January 16, 2007

Multan

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 10:22 pm

Zeeshan, jetzt nenne ich in “my Pakistani brother” :), nahm uns um den 30. herum in seinem kleinen weissen Suzuki in seine Heimat in der Nähe von Dera Ghazi Khan mit. Neun Stunden Fahrt annähernd bis Multan, wo wir einmal übernachteten. Seezhan war mein verkörpertes Bollywood. “Nobody can stop me from listening this muuusic!!” war seine Philosophie und die Party war da. Ansonsten lief Radio Zeeshan mit belehrenden Ausrufen wie: “Sarah, Sarah look! This is a sugar cane field!! …. Look! This is our big river Indus! …. Look! Overthere are Mango trees!” Ich gebe zu, dass ich mich ab und zu buchstäblich tot stellte, um ein bisschen weniger Wortschwall abzubekommen ;). “What is with her? Do you know yar (friend), I think Sarah is too shy! Today she doesn’t talk anything. First I thought she was outgoing, but today…” 😉 Zeeshan war ständig am Brüten, er schien einfach immer “eingeschaltet” zu sein. Unterwegs hielten wir in einem Ort, um einen Onkel (?) Zeeshans zu besuchen, welcher der Kinderarzt im Ort war. Im Raum, der auf die Strasse offen war, tummelten sich Frauen mit Kleinkindern, uns wurden neugierige Blicke zugeworfen. Umringt von einer Gruppe Frauen entdeckten wir einen Mann an einem Holzpult vor aufgeschlagenem Heft, eifrig die Patientenlisten führend. Er begrüsste uns und wies uns in den oberen Stock, der kaum ausgebaut schien, in sein Büro. Wir bekamen vier Milk teas (char chaj) und sprachen über Konfessionen. Zeeshan stellte irgendsoeine Frage, und die Koran- und Bibelstunde war eröffnet. 😉 Seinen Onkel sahen wir eigentlich gar nicht mehr, aber die Pause war gut! Multan war unser erstes Ziel für den Tag. Wir kamen gegen Abend dort an, mussten uns umziehen, die schönen Sachen, die wir gekauft hatten, um nachher in einer lotterigen Kneipe mit Brathähnchen im Hinterhof zu essen 😉 “Zeeshan I feel terribly overdressed!!” – ” No, you look alright. Everything is fine.” Danach fuhren wir zum grössten Shrine in Multan, es war bereits stockdunkel, und es hatte dort kein Licht. Wir liefen barfuss über die nachtkalten Plättchen auf dem Platz, über die glatte Schwelle des Eingangs, auf die man eben nicht treten sollte, und schlüpften vorbei an ein paar Öllichtern ins warme Dunkel. Es war still, und man hörte aus den Nischen Atmen, der Shrine des Sufis glitzerte, es roch nach Blumen. Unsere Füsse, Ohren und Nasen sahen anstelle unserer Augen. Ich erschrak kurz, als ich fast über den Fuss eines Schlafenden stolperte. Es war ein blinder Gang zu einem schönen, friedlichen Shrine, wo alles ruhte. Auch am nächsten Tag gingen wir dorthin, und wir sahen den Ort mit unseren Augen. Doch blind gefiel mir der Ort am besten.

Bilder

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 10:21 pm

sudo.ch/gallery : Pakistan

Der erste Tag in Lahore

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 10:18 pm

Was soll ich sagen? War ich überrascht? Ich kann es gar nicht mehr genau sagen, ich hielt mich einfach für den wohl glücklichsten Menschen. Ich war bei dem Menschen, der mir am liebsten ist, mit dem ich wohl überallhin reisen könnte, und in einer chaotischen mir noch rätselhaften Stadt. Am ersten Tag, vielleicht ist dies auch der Müdigkeit zuzuschreiben, ergriff mich immer wieder das Lachen. Wohin wir liefen, ich konnte fast nur Männer sehen, und die schauten sich weiss nicht was nach uns um. Ganze Gruppen in Bussen drehten synchron mit grossen weissen Augen, ihre Köpfe nach uns. Zeeshan, der uns am Flughafen abgeholt hatte, nahm uns zuerst zu sich nach Hause. David und ich standen auf dem Flachdach oben und schauten auf die dunstig staubigen Strassen runter, auf die vorbeipreschenden Motorbikefamilies (Papa, Kind, Mama, Kind). Zeeshan warf mir eine Amrood zu (Birnenförmig, wird oft zu Juice gepresst). Ich war zurück! Das war mein Gedanke dort oben. Zurück in der Welt. Mein Vater pflegte manchmal etwas nüchtern zu sagen “Welcome back to reality”, wenn ich aus Russland in die Schweiz zurückkam. Nur, was hat es denn mit Realität eigentlich auf sich? Gerade Russland entfaltete sich mir mit einer Art von “grausamer” Schönheit und altem tiefem Puls. Es war der erste Ort, an dem ich das Gefühl hatte in das kalte Wasser des Lebens geworfen zu werden. Die Schweiz schien mir ein Schlummerleben dagegen. Ethan Casey schreibt in seinem Buch “Alive and well in Pakistan” (hängt mich nicht zu sehr daran auf, es ist das einzige Buch, das ich zu Pakistan gelesen habe!): “… to know how artificial and stylized life is in suburban America, like a sitcom in endless reruns. (…) Once I had peirced the membrane and escaped, there was no going back.” Nicht weniger schien mir diese Luft dort Realität zu sein, nicht weniger kam ich mir als Teil von Geschehnissen vor, die wir dort mit Leuten in diesen drei Wochen teilen würden. Am Abend gingen wir Kleider kaufen, zuerst fanden David und Zeeshan sich je zwei Paar schöne Shalwar Kameez (Shalwar: pludderige Hose mit unbegrenzt weitem Bund, Kameez: langes Überkleid, bzw. Hemdbluse). Im Frauenkleidergeschäft sassen vier Verkäufer. Frauen arbeiten nicht in Geschäften. Einen Spiegel gab es nicht, David beriet mich farblich. Vom Schnitt sind alle Shalwar Kameez sehr ähnlich weit geschnitten. An der Ecke beim Anarkali gibt es einen Fruit Juice Stand mit Tischen und Stühlen, und alle schlürfen Juice. Quaya kachur (ungefähr) ist ein unübertrefflicher Dattelshake! Ab zwei Personen bekommt jeder noch ein kleineres Glas, damit man gegenseitig austauschen kann!! Herzig oder? Zeeshan hatte uns ein Hotel ausfindig gemacht, unweit von seiner Uni, wo wir zwei Tage blieben.

Noch eine Spur von Mehndi

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 9:38 pm

Ich sitze im Schnellzug nach Zürich, und meine Hände nesteln wieder nervös in meinen tausend verschiedenen Studienblättern. Eine bereits grüne Landschaft mit klaren geraden Linien zieht vorbei. Ich brauche aber nur auf meine beiden Handrücken zu schauen, um die letzten Spuren Pakistans auch noch vor Augen zu haben. Es war der 31. Dezember 2006, als ich kurz vor Mitternacht auf einem grossen Bett sass, umringt von vier bis fünf Frauen. Eine von ihnen malte mir Blumenmuster auf die Hände, exakt dann, als das alte Jahr ins neue überging. Somit trage ich auch noch sichtbare Spuren des alten Jahres an mir.

December 8, 2006

pakistan kommt näher,weihnachten auch

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 1:22 am

es ist so…

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 1:21 am

die pakistanis haben meinen pass verloren. seit zwei wochen höre und bekomme ich nichts. nach zwei telefonaten mit einem netten herren, der zweimal meinte: “Please, call in half an hour again” und schliesslich “Sorry, Ma’am, I couldn’t find anything,” hatte ich einen kleinen sherlock-holmes-einsatz auf der post (an welchem tag, um welche uhrzeit stand ich bei wem an welchem postschalter a,b,c,d,e,f oder g?) dabei fand ich nur heraus, dass der eingeschriebene brief mit meinem pass abgeschickt wurde, also in der botschaft sein muss. jetzt habe ich noch genau zwei wochen zeit. als hätte man nicht genug anderes in der vorweihnachtszeit als einen pass in bern zu suchen, der es vom hauptpostamt angeblich keine 6km weitergeschafft haben soll. wär ich doch vorbeigegangen, kann ich eigentlich auch sagen. naja, jetzt muss ich wohl morgen nochmals anrufen und die leute zur suche bewegen. davids pass lag in der chinesischen botschaft in bishkek ja auch auf dem boden, worauf die chinesischen beamtinnen laut david nur hemmungslos kicherten. 😉

