Die Reise begann beinahe unbemerkt
In der Schweiz sind wir eingeschlafen, in Indien sind wir aufgewacht. Beinahe unbemerkt sind wir nach Suedindien gereist. Wobei unbemerkt vielleicht der falsche Ausdruck ist. Wir sind mit einer Selbstverstaendlichkeit hierher gereist, die mich an Traume erinnert. Wie oft sprang ich in Traeumen auf ein merkwuerdiges Luftschiff, ohne zu hinterfragen, wohin ich eigentlich reisen moechte und was fuer ein merkwuerdiges Vehikel mich da forttraegt. Mit also einer eigentuemlichen traumaehnlichen Ruhe bestiegen wir eines der weltbekannten Luftschiffe des Emirs von Dubai. Ein paar Stunden sassen wir in diesem extraterrestrischen Raum, sinnierten, lasen, stellten uns vor, schliefen, traeumten von irgendwas. In der Ferne ein starkes Gewitter. Manchmal sieht man im Blitzlicht Saudiarabien aufblitzen. Ansonsten Dunkelheit. Einige Stunden spaeter der Flughafen von Dubai. Ploetzlich viele Leute. Die Lautsprecher verbreiten saeuselnde Frauenstimmen, deren Fluginfos sich wie erotische Angebote anhoeren. Arabien bei Nacht, an einem Flughafen. Ein Maerchen einer Nacht im Jahr 2010. Geheimnisvoll wirken sie so spaet in der Nacht, die Verschleierten und Vermummten. Von ihnen gibt es viele. Goldige Schuhspitzen funkeln auf unter dem schwarzen Tuell. Glitzernde Pailleten. Verhuellung soll vor neugierigen Blicken schuetzen, doch mich macht sie eigentlich erst recht neugierig. Merkwuerdig, wie ich sie zugleich verachte und doch igendwie wieder bestaune. Was muss so sicher verborgen werden? Es muss doch etwas sehr Wertvolles sein, was sich fremden Menschen nur anhand eines Blickes oder der Bewegung im Stoff offenbart. Hat da unter dem Schleier gerade jemand schallend gelacht? Ueblicherweise schaue ich diese Frauen an wie geisthaft Entkoerperte. Sie sehen mich. Ich sehe sie und sehe sie nicht. Im Daemmerzustand male ich mir wunderschoene unglueckliche Prinzessinnen aus. Sie leben in Gefangenschaft, nicht jedoch bei einem schnarchenden Drachen oder eifersuechtigen Riesen, sondern in einem Selbst, das sich wie ein Geist im Vorhang zeigt. Zurueck am Flughafen.
Ganz viele suedindische Familien sitzen bereits am Terminal mit Kleinkindern, die sich ab soviel neuen Bekanntschaften freuen. Wir warten und eine Stimme aus Muenchen kommt sogar hierher, der Text beziehungsweise. Hat man einmal den Deckel des Computers geluepft, schon wird man von fernen erfreulichen Stimmen eingeholt, unterwegs in der closed area. Eine kleine Geisterbeschwoerung – und meine Freundin Sybille sitzt ploetzlich an unserem Tisch. Ich frage mich, wie lange es noch dauert, bis wir mit Hologrammen kommunizieren, mit unseren Abbildern, mit Entkoerperten, Geistern. Die Lautsprecherdurchsage. Eine grosse Menge erhebt sich. Kinder erwachen. Auf ein neues Luftschiff. Man hat uns in die Businessclass umgesetzt. Hier fuehlt man sich gleichermassen umsorgt und hiflos wie ein Kleinkind. In grossen Sesseln sitzt man, und bevor das Tablett mit dem Essen gereicht wird, wird ein Tischtuch ausgebreitet. Drei Stunden mit ein bisschen Doesen und Essen. Ich muss die Stewardess bitten, mir die Sachen wegzunehmen, damit ich aufstehen kann. Die Stewardess kommt mir vor wie eine Nanny aus einem Kinderbuch. Ich kann mich nur nicht erinnern aus welchem. Neben uns sitzt ein Inder, der uns waehrend des Essens von seinem Leben in Dubai als Geschaeftsmann erzaehlt. Der Flug dauert zu wenig lang, um zu schlafen. Schon wird es hell. Die Nacht ist nach vier Stunden bereits vorbei. Unter dem Dunst sehen wir Palmen. Unwirklich. Doch tatsaechlich – grosse, lange, gebogene Palmen. Die Raeder werden ausgefahren, wir sinken, sinken und rollen durch eine gruene Ebene. Kochi. Es ist heiss. Ueberall ist es erstaunlich ruhig. Gemuetlich fahren wir mit einem Taxi in die Stadt. Ein Geruch, der mir nicht ganz unbekannt vorkommt, mich aber doch wie neu ueberrascht, kommt entgegen. David erkennt ihn gleich wieder. Wir sind muede, wahnsinnig muede. Im Zimmer, das wir mieten, legen wir uns hin und schlafen unter lautem Kraehengekraechz und Ventilatorwind ein. Ich traeume von Kochi. Wir laufen durch die Gegend und schauen uns Staende an. Es kommt sogar zu einer lauten Auseinandersetzung mit einem Guesthousebesitzer. Es ist heiss, ich drehe mich auf die weniger klebrige Seite und denke “noch ein bisschen von Indien traeumen, bevor ich hier wieder mitten im Winter oaufwache”. Verdutzt wachte ich aber in Indien auf und war somit endlich angekommen.
Leave a Reply