Eine Orientexpress-Phantasie
Nachdem ich den Proviant für die sechsstündige Orientexpresstour besorgt hatte, fand ich den Zug . Glanz und Gloria dieser Strecke hat sich ausgefahren. Nur noch zwei Wagons hingen an der Lok. Die Fahrt war langsam und wurde oft unterbrochen. Der türkische Schaffner war schweigsam aber vergnügt, kaute Sonnenblumenkerne als wäre es eine Lebensbedingung, wie das Atmen. Eine Alternative zum Zigarettenrauch. Hie und da brachte er mir einen Bund Trauben aus seinem Proviantabteil. Wir fuhren durch die Ebene, als sich plötzlich im flimmernden Licht ein bunter Vogel abzeichnete. Er schwebte geradezu über dieser landschaflichen Einöde. Es war ein Gleitschirm, der mit ich wüsste nicht welchem Wind es in der topfebenen Landschaft in den rumänischen Himmel geschafft hat. Ein paar relativ betrunkene Tschechen fanden sich dann auch noch im Korridor ein, als sie aus ihren Abteilen raustorkelten. Die waren in alkoholisierter Schlummerfahrt unterwegs nach Burgas in Bulgarien, in Aussicht auf Strand, laute Musik und leuchtstofffarbenen Bikinis. Etwas widerwillig sass das Swiss Girl dann plötzlich zu zweit im Abteil und bestritt die etwas leidige Konversation. In Veliko Tarnovo stieg ich am späten Abend aus und fand mich an einem abgelegenen Bahnhofshäuschen vor. Da es am Bahnhof überhaupt nicht nach Verkehrsmitteln aussah, fragte ich hängte ich mich einer organsierteren Reisenden an, die gerade abgeholt wurde. Ich übernachtete die folgenden Tage am selben Ort, in einem kleinen Gasthaus, welches unter dem Stadthügel in der Nähe des Flusses lag. Man traf so einige Backpacker, eine merkwürdige coole Gesellschaft, der man aber bestens ausweichen konnte. Es hatte nicht sehr viele Leute und war daher für meine vielleicht asozial wirkende Befindlichkeit ganz gemütlich. Die Stadt ist klein und touristisch, etwas billig-touristisch abundzu. Auf der Hauptstrasse gibt es jenste Cafés, die Pizza und Riesensalate zu Schleuderpreisen anbieten. Das macht den Leuten jeweils am meisten Eindruck. Kaffee gab es überall sehr guten. Ich profitierte insofern, als dass ich mir einen günstigen Haarschnitt verpassen liess. Haareschneiden im Ausland ist immer wieder spannend. Ich fand die Coiffeusen in ihren weissen Kitteln drollig, es wirkte auf mich so, als handle es sich um ein Forschungslabor, wo Haarproben genommen werden. Natürlich lagen ganz viele Klatschmagazine und bunte Haarsprays und Plastikspangen herum. An einem Abend ging ich etwas in die Unterstadt, wo ich anscheinend was „einheimischeres“ suchte und in einem ganz merkwürdigen Männerlokal eine eher peinliche Ausnahme war. Einige Sachen auf der Karte waren mir sehr gut verständlich, doch bei den Suppen wählte ich blöderweise die erste auf der Liste, nicht wissend, was Beschmek Tschorba bedeutet. Der Wt war nicht eben freundlich und wirkte buchstäblich angepisst durch meinen Besuch. Damit hätte ich leben können, doch das Menü war der wackere Todesstoss. Ich gelobe mir heute, niemals wieder diesen doofen Enthusiasmus “Ich mache es ganz anders” und “Ich bin halt mutig und frage auch nicht, was ich kriege” an den Tag zu legen. Denn nie wieder möchte ich eine beige Kuttelsuppe mit orangen Fettaugen aufgetischt bekommen. Drei Löffel konnte ich von dieser trüben Brühe anstandshalber probieren, und gab auf. Selbst dieser Anstand war eigentlich völlig überflüssig. Was ist denn Anstand im Balkan? Da kann die “aaschtändigi Schwizeri” nicht mithalten. Ich tippte auf Ziege, es böckelte und fühlte sich haarig an. Etwas Zweites hatte ich klugerweise aber bestellt: Ein gebranntes Ei mit Tomate im Tontöpfchen und mittendrin lag sorgfältig angerichtet ein Haar. Ich rettete mich zur Flasche Cola. Der Wirt schaute mich vorwurfsvoll an. Ich wurde meinen blöden Anstand nicht los und zahlte kommentarlos das verschmähte Essen. Das war auch billig, es war alles so billig, dass ich mich nicht einmal über das verschwendete Geld beklagte. Deshalb war der Wirt vielleicht ja sauer. Aber das ist ja auch Wurscht. Tagsüber wanderte ich durch die Gegend. Am einen Tag mit einem schneeblonden Amerikaner. Wir zogen zu Fuss zu einem Kloster,und gingen auf einer Autostrasse auf dem Pannenstreifen. Das war, wie wir erfuhren, auch nicht abwegig. Den Rest nahm uns noch ein Pärchen im Auto mit. Das Kirchlein zeugte v.a. vom jüngsten Gericht, war voller roter Teufel und gigantischer Wolkenmonster. Das Ganze wurde bewacht von einem nicht weniger an den jüngsten Tag gemahnenden, alten Mönchlein, das so alt war, dass es gar nichts mehr sagen konnte und einen nur beunruhigend starr anschaute. Wir drückten dem Höllenpförtner eine dicke Euromünze in die schwache Hand. Der Blick schien darauf milder zu werden. Den Heimweg haben wir über den Hügel durch das grüne Unbekannte gewagt, da wir sicher waren, dass man so auch irgendwie zurückkommt. Die Abwegigkeit ist schöner als die Hauptstrasse. Wir fragten jeweils ein paar Jungs oder schweigsame Ziegenhirten, die lediglich in die Ferne schauten und prophetisch die Hand hoben. Es war sehr heiss, ich hatte den Sommer schon fast vergessen gehabt, und hier in Bulgarien tauchte er in ganzer Wucht noch einmal auf.Nach etwa zwei-drei Stunden waren wir zurück. Es war eine ganze Wanderung geworden. Der engelsweisse Amerikaner trug einen infernalen Sonnenbrand davon.
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