May 14, 2006

5 Stunden Nacht

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 9:57 am

Den Nachmittag lernend auf der Sonnenbank verbringend, gegen Abend in einem der 88 Zimmer zum Essen eingeladen sein, bis zum 11-Uhr-Eindunkeln Bier und Kaffee trinken, sich um 12 auf den Weg in die Stadt machen. Spazieren dem breiten Fluss entlang, an den Frachtschiffen, an einem Orangenmond vorbei, der seit Stunden unentschlossen auf und ab wandert und sich nicht entschliesst hinter einer Fassade mal endgültig zu verschwinden. Warten auf eine Kollegin am aufgeschlagenen Buch Puschkins, wo dies alles geschrieben steht. Die Nadel der Peterpaulsfestung glänzt scharf, zerschneidet die Wolken. Rennen über die aufklappbare Brücke, Ausatmen auf der anderen Uferseite. Asphalt und Strassenlaternen sehen wie auf einem Spielbrett aus, das vertikal steht.
Über den Schlossplatz ins Novus, von dort in die Vtoroj Etazh. Dort schliesslich anstrengende Musik und etwas anstrengende deutschsprachige Typen, die den kleinen Mädchen erst mal erklären müssen, was Russland eigentlich ist und bedeutet. Aber selber nicht fähig jemanden halb normal anszusprechen. Eine langhaarige Blonde im Jeanskleid wendet sich tanzend nur genervt ab von dem deutschen betrunkenen Hünen, und Worte wie “Müsste man in der Schweiz um die Uhrzeit nicht schon unbedingt im Bettchen sein?” gehören ja bereits zu den Klassikern der Ablöscher ; )
Wie auch immer… es gab einen erfreulichen Stromausfall. Dunkel, endlich versteht man sich, die Leute beginnen erst recht zu tanzen…
Um vier wird es Tag… Auf der Strasse torkeln junge Pärchen, ein Mädchen muss sich ganz fürchterlich übergeben. Ihr überfürsorglicher Freund lässt sie keine Sekunde aus den Armen, tröstet und redet, versucht ein Auto anzuhalten. Der Kollege steht benommen daneben. Das erste Auto, das hält ist die Miliz, die erst mal alle auseinandernimmt nach Papieren, illegalen Gegenständen… Das Mädchen ist bleich und fertig und beginnt herzzereissend zu flennen. Der Freund hebt sie hoch wie ein kleines Kind… Die Miliz zieht weiter.. Kleines Drama, umso mehr, als nach einer Minute eine andere Streife hält.. Die Kleine wird hysterisch, und der Freund muss schon alle seine Kräfte aufwenden, um sie zu beruhigen. Der Kollege lässt sich von der Miliz auseinandernehmen und lacht dabei..Auch dies geht vorüber, die Miliz fährt weiter. Der Freund versuchts erneut, hält den Arm raus. Nun reichts dem Mädchen, schlägt ihrem Freund auf den ausgestreckten Arm, lärmt ihn sichtlich an, reisst sich störrisch los, wie es diesem doch endlich gelingt ein Auto anzuhalten. Der Kollege grinst immer noch. Der Freund bittet den Fahrer zu warten, rennt seiner aufgelösten Freundin hinterher, die er anscheinend dann irgendwo in einer Seitenstrasse noch einholen kann.
Es ist 5, taghell, wir sitzen im Kaffee. Um 6 nehmen wir den Bus Nr. 7. Der Fahrer lärmt, wohin wir wollen, ein paar andere Mädchen nennen ein anderes Studentenheim, das auf unserem Weg liegt. Der Fahrer fährt ohne Marschrut, d.h. fährt irgendwie. Die Frau Konduktor schimpft die ganze Fahrt über mit ihm, worauf er zornig beschleunigt. “Wo fährst du denn jetzt hin? Du hast den Mädchen nicht gesagt, wo du durchfährst. Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Musst deinen Passagieren doch sagen, wo du durch fährst!” – “Habe ich etwa nicht gefragt, wo sie hinmüssen? Was denn noch?” – “Überhaupt, wo fährst du eigentlich durch?”
Der Haussegen bei Herr und Frau Busfahrer stand also etwas schief heute morgen.
Die Sonne strahlte bereits golden, der Himmel war ganz rot. Um 7 waren wir dann hier. Eine Dusche, dann zwei Stunden Nickerchen. Ein neuer Tag.

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