August 26, 2006

Fahrt nach Almaty

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 3:28 pm

Es ist kurz nach Mittag. Wir fahren durch die kasachische Steppe. An Semey sind wir morgens vorbeigefahren. Es regnete bisher halbwegs und war angenehm kuehl im Wagon. Jetzt wird es heisser und stickiger. Es steigen auch immer mehr Leute zu. Ich frage mich, wo die alle schlafen moechten. Ein paar liegen schon zuoberst auf der Gepaeckablage, auf der dritten Etage sozusagen.Der Zug faehr langsam, schaukelnd, vielleicht 60km/h momentan. Ich lese und schreibe und unterhalte mich mit meiner Nachbarin, die sich mir als Karlegash vorstellte, einer Kasachin mit Handy am Handgelenk, das ist hier In. Gestern sind wir spaet abends an den Bahnhof gefahren mit dem Tram, es wirkte unheimlich an der Endhaltestelle, da keine Beleuchtung vorhanden ist und man sich an den Bhf tasten muss oder einfach den anderen Leuten dicht auf den Fersen nachgeht. Unser Provodnik, ein hoher Mann mit Schnauz, sprach uns stolz mit wenigen WOrten auf Deutsch an. Es hatte irgendwann ein paar Beamte im Zug, Zollbeamte, die mich wegen meiner runtergefallenen Jacke am Arm unsanft ruettelten “Ist das Ihre?” Ein paar Minuten spaeter fand der naechste zu meiner aufgehaengten Kopftaschenlampe “Und was ist das?” – “Eine Kopftaschenlampe?!”- “Stecken Sie die besser auch gleich unters Kissen, das Volk klaut wie verrueckt.” Es gab auch viel Hin-und Herlaufen im Wagon und Ein- und Aussteigen, doch es war alles in Ordnung mit unseren Mitreisenden. Die waren sogar ausgesprochen nett und mitteilsam bisher. Jedenfalls sind vorher zwei Kasachen ganz neugierig zu David gekommen und fragten ihn ueber sein Notebook aus, an dem er grad arbeitet. Fragen wie”Wahrscheinlich hat er Internet ueber Satellit da oben? (auf den Himmel deutend)” und Vorschlaege wie “Er sollte unbedingt ein Internet Cafe eroeffnen!” erheiterten das Gespraech. Meine Erklaerung war dann, dass Programmisten sowas wie Koeche seien, die sich ums Wesentliche kuemmern und den Rest wie Verwaltung den anderen ueberlassen. Dann erklaerte David Cyberduck (sein Programm – Werbung, Werbung 🙂 ),was ich irgendwie uebersetzte. Man schaute uns von allen Seiten mit Neugierde an. Etwas vorsichtig muessen wir nun sein, da jeder weiss, dass David ein interessantes Notebook dabei hat. Er muss es wohl ins Bett nehmen :). Die Steppe hoert nicht auf, und das ist ein Bruchteil des Landes. Es erinnert mich an eine Busfahrt von Madrid nach Mazzaron mit Nana, meiner Grossmutter, 1998. Die Gegend war aehnlich karg und flach, mit verlassenen Hoefen. Nana sagte, es erinnere sie an Kasachstan, das sie auf dem Weg nach Indien einmal ueberflogen hatte. Das was damals unter ihr lag, durchquere ich nun in ueber 24/stuendiger rhythmisch langsamer Zugfahrt, taram-taram, allerdings auf Umweg ueber die russische Grenze.Ich unterhalte mich mit meiner Nachbarin Karlegash, die mir von ihren Neffen erzaehlt, ihren Reisen nach Indien und in den Iran, glaub ich. Abends fahren wir an kleineren Ortschaften vorbei, die unweit vom Balkashsee liegen, dem zur Haelfte salzigen See. Die Sonne geht unter. Auf den Bahnsteigen verkaufen sie riesigen geraeucherten Fisch aus dem See, Kzmyz, Stutenmilch und Kurut, die trockenen Kaesekugeln. Wir sehen Leute auf Pferden, ein paar Haeuser mit Grasdach, ein paar Jurten, und dann – Kamele, liegend vor einer Huette zu dritt im Abendrot. Karlegash und eine andere Zuggefaehrtin boten uns Kymyz an in einer Piala (kl. Teeschale). Ich nahm einen zu mutigen Schluck und hatte Muehe das Husten zu unterdruecken, David guckte ermutigend. Es war irrsinnig sauer, mit Kohlensaeure durchsetzt. David fands auch nicht sehr geniessbar. (Es gibt aber genial guten frischen Kymyz, man sollte keinen auf der Zugfahrt kaufen, da er nicht frisch ist meistens und gepanscht.) Der Vollmond ging auf ueber der Steppe, es war still und um uns herum war nichts. Karlegash sagte, sie liebe die Steppe, sie sei dort aufgewachsen. Dort wuerden die Gedanken stroemen, weit, weit, weit, du kannst sie nicht fassen, sie fliegen dir davon. In den Bergen sammelst du sie, hast sie bei dir. In der Steppe erfuelle dich etwas ganz anderes. Das sei der Unterschied zwischen Bergland und Steppe.

One Response to “Fahrt nach Almaty”

  1. dani Says:

    He gats no! Bücher zerschneidet man nicht! Und sowieso, David muss mir den Shantaram nach Indien mitbringen, also verliert mir bloss keine Seiten! 😉
    Überigens, pyala heisst auch auf Hindi Tasse.

    Grüessli

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