Sich verlustieren in Cochin und Kochi
Acht Uhr abends in Kochi. Mit meiner Mini Nerd Computer Installation (Tastatur und iPhone als Minibildschirm), irgendwie slapstickartig, sitze ich vor dem Haus von Sir Thomas, der uns ein Zimmer vermietet. Drinnen laufen die Fernseher, irgendwo laeuft Wasser, aus dem gegenueberliegenden Hof dringt familiaeres Gelaechter zu mir herueber. Entfernt hinter mir hoere ich David, der duscht. Es ist und war sehr heiss. Die letzten Tage lassen sich sehr einfach beschreiben: wir versuchen einem Hitzeritual zu folgen. Morgens frueh aufstehen – was uns bisher leidlich gelingt, denn die Naechte sind hart gebettet und laut – in ein Kaffee, um ein Idly zu essen. Ein sog. Idly gab es bisher noch nicht – ein solcher Name macht mich neugierig, ich stelle mir irgendwas Ueberraschendes vor, etwas verrueckt Buntes IDLYYYYY- dafuer ein Appam. Reisomelettes, wuerde ich sagen, mit einer scharfen Sauce mit Kokosnuss und bestimmt Chili. Zwei Kaffees, Curt and Fruits und ein sweet und ein plain Lassi. Soviel zum Vormittag. Wir besuchen portugiesische Kirchen und gehen Barfuss um das Grab von Vasco da Gama, der seit einigen hundert Jahren hier nicht mehr liegt. Mir faellt ein, dass die Ueberreste des ehemaligen Vizekoenig von Indien nun in Lissabon im Monasterio de los Jeronimos liegen; die portugiesische Kolonialmacht schlaeft unter gut verschlossenen Deckeln, vielen schweren Grabplatten. Das grosse maechtige Portugal ruht zwischen dicken Buchdeckeln in einer palastartigen Lissabonner Bibliothek. Laengst waechst Gras drueber und Flechten heften sich an die Inschriften. Portugal der ehemalige Global Player, diese Zeit ist unnahbar und doch laeuft man diesen Spuren entlang. Ganze Schulklassen werden zum portugiesischen Seefahrer gefuehrt. Wir gehen im Zickzack oder in Kringeln durch Kochi, zu Fuss oder in der Auto Rickshaw. Strassenhaendlerinnen verkaufen geometrische Schablonen, womit man mit Kugelschreiber schoene Muster Zeichnen kann. Ja, wir bewegen uns hier anders. Langsam, rund, ruhig. In Kringeln. So als wuerde man traege versuchen die Schrift Malayalam nachzutanzen. Wir imitieren die Bewegungen der Menschen hier. Unsere Koepfe kippen von rechts nach links, wenn wir zustimmen und auch, wenn uns etwas sehr gefaellt. Dazu die luftigen Kleider. Ich komme mir vor wie ein grosser bunter Luftballon. Die Frauen sehen hier aus wie Schmetterlinge, nein, wie Prinzessinnen. Hier darf mancheine ihre Prinzessinnentraeume ausleben. Die kleinen Maedchen schoepfen hier aus dem Vollen. Rosa Rueschenkleider, die bei uns in Fastnachtskisten bis auf Februar warten, werden hier fuer Schul- und Tempelausfluege angezogen, ebenso unzaehlige Armbaender und Ketten, dass es nur so klimpert. Wo wir bei Schmetterlingen sind – die gibt es auch. Bei ihrem Anblick faellt mir das Wort Sommervogel ein. Sie sind grosse schwarze Falter mit rotem Punkt auf den Fluegeln und kleinen Fluegeln unterhalb den grossen – eine Art Heckflosse.
Sie verharren fliegend im Stillstand, so dass man herumgehen und sie anschauen kann. Am liebsten moechte man sie fangen. Nie uebers Herz zu bringen – sie zu sammeln. Nachmittage verstreichen mit Safttrinken. Lesen. Ich teile die hitzigen Nachmittage momentan mit denen Bukowskis, die er in seinen Geschichten in einem gottverlassenen Mexiko verbringt, im Enddarm des amerikanischen Traums, wo er sich eigentlich meistens befindet. Der gute alte Spinner. Ein Chinasky. Der ist jetzt, wohl nicht zum ersten Mal, in Buchform nach Indien gereist.
