September 11, 2006

Das zerbrochene Herz und das Blumental

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:46 pm

Der Mann aus dem Gasthaus war bereit uns bis zum Talbeginn hochzufahren. Anfaenglich wurde uns ein riesiges Busmobil angeboten, was uns grad etwas uebertrieben vorkam. Schliesslich fuhren wir in seinem weissen Kombi mit. Die Landschaft war sehr trocken, gegen Talbeginn hoch wurden die Steine roeter und roeter. Am Strassenrand sass irgendwo ein Junge und spielte Gitarre. Von weitem sahen wir einen riesigen, roten, in der Mitte gespaltenen Felsen – “Razbitoe serdce”, das gebrochene Herz. Ein schoenes Maedchen soll mal zwei Verehrer gehabt haben, die sich im Streit um sie toeteten. Dabei brach ihr Herz entzwei.
Dort hatte es einige Haeuser und ein Sanatorium, was einfach in den meisten Faellen ein Kurort ist. In einem Cafe assen wir zuerst noch was. Ein paar Jungen sassen auf der Terrasse und feierten etwas mit Vodka. Wir sassen im Schneidersitz am niederen Tisch und assen Ashlyanfu.
Die kleine Tochter half mit und kassierte am Schluss bei uns ein.
Wir liefen etwa zwei Stunden hoch ins Tal. Blumen hatte es um die Jahreszeit natuerlich nicht. Dafuer viele Jurten und viele Pferde. Unterwegs trafen wir auf eine kirgisische Familie, die zur Erhohlung hochfuhr. Ein Stueck liefen wir mit ihr zusammen hoch. Dort hinten sieht es aus wie in unseren Schweizer Bergen. Es koennte irgendwo beim Spluegenpass sein.
Ein Berg heisst sogar “Pik Jelzin”, aber kaum, weil dieser es da hinauf geschafft hat, sondern weil im Sanatorium einmal ein Treffen mit Kirgistans Ex-Praesidenten Akaev stattgefunden hatte. Uebrigens hatte Jurij Gagarin seinerzeit dort oben die Ferien verbracht.
Wir jedenfalls schlugen den Weg zum einen Talende ein, wo mehrere Jailoos (Sommerjurtenlager) standen. In einem kleinen Gehege waren ein paar Fohlen. Hunde kamen auf uns zugerannt. Zwei Paar neugierig skeptischer Kinderaugen waren auf uns gerichtet.
Eine Frau kam schuechtern auf uns zu. Ich fragte sie, ob es moeglich waere in der Naehe ihrer Jurte unser Zelt aufzuschlagen. Sie meinte laechelnd, da muesse sie schnell ihren Mann fragen. Ihr Mann, ein hagerer Mann mit ausschliesslich Goldzaehnen im Mund, kam aus der Jurte. “Selbverstaendlich”, meinte er, “Sajkal, komm mit. Finde einen guten Zeltplatz.” Das Maedchen mit dem Namen Sajkal rannte mit ihrer kleinen Schwester auf den Huegel und tappte mit dem Fuss auf die Erde. Dort war unser Lagerplatz. Keine Minute Ruhe war uns beschieden ;). Die beiden kleinen Maedchen sassen, lagen, standen vor unserem Zelt und warteten jede Bewegung ab, die wir machten und staunten jeweils oder lachten verschmitzt. Sajkal war im Gegensatz zu ihrer Schwester ganz dunkel und trug einen roten Pullover mit der Aufschrift “Adiads”. Ihre Schwester, die einen etwas schwierig einzupraegenden Namen trug, war kurzgeschoren, wie das viele Kinder sind, und blond. Sie legte ihre Stirn meistens in tausend skeptische Faeltchen. Als wir