August 21, 2006

Semey alias Semipalatinsk

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 5:08 pm

“Semipalatinsk, das erinnert mich an einen halben Palatschinken”, meinte David. Soviel zur Klangseite des Wortes. Semipalatinsk war fuer uns die Ankunft an einem weissgekalkten Bahnhof mit blauen Tueren und Fensterrahmen. Wir assen im Cafe dort noch den ersten kasachischen Lagman, und ich wartete leidend auf die Toilettenoeffnung, waehrend die Femme de Service de la toilette in der Mittagspause sass, im naemlich selben Cafe wie wir :)). Irgendwann fragte ich dann mal schuechtern, wann sie denn fertig sei, ich muesste wirklich mal ganz dringend. Ich denke der Mittagskaffee konnte so verschoben werden. Danach setzten wir uns in die Marschrutka und fuhren natuerlich mal viel zu weit, weil wir nicht fragten, aber das war auch nicht schlimm. So hatten wir doch mal eine Idee von der Stadt. Im Bus meinte einer, es sei ja gut, dass ich russisch koenne, was sei aber mit meinem Freund, der werde noch Probleme kriegen hier. ICh fragte verdutzt wieso. “Naja,ist doch klar,abends vor einem HOtel in Semey, denn verpruegeln sie doch.” Na dann… Unsere Sitznachbarin mischte sich aber eifrig ein: “Na, na, na