Vier Uhr. Wir brechen auf zur Yoga Stunde an der Beachroad Junction, einer Schule im Haus eines Yogis. Yogi Abe, Abraham, unterrichtet seit vielen Jahren und reist mit seinem ganzen yoginischen Witz und Geist durch die Weltgeschichte, um den Leuten die Asanas beizubringen sowie das lebensnotwendige “relaaaaaax and breeeeeathe”. Wir moegen ihn so sehr, dass wir eine CD seiner gesprochenen Lessons gekauft haben, um seinen stets gleichen gesungenen Saetzen zu folgen: “slooow deeeeep inhalatiooooon”. Wir sitzen in einem durchraeucherten Raum mit Sicht aufs Meer und machen the tree, stehen auf einem Bein mit erhobenen Armen, beugen und dehnen uns zu einem rainbow, schaukeln bauchlings vor und zurueck mit den Fussgelenken in den Haenden, wagen es den stolzen Peacock nachzuahmen und versuchen unsere horizontale Koerperlaenge auf unseren Haenden zu balancieren. Da dies schwierig ist, ahmen wir erfolgreicher die Kraehe nach und kippen unseren zusammengekauerten Koerper nach vorne auf die Ellbogen und tragen unser Eigengewicht mit den Haenden. Ja, ich scheine etwas zu prahlen. Die ferne Stimme von Pater Zapf, meinem Deutschlehrer, ruft mir die aesopsche Maxime in Erinnerung: Hic Rhodos, hic salta! Hier ist Rhodos, vollfuehre also hier deinen Sprung! So wurde ein antiker Prahlhans einst auf griechischem Festland fuer seine athletischen Erlebnisse auf der fernen Insel geruegt. Gut, gut. Genug der Geschichten, ein kleiner yoginischer Beweis wird schon noch folgen.
In der letzten Yogastellung, der des toten Mannes, entfliehen nach zwei schweisstreibenden Stunden die Geister. “Feel freeeeeee like a float. You are floating on a wide rivaaaaa”, singt uns der Yogi. Ich bin ein schwerer gegabelter Ast und treibe in der Aare. Ja, “der” Fluss ist bei mir prototypisch. Was fuer die Inder der Ganges sein muss, ist fuer mich die Aare. Oh Endoooo (Endo Anaconda/Stiller Has), wie schoen koenntest du mit Yogi Abe mitsingen: de schoene blaaaue Aaaaare naaaah, ooooooom. Pantha rhei, ich sehe blau und bin schon eingeschlafen. Weggespuelt. Abe setzt mit Gesang ein, und ich erwache gurgelnd. David kichert neben mir.
Ganz hungrig steigen wir in eine Rickshaw und fahren in die Palace Road, in der Naehe des ehemaligen suedindischen Koenigspalastes. Dort ist das Krishna Cafe.
Das Essen fuehlt sich ganz anders an, wenn man mit den Fingern essen kann. Saucen, Yoghurt – praktisch alles mit den Haenden, und Chappati und sonstigen Fladen natuerlich. Im Hinterhof sind mehrere Maenner zu Werke. Einer spuelt den Hof, in der Kueche sind sie am Schneiden, Haeckseln, laut am Reden, Umschuetten, es dampft und tropft. Alles ist einfach und nicht verborgen. Es erscheint mir vieles hier in selbstverstaendlicher Weise ehrlich. Am besten gefaellt mir dabei fast die Waage ausgangs des Restaurants: vor dem Gehen waegen sich dort gegen ein paar Rupees die meisten Frauen. Die moechten wohl wissen, wieviel sie nun gegessen haben? Dieser gesundheitliche Check ist vielleicht in besonders guten Restaurants beliebt?
Abende. Plaudern mit einem Jungen, der hier im Haus scheinbar etwas mithilft und eigentlich einfach meistens “da” ist. Ein lieber etwas schmachtender Juengling, der meist irgendeiner Gaestin nachtrauert und dramatische suedindische Telenovelas schaut mit aehnlichen Motiven. So zaehlen auch wir zu den unzaehligen Bekanntschaften, die er so aufrichtig lieb beraten hat.
Auch jetzt ist es wieder Zeit, sich langsam ins Bett zu legen. Die Maedchen aus dem Nachbarhaus singen schon im Chor miteinander ihr Abendlied. Aus voller Kehle singen sie. Jeden Abend. Beeindruckend. Ich bin nicht muede. Wir sind abends nie muede, nur morgens. Die ganze Nacht haben wir nur, um zu schlummern. Der Schlaf kommt erst gegen Morgen. Zwischen Schlummer und Schlaf kommt Hundegebell, Kraehen, streitende Katzen, fruehe exotische Voegel, die heulen und der Muezzin. Der Schlaf kommt klatschend, dank des kontinuierlichen Rhythmus des Waescheklopfens.
Doch morgen werden wir das nicht mehr hoeren. Mit den Voegeln verlassen wir das Nest, um den Zug nach Kollam zu erwischen. Wir fahren suedwaerts noch weiter in die Backwaterregion, um am Ende wieder zurueck ueber Alappuzha und Kochi gen Norden zu reisen.
Jetzt sticht mich die letzte Moskito fuer diesen Abend. Gute Nacht.