Das zerbrochene Herz und das Blumental
Der Mann aus dem Gasthaus war bereit uns bis zum Talbeginn hochzufahren. Anfaenglich wurde uns ein riesiges Busmobil angeboten, was uns grad etwas uebertrieben vorkam. Schliesslich fuhren wir in seinem weissen Kombi mit. Die Landschaft war sehr trocken, gegen Talbeginn hoch wurden die Steine roeter und roeter. Am Strassenrand sass irgendwo ein Junge und spielte Gitarre. Von weitem sahen wir einen riesigen, roten, in der Mitte gespaltenen Felsen – “Razbitoe serdce”, das gebrochene Herz. Ein schoenes Maedchen soll mal zwei Verehrer gehabt haben, die sich im Streit um sie toeteten. Dabei brach ihr Herz entzwei.
Dort hatte es einige Haeuser und ein Sanatorium, was einfach in den meisten Faellen ein Kurort ist. In einem Cafe assen wir zuerst noch was. Ein paar Jungen sassen auf der Terrasse und feierten etwas mit Vodka. Wir sassen im Schneidersitz am niederen Tisch und assen Ashlyanfu.
Die kleine Tochter half mit und kassierte am Schluss bei uns ein.
Wir liefen etwa zwei Stunden hoch ins Tal. Blumen hatte es um die Jahreszeit natuerlich nicht. Dafuer viele Jurten und viele Pferde. Unterwegs trafen wir auf eine kirgisische Familie, die zur Erhohlung hochfuhr. Ein Stueck liefen wir mit ihr zusammen hoch. Dort hinten sieht es aus wie in unseren Schweizer Bergen. Es koennte irgendwo beim Spluegenpass sein.
Ein Berg heisst sogar “Pik Jelzin”, aber kaum, weil dieser es da hinauf geschafft hat, sondern weil im Sanatorium einmal ein Treffen mit Kirgistans Ex-Praesidenten Akaev stattgefunden hatte. Uebrigens hatte Jurij Gagarin seinerzeit dort oben die Ferien verbracht.
Wir jedenfalls schlugen den Weg zum einen Talende ein, wo mehrere Jailoos (Sommerjurtenlager) standen. In einem kleinen Gehege waren ein paar Fohlen. Hunde kamen auf uns zugerannt. Zwei Paar neugierig skeptischer Kinderaugen waren auf uns gerichtet.
Eine Frau kam schuechtern auf uns zu. Ich fragte sie, ob es moeglich waere in der Naehe ihrer Jurte unser Zelt aufzuschlagen. Sie meinte laechelnd, da muesse sie schnell ihren Mann fragen. Ihr Mann, ein hagerer Mann mit ausschliesslich Goldzaehnen im Mund, kam aus der Jurte. “Selbverstaendlich”, meinte er, “Sajkal, komm mit. Finde einen guten Zeltplatz.” Das Maedchen mit dem Namen Sajkal rannte mit ihrer kleinen Schwester auf den Huegel und tappte mit dem Fuss auf die Erde. Dort war unser Lagerplatz. Keine Minute Ruhe war uns beschieden ;). Die beiden kleinen Maedchen sassen, lagen, standen vor unserem Zelt und warteten jede Bewegung ab, die wir machten und staunten jeweils oder lachten verschmitzt. Sajkal war im Gegensatz zu ihrer Schwester ganz dunkel und trug einen roten Pullover mit der Aufschrift “Adiads”. Ihre Schwester, die einen etwas schwierig einzupraegenden Namen trug, war kurzgeschoren, wie das viele Kinder sind, und blond. Sie legte ihre Stirn meistens in tausend skeptische Faeltchen. Als wir das Zelt aufgestellt hatten, machten wir eine kleine “Fuehrung”. Alle waren ab unserem kleinen koreanischen Zweierzelt begeistert. Lustig, wir fanden die Jurte natuerlich interessanter. Irgendwann kamen noch die Nachbarsmaedchen von oben und gesellten sich zur Kindergesellschaft vor unserem Zelt. Das eine Nachbarsmaedchen lernte in der Schule bereits Russisch, und wir konnten uns so unterhalten. Ich glaube, sie war ganz stolz vor allen anderen Kindern soviel mit uns plaudern zu koennen. Ihre Hobbies waren Karaoke und Lernen, wie ich herausgefunden habe. Es sei etwas langweilig langsam auf dem Jailoo, aber bald beginne wieder die Schule im September, dann koennten sie wieder runter.
Wir kochten unser Abendessen auf dem Spirituskocher. Die Maedchen hockten die ganze Zeit neben uns und schauten gespannt zu.
Der Vater sagte uns, er werde nachts ein Auge auf unser Zelt haben. Es gaebe viele Tiere dort oben, wir muessten aber keine Angst haben. Die Frau meinte aber, sie haette schon etwas Angst in diesem kleinen Zelt, doch ihr Mann passe gut auf.
Nachts merkten wir auch, was sie meinten. Die Kuehe mussten wir einige Male wegjagen. Das Geschnueffel im Ohr weckt doch einigermassen. Einmal hoerten wir lautes Pferdegewieher, dann bebte die Erde um unser Zelt ab sprengendem Galopp. Da war uns schon nicht mehr so wohl. Als wir rausguckten, sahen wir zwar nur Schwarz, doch die Maenner waren aus der Jurte gekommen und liefen mit den Taschenlampen herum und so schien uns alles in Ordnung.
Am Morgen beim Fruehstueck fragte ich, was gewesen sei. Ein fremder Hengst war von irgendwoher zum Lager gekommen. Ihr Hengst haette mit diesem einen Kampf angefangen.
Zur Familie gehoerten noch zwei Jungen im Alter von 19 und 26, Sultan und Mirlan. Mit ihnen gingen wir ein paar Stunden mit den Pferden in die Berge hoch. David sass bei Sultan vorne oben auf dem Pferd. Mirlan sprang manchmal hinten auf mein Pferd hoch, eine Stute mit “Anhang”, Fohlen. Mein Pferd hatte gar keinen Namen, da taufte ich sie Carla, nach einer Person, die im Buch Shantaram vorkommt. Das Fuellen benannte ich dann so halbwegs nach Carlito, einem Cousin meiner Mutter. Als wir beim Wasserfall waren, kletterte Sultan die Steine hoch, damit wir von ihm ein Bild machen. Irgendwann mussten wir rufen “Ist gut, wir glauben es reicht jetzt. So hoch musst du auch nicht rauf!” Die Bilder versprachen wir ihnen spaeter zu schicken. Ich hatte auch viele Fotos von den Maedchen gemacht.
Gegen Abend brachen wir unsere Zelte ab, verabschiedeten uns von der Familie und suchten zuerst nach einer Fahrgelegenheit. Wir mussten zuerst ein Stueck zu Fuss gehen, dann fuhr ploetzlich ein rechtsgesteuertes Buesschen vorbei. Drin lief laute kirgisische Volksmusik. Nach diesen Kassetten hielt ich spaeter auf dem Markt noch Ausschau. An der Nationalstrasse warteten wir dann auf einen Bus nach Karakol zurueck. Am Strassenrand beim Laden standen Kinder, die uns ganz stolz tausendmal “Hello, hello!” zuschrien.