ich stelle mir vor…

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 1:20 am

ich packe meinen koffer oder vielleicht besser rucksack am heiligabend, den ich noch irgendwo singend mit mozart  in einer katholischen kirche verbringe. am 25. fliege ich los mit einem weihnachtsgeschenk im gepäck, aber keinem wein, keiner guten wadtländer saucisson oder ähnlich, da alkohol und schweinefleisch verboten sind. ob mich meine mutter an den flughafen begleitet oder freunde oder niemand? mit den eltern habe ich a) entweder einen weihnachtsstreit bekommen, und sie stehen nicht am flughafen, b) meine mutter steht am flughafen und weint vor Freude/Sorge/gar nicht, c) mein vater lauert mir am flughafen auf und entführt mich nach hause 😉 d) alle nehmens hin und ich stehe mit mama/ohne mama, mit/ohne papa, mit/ohne beiden am check-in. ich tausche meine festtagskleidung mit einem langärmeligen, knielangen leinenshirt, das ich mal für zentralasien in kazan kaufte. in meiner grossen tasche, die ich nur mitnehmen darf, wenn ich nicht britishairways fliege, verbirgt sich ein grosses tuch, welches ich mir schnell umbinden kann, wenn wir landen. der flug dauert lange, am 26. komme ich an. geschlafen habe ich vor aufregung fast nicht, und ich bin müde und fürchte schlecht auszusehen. es dauert mit einigen kontrollen ein weilchen bis ich draussen bin. dort steht dann mein freund mit so nem hütchen und pakistanischer kleidung und freut sich über das ganze gesicht und meint er werde den rest seines lebens als schafhirte in pakistan verbringen/oder auch nicht. ich habe das kopftuch an. wir küssen uns vielleicht/ gar nicht/ evt. schnell unter meinem grossen kopftuch? wir treten raus, und es schlägt uns eine bisher noch nie gekannte gelbe würzige schwüle entgegen. es blendet so sehr, dass wir uns noch kaum sehen.

wie, weihnachten in pakistan?

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 1:19 am

ja klar, weihnachten und grad noch neujahr und die drei könige.
was in einem so vorgeht, wenn man sich länger nicht sieht, welche kopffilme ablaufen, welche hollywood..äh bollywood weltuntergänge und holy bollywood sonnenaufgänge man sich ausmalt….

November 3, 2006

…und jetzt die Zentrifuge

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 5:49 pm

Als wäre unsere Reise versandet…Aber nein! Ich habs nicht mehr durchgehalten, meinen vielleicht zu naturalistischen Reisebericht zu schreiben. Irgendwo, irgendwann wollte es nicht mehr so richtig. Deshalb sammle ich kurz alles Wichtige, stecks in die Zentrifuge und man kanns im Zeitraffer lesen.
Kokand: Medressas, die liebe Familie, die uns beherbergte
Tashkent: mehrere Stunden Fahrt, Grossstadt, Metro, teures Übernachten (für unsere Reiseverhältnisse), usbekisches Theater (Leb wohl Freundin), ein richtiges Moralstück, von Melonen überlaufender Bazaar, neue Gesichter, auch unter den Reisenden, neugierige penetrante Miliz
Samarkand: Registan, rote Mosaiktiger in einer der schönsten Abendröte, 1500 Som an einen Milizionären für eine Minaretterklimmung, anstelle von Essenlüsten Essensfrüste und ein ordentliches Bauchweh, Treibenlassen durch den grossen Bazaar, Bibi Khan Mausoleum, chinesische Frau von Amir Timur
Shakhrizabs: Kleiner Weiler, Geburtsort von Amir Timur, ruhig, heiss, mehrere Hochzeiten mit Trauergesichtern der Vermählten, was uns zu denken gab, wohnen bei einer 8köpfigen Familie mit Baptistenmutter und muslimischem Vater nach sowjetischem Gepräge, lustige Kinder, kleiner Welpe, der die nacht ohne seine verstorbene Mutter durchheulte, dass es mir das Herz hätte brechen können, altes Brot, Englischhausaufgaben der Tochter erledigen, bzw. “helfen”
Buchara: Wohnen in einem alten Bucharerhaus (200 Jahre alt), ein Traum, der uns lediglich den etwas anstrengenden Eigentümer Mubin Djon kostet ;), der aber im Grunde ganz lieb ist, Ex-Olympiatrainer in Leichtathletik, Kennenlernen von Nozima, einer Innendesignerin, die ihren Aufträgen in Buchara nachjagte und ihr Glück in Paris versuchen möchte, eine Person, die mir mit ihrer Wärme ans Herz gewachsen ist, Ausflüge in die Gegend, und Leute, Leute, Leute…
Khiva: Mit einem Paar, das wir in Bishkek getroffen hatten, fuhren wir weiter nach Khiva in einem Shared taxi, Fahrt durch die Wüste, Flussgrenze zu Turkmenistan, ein paar wenige Jurten, Fischessen mitten in der Wüste in kleinem verlorenen Lokal, Ankunft am Abend, weniger touristisch als angenommen, Kinder hingen an unseren Armen und wollten Fotos und Adresse, Lippenstift und Bonbons, Blick vom Minarett auf die Stadt, eine kleine Führung am nächsten Tag, Einblick in die Geschichte, Essen ist eine verzweifelte Angelegenheit, kaufen uns Mars und Twix und eine riesen Honigmelone auf dem Markt, bekomme Läuse, und es beisst Tage lang unerträglich, Fahrt nach Urgench an den Bahnhof.
Samarkand: Nachtzug nach Samarkand mit zwei älteren Herren: Volodja Kim, einem usbekischen Koreaner und einem älteren Usbeken, der schon bedrohlich viel Tee trank, Volodja bot uns von seinem zähen, fleischlosen Huhn an, der andere Mann bewirtete mit viel Tee, Ankunft um vier Uhr morgens, Vodka mit Tomaten für Volodja, Kaffee für uns, schlafen in der selben Herberge, Registan am Morgen, Besuch von kirgisischem Präsidenten Bakijev in seiner schwarzen Limousine, zurückgekämmtes graues Haar, den Ellbogen auf dem Fensterrahmen abgestützt, ein letzter langer Blick auf den Registan – und vorbei, die Springbrunnen versiegten nach fünf Minuten und die Autos durften wieder fahren.
Tashkent: Nahender Abschied, Wohnen privat bei einer Familie auf dem Teppichboden, riecht nach Ei, und von der Wand schauen die Ahnen, ziehen um in ein teures Hotel, treffen Nozima, gehen ins Ilkhom Theater, wo wir ein bezauberndes originelles Stück über die usbekischen Knabentänzer sahen, Warten auf Mittwoch und auch nicht.
Mittwoch, Tashkent: Wieder ein Flughafen, mehr ein Trennuns- denn ein Treffpunkt in meinem bisherigen Leben. Flug kurz nach sechs, nicht wissen, wie sich verabschieden so früh und so schnell. Gepäck scannen, Augen trocknen, sich zusammenreissen und trotzdem denken SCHEISSE. Was für ein Jahr, zugegeben. Eine Achmonateminusbeziehung mit einem vier Monateplusbonus mit 24hzusammensein, wie günstig und wie traurig manchmal. Aber irgendwie braucht jeder seine Fahrkarte, und das ist auch gut so. Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr eine fürs ganze Jahr haben können, wenn das nicht zu teuer kommt. Die SBB hat mich hier schon wieder mit ihren tausend Angeboten, dass ich kaum zum Studieren komme, soviel bin ich am Rumrechnen : ).
Istanbul: 4Tage Stopp allein, mein Freund Emre liegt mir Lungenentzündung im Spital, schön an der Küste gelegen. Wohne bei seiner Cousine und deren Mann, habe eine gute Zeit, werde zwar krank und es beisst mich auf meinem Kopf, doch die Stadt tröstet mich mit ihrem salzigen Wind, mit ihrem guten Essen, ihren warmherzigen Augen und lenkt mich ab mit ihren Geschichten. Ich komme in Europa an, und die Schweiz ist nur noch ein Katzensprung entfernt, das Zuhause wird mir wieder vertrauter aus nächster Ferne.
Zürich: Als wäre ich kaum weg gewesen, ausser Wundern und wenig Staunen kein Kulturschock, werde abgeholt und das hiesige Leben hat mich in Teufelseile wieder. Ich flüchte mich nach Bern, um meinen Erinnerungen noch nachhängen zu dürfen, nicht 8Monate Schweizer Leben nachholen zu müssen, mein neues Zuhause, mein wirkliches, ich hoffe es, zu beziehen. Laut SBB Werbung: bei sich ankommen.
Ja, das wars. Die Reise.

October 8, 2006

Das Fergana Tal

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:05 pm

Wir fuhren nach Fergana, südlich von Andijan. Das Ferganatal verdient auf den ersten Blick seinen Namen nicht. Von einem Tal ist weit und breit nichts zu sehen. Die Landschaft ist weitgehend flach und wird landwirtschaftlich genutzt. Baumwolle, Gemüse und Früchte werden angebaut. Die Gegend gilt als die fruchtbarste in Uzbekistan. Fergana ist eine kleine Stadt ohne grossen Stadtcharakter. Es gibt Baumalleen, vorwiegend viele Wohnhäuser, einen Busbahnhof, einen Markt, wo etwa das Stadtzentrum sein muss. Es ist etwas unübersichtlich und nicht einfach per Adresse etwas zu finden, da Strassen meistens gar nicht gekenntzeichnet werden. Unser Fahrer liess uns bei einem grossen Hotel aussteigen, von wo wir zu Fuss weiter sollten, um unseren Zielort zu finden. David konnte im Hotel kurz anrufen, damit uns jemand abholt. Nach etwa zehn Minuten stand ein Junge dort, der Sohn der B&B Besitzerin, die wir finden wollten. Das B&B befand sich in ihrer eigenen Wohnung, versteckt in einem typischen kleinen Wohnblock aus der Sovjetzeit. Die Mutter, Shakhida, war eine sehr sympathische Frau um 33, die eigentlich als Russischlehrerin arbeitet. Ihr Sohn war sehr aufgeweckt und sprach Englisch. Shakhida sprach auch Englisch, und es schien, dass sie viel über ihren Sohn aufschnappt. Er jedenfalls sprach David mit “Sir” an ; ). Es brauchte ein Weilchen, um das auf “David” zu ändern. Es hatte noch andere Gäste in der Wohnung, ein junges Paar aus Milano und eine ältere reiselustige italienische Dame. Wir schliefen im Wohnzimmer auf den ausrollbaren dünnen Matratzen. Am Abend lernten wir den Onkel und Gönner der Famillie kennen. Ein grosser dicker Mann mit Dickschädel. Er brachte eine grosse Honigmelone mit. Er muss eine wichtige Position in der Familie innehaben, denn seine Ideen scheinen oft nicht mit denen Shakhidas vereinbar, doch dennoch wird der Onkel respektiert. Er scherzte den Jungen in zwei Jahren (sechzehn) zu verheiraten, wobei das nur als halber Scherz ankam. Shakhida wurde mit sechzehn selber verheiratet und bekam mit neunzehn ihren ersten Sohn. Ebenfalls wurde der Onkel zu seiner Zeit mit sechzehn verheiratet und hat bis jetzt mehr denn acht Kinder (genaue Zahl vergessen). Shakhida fand es heutzutage nicht modern und ungeschickt, die Kinder so früh zu verheiraten. Ihr Sohn brauche zuerst eine gute Ausbildung. Es wirkte lustigerweise paradox, den Onkel als Hilfeleister der Familie und gleichzeitig als mögliches Hindernis zu sehen. Er scheint mit der B&B Angelegenheit eng verbandelt zu sein und hat ziemlich sicher eigenes Geld in das Projekt hineingesteckt. Mich erinnerte er an einen alten grauen Gorilla, der von seiner Familie unbedingten Respekt verlangt für das weitere Wohlergehen. Am nächsten Morgen fuhren wir für einen Tagesausflug nach Margilan, welches eine knappe halbe Stunde von Fergana entfernt liegt. Vom Bazaar fuhren Marshrutki und Shared taxi die ganze Zeit. Margilan ist ein noch viel provinzielleres Städtchen mit vielen Chaikhanas (Teestuben = Restaurant) und Shashlykbuden und Lehmöfen, in welchen auf der Strasse Brötchen gebacken werden (dabei werden Teigbälle geformt und an die Innenseite des rundlichen Ofens geklebt). Margilan ist berühmt für die Seidenproduktion. Es gibt mehrere Fabriken und viele Marktstände, wo ein grosses Sortiment an Seide angeboten wird. Wir besuchten eine Seidenfabrik, die nach herkömmlichen traditionellen Methoden