.
So liess ein Mann im Bergort Munnar (Staat Kerala) seine Honda segnen. Ein Priester brachte ein Feuer und wandelte einige Male um das Motorrad. Mit hellem Sandelholz und rotem Puder versah er die mechanischen Chakren der Maschine mit Punkten. Der Eigentuemer sass danach flankiert von einem Freund, der die Haende zum Gebet faltete, auf sein Motorrad und erholb den Blick zum Elefantengott Ganesha im Dachfirst des Tempels. Der Priester versah das Motorrad mit einem Blumenkranz und legte unter jedes Rad eine gruene Limone. Nun bat er den Eigentuemer Gas zu geben und ueber die Limonen zu fahren. Der Motor brauste auf, die Limonen spritzten. Und dann fuhr er von dannen, der frisch gebackene Honda Hero.

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