das Zelt aufgestellt hatten, machten wir eine kleine “Fuehrung”. Alle waren ab unserem kleinen koreanischen Zweierzelt begeistert. Lustig, wir fanden die Jurte natuerlich interessanter. Irgendwann kamen noch die Nachbarsmaedchen von oben und gesellten sich zur Kindergesellschaft vor unserem Zelt. Das eine Nachbarsmaedchen lernte in der Schule bereits Russisch, und wir konnten uns so unterhalten. Ich glaube, sie war ganz stolz vor allen anderen Kindern soviel mit uns plaudern zu koennen. Ihre Hobbies waren Karaoke und Lernen, wie ich herausgefunden habe. Es sei etwas langweilig langsam auf dem Jailoo, aber bald beginne wieder die Schule im September, dann koennten sie wieder runter.
Wir kochten unser Abendessen auf dem Spirituskocher. Die Maedchen hockten die ganze Zeit neben uns und schauten gespannt zu.
Der Vater sagte uns, er werde nachts ein Auge auf unser Zelt haben. Es gaebe viele Tiere dort oben, wir muessten aber keine Angst haben. Die Frau meinte aber, sie haette schon etwas Angst in diesem kleinen Zelt, doch ihr Mann passe gut auf.
Nachts merkten wir auch, was sie meinten. Die Kuehe mussten wir einige Male wegjagen. Das Geschnueffel im Ohr weckt doch einigermassen. Einmal hoerten wir lautes Pferdegewieher, dann bebte die Erde um unser Zelt ab sprengendem Galopp. Da war uns schon nicht mehr so wohl. Als wir rausguckten, sahen wir zwar nur Schwarz, doch die Maenner waren aus der Jurte gekommen und liefen mit den Taschenlampen herum und so schien uns alles in Ordnung.
Am Morgen beim Fruehstueck fragte ich, was gewesen sei. Ein fremder Hengst war von irgendwoher zum Lager gekommen. Ihr Hengst haette mit diesem einen Kampf angefangen.
Zur Familie gehoerten noch zwei Jungen im Alter von 19 und 26, Sultan und Mirlan. Mit ihnen gingen wir ein paar Stunden mit den Pferden in die Berge hoch. David sass bei Sultan vorne oben auf dem Pferd. Mirlan sprang manchmal hinten auf mein Pferd hoch, eine Stute mit “Anhang”, Fohlen. Mein Pferd hatte gar keinen Namen, da taufte ich sie Carla, nach einer Person, die im Buch Shantaram vorkommt. Das Fuellen benannte ich dann so halbwegs nach Carlito, einem Cousin meiner Mutter. Als wir beim Wasserfall waren, kletterte Sultan die Steine hoch, damit wir von ihm ein Bild machen. Irgendwann mussten wir rufen “Ist gut, wir glauben es reicht jetzt. So hoch musst du auch nicht rauf!” Die Bilder versprachen wir ihnen spaeter zu schicken. Ich hatte auch viele Fotos von den Maedchen gemacht.
Gegen Abend brachen wir unsere Zelte ab, verabschiedeten uns von der Familie und suchten zuerst nach einer Fahrgelegenheit. Wir mussten zuerst ein Stueck zu Fuss gehen, dann fuhr ploetzlich ein rechtsgesteuertes Buesschen vorbei. Drin lief laute kirgisische Volksmusik. Nach diesen Kassetten hielt ich spaeter auf dem Markt noch Ausschau. An der Nationalstrasse warteten wir dann auf einen Bus nach Karakol zurueck. Am Strassenrand beim Laden standen Kinder, die uns ganz stolz tausendmal “Hello, hello!” zuschrien.

Karakol

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 1:59 pm

Mit einem grossen Bus fuhren wir nach Karakol. Der Bus hielt unterwegs ueberall wieder – mal im Dorf, mal mitten auf dem Feld. Leute transportierten grosse Melonen, Saecke mit irgendwas drin, vielleicht Kartoffeln. Die Doerfer sind kleine Weiler aus Lehmhaeuesern, die meistens aber weiss und blau angestrichen sind.Kleine Kinder laufen an der Strasse entlang, schauen dem Bus nach. Die alten Leute sitzen auch da, und schauen den vorbeifahrenden Fahrzeugen zu. Die Bevoelkerung scheint auch auf den Doerfern gemischt zu sein. Unter vielen spielenden dunkeln Haarschoepfen erblickt man ploetzlich hin und wieder einen kleinen blonden.
Nach etwa drei Stunden kamen wir am Busbahnhof in Karakol an. Taxisten erspaehten uns sofort, daher mussten wir keine Sekunde lang nach einem Taxi in die Ortschaftsmitte suchen.
Wir fuhren zum Guesthouse Terskey, das von einem aelteren Ehepaar gefuehrt wird. Zum ersten Mal nach der Wanderung konnten wir dort wieder einmal duschen. Wir hatten solange mit dem See Vorlieb genommen.Im Guesthouse gab es einige Zimmer. Unser Zimmer war an den Waenden mit zwei grossen Teppichen bespannt. Manchmal weiss man liegend wirklich nicht mehr, wo oben und unten ist.
Ich fand noch eine altes Buch ueber die Sowjetische Republik Kirgistan, herausgegeben in Frunze (heutiges Bishkek) 1982. Es war sehr sympathisch bei dem Ehepaar. Es gab einen kleinen Garten und einen kurzbeinigen Hund. Sie pflanzten auch einige Fruechte im Garten an. ZUr Zeit, als wir dort waren, hatte es auch einige andere Reisende aus Frankreich, Italien, der Schweiz… Es war ein guter Ort, sich ein bisschen auszuruhen, mal was zu lesen oder zu schreiben.
Als wir abends von dem verschlafenen Quartierweg, wo manchmal einzelne Kaelber entlangspazieren, in das Zentrum liefen, eroeffnete sich uns ein ziemlich verlassenes Bild.
Es dunkelte, und wir merkten, dass es in dem ganzen Staedtchen keine Strassenbeleuchtung gab. Im Zentrum befindet sich ein sehr sowjetischer Park – Wandeln auf Betonplatten und vorbei an irgendwelchen Helden. Lenin steht auch ganz in der Naehe in Aufbruchspose.
Es gibt aber viele Restaurants entlang der Strasse, die sich in der Stadtmitte befindet. Die Haeuser sind klein und aus Holz, bunt angestrichen. Das war fast eine kleine Westernstrasse ;).
Dort fanden wir das Restaurant Zarina, wo man sehr gut essen konnte. Zum ersten Mal hatten wir dort das Dungan Essen. DIe Dungan sind muslimische Chinesen, die nebst den Uyghuren zahlreich in Kirgistan leben oder generell nahe zur chinesischen Grenze.
Ashlyanfu ist z.B. ein Gericht aus Nudeln, die es im zentralasiatischen Laghman auch gibt, und Reisnudeln, scharf gewuerzt. Das mag ich ziemlich gerne. Ganfan ist auch sehr gut, das ist eigentlich ein Ratatouille.
Eine chinesische Moschee gibt es unweit vom Zentrum. Bis auf den kleinen hoelzernen Turm mit glaenzendem Halbmoendchen, wuerde man das Gebaeude nicht fuer eine Moschee halten. Sie sieht in ihren bunten Farben und dem gefaecherten Dach aus wie ein buddhistischer Tempel. Sie besteht gaenzlich aus Holz und soll keinen einzigen Nagel enthalten.
Dorthin verschlug es uns, als wir HInterhoefe mit bunten Teppichen ueberquerend einen Laden mit Gaskochern suchten.Dieser befand sich auf dem dritten Stock eines Haeuserblockes. Sie hatten dort zwar keine Gaskocher, doch die Leute hatten dort so Spass, dass wir vorbeikommen, dass wir sicher fast eine halbe Stunde dort blieben. Die Frau im Buero vermittelte auch Unterkunft oder Touren, ich erinner mich nicht mehr genau, und war aeusserst reizend. Sie telefonierte in eine andere Reiseagentur und fragte nach Gaskochern.
Dort fanden wir schliesslich was wir brauchten. Wir planten einen Ausflug ins Tal der Blumen “Dolina Cvetov”.