Seide produziert. Es gab dort für uns eine gratis englischsprachige Führung durch die Fabrik. Als wir ankamen war es ganz still, anscheinend waren viele Leute grad nicht da, weil sie auf einer Hochzeit einer Mitarbeiterin waren. Herbst ist Hochzeitszeit! Das fällt mit der Erntezeit zusammen. Die Seide wurde in schrittweiser Handarbeit hergestellt. Nach dem Kochen der Cocons wird der Faden mit den Fingern abgezogen und über ein grosses Rad (manchmal elektrisch betrieben) aufgespult. Wir sahen den Prozess des Färbens: zwei Männer tauchen die an einem Stab aufgehängte Seide mehrmals in einen Topf mit kochender oder heisser Farbe. Die Seide wir an bestimmten Stellen für die Musterung abgedeckt. Wir konnten zusehen wie die fertige Seidenspule verwoben wird. Der Webraum war gross, mit mehreren bunten Webrahmen, an denen Aufkleber irgendwelcher indischer oder koreanischer Pop- und Filmstars klebten. Im Hintergrund lief Bollywoodmusik. Die Webrahmen verfügten über verschiedene Pedalen, die für die Musterung des Atlas (reine Seide) oder Atras (Seide gemischt mit Baumwolle) betätigt werden. In einem weiteren Teil wurden aus Resten die berühmten Seidenteppiche geknüpft, eine aufwendige endlos scheinende Arbeit. Die Mädchen waren alle schrecklich interessiert, ob wir verheiratet sind und ein Getuschel und Gekicher ging durch den Raum. Die Frauen kehrten auch langsam scherzend und lachend von der Hochzeitsfeier zurück. Am Schluss kaufte ich noch ein paar Meter Atlas und Atras und ein Tuch als Geschenk für jemanden. Mit dem Stoff ging ich später in Tashkent zu einer Frau, die mir bis zum 9. Oktober daraus etwas nähen soll. Unterwegs zu einer Moschee kamen wir an einem Brautkleidladen vorbei. Die Kleider waren zahlreich auf Schneiderbüsten gezogen, dass es im Laden nach einem grossen Ball von kopflosen Frauen aussah. Ich war erstaunt auch hier weisse Kleider zu sehen. Doch am ersten Hochzeitstag wird dieses unbedingt getragen, für Fotos etc. Letztendlich haben wir in ganz Uzbekistan immer wieder “Weisse Hochzeiten”gesehen. Die Gegend gilt als weitgehend konservativ. Man sieht nicht viele Frauen nicht westlich moderner Kleidung, aber ganz verhüllte sieht man fast ebenso selten. Die Frauen tragen üblicherweise ein buntes Kopftuch, das im Nacken geknotet wird, lange etwas vorhanghafte Kleider und oft Gummilatschen. Oft wird ein plüschartiger Stoff verwendet, für Kinder oft auch, der so gar nicht kleidermässig wirkt. Die Stoffe scheinen abundzu gar nicht für Kleider bestimmt zu sein, das wirkt dann eigenartig, wenn jemand mit einem Vorhang- oder Bettüberwurfmuster daherkommt ; ). Aber es lässt sich damit erklären, dass solche Stoffe auf dem Bazaar sehr billig sind. Am Abend, zurückgekehrt aus Margilan, wurden wir mit reichlich uzbekischem Plov bedient. Plov ist DAS Essen in Uzbekistan. Es wird überall gerühmt für seine regionale “Nuancen”, seine Traditionalität, ich entschuldige mich für meinen leichten Zynismus, aber überall findet man den gleichen meist zu öligen Reis mit gelben Rüben und Fleischstücken vor. Im Voraus wird er immer gross angekündigt, doch irgendwie ist es einfach immer ein einfacher phantasieloser Reis. Lieber mochte ich immer die Früchte, wie Trauben, Granatäpfel, Birnen, Melonen, Nüsse etc. Der Plov war nicht schlecht aber sehr ölig. Man musste den Reis erst etwas abtropfen lassen. Das Öl ist anscheinend Baumwollöl, das sie zur vollständigen Baumwollverwertung herstellen.

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