Im Zug durch Sibirien mit Pink Floyd und Doors
Um viertel nach 2 (Moskauer Zeit, also viertel nach 4) sind wir in das verdunkelte Abteil eingestiegen und warteten auf die Frau Provodnik (Zugbegleiterin), die uns Tickets abreissen und Bettwäsche bringen sollte.
Wir waren müde, runherum gleichmässiges Atmen, hie und da ein kleiner Schnarcher, und dann PLUMPS!, fiel ein kleines Mädchen aus dem Bett. Wütend packte sie ihr Bettzeug und drückte sich wieder auf die Liege.
Vom oberen Bett stieg nun ihre Mutter herab und fragte mich, ob die Kleine aus dem Bett gefallen sei und wickelte sie dann lange sorgfältig wieder ein, dass bald wieder alles still war.
Es dämmerte, als wir schlafen gingen, und lange schlief ich auch nicht.
Der Tag bestand aus Lesen (ich Ljudmila Ulitzkaja, David einen Bestseller mit Titel Shantaram, den er jetzt noch mit dem letzten Licht vom WC Korridor liest), Fotos ordnen auf dem Power Book (David), aus dem Fenster gucken und Musik hören. Bei diesen Weiten: Wiese, Wiese, Wiese, Birke, Haus, Wiese, Wiese, Wiese, Birkenhain, Wiese, Wiese, Wiese, Birkenwald fand ich Pink Floyd super.
Vor allem das Stück “Time” setzte die kleinen abgelegenen 30 Seelendörfchen in eine malerisch-bedeutungsvolle Perspektive.
Immer wieder die Frage, was machen die Leute dort den ganzen Tag? Wo ist der nächste grössere Ort, wo gehen sie einkaufen?
Ist es wirklich so auf dem russischen Dorf?
“Ticking away, the hours of a long, long day…”
Die Gegend hat sich seit heute morgen minimal verändert. Die Wiesen sind grösser geworden und sumpfiger, die Gegend leerer…. aber ich bin mir eigentlich selber gar nicht so sicher.
Der transsibirische Traum? Ich glaube, dass die interessantere Strecke in Irkutsk beginnt, bzw, sich um den Bajkalsee zieht.
Ich fahre selber unheimlich gern Zug, eine romantische Schwäche von mir, doch stelle ich doch auch ernüchtert fest, dass die Strecke Zürich-Bern bereits abwechslungsreicher ist. Wir fahren hier so ziemlich fadengerade längs durch einen irrelangen Vegetationsgürtel, ein ewiges wunderschönes Birkenhainland.
Ich liebe Birken, nun habe ich tagelang keinen anderen Baum mehr gesehen.
In einer Stunde treffen wir in Novosibirsk ein!! Eine Stadt wie ein Pilz aus dem Nichts geschossen muss das sein. Hier aus dem Zugfenster ist es finster. Ich sehe nur mein vom Laptop erhelltes Gesicht und Davids lesendes Profil mit Kopfhörern.
Kein Dorf, keine Fabrik, gar nicht.
Ernährt haben wir uns von sowas wie Quick Soup à la Russe und Kartoffelstock. Heisses Wasser gibt es immer im grossen Samowar bei der Zugbegleiterin vorne. Kaffee haben wir auch genug dabei.
Omsk und Baranilsk, dieses mit sowjetlike Leuchtschrift angekündigt auf dem Betonklotz von Bahnhof, zeigten nur ihr graues unbewohntes Gesicht, dass dort soviele Menschen leben sollen, glaubt man auf den ersten Blick sicher nicht.
Was für ein eigenartiges Land Du doch bist, Russland.
Ich glaube langsam, dass wir über den Bauch eines schlafenden Riesen fahren.
August 10th, 2006 at 3:48 pm
Privet Sarah,
Ich habe wieder einmal hier auf Dein wunderschönes Russlandtagebuch hingewiesen.
Ich wünsche Dir viele schöne Erlebnisse in Novosibirsk und weiter, und weiter, und weiter…
Poka, poka!
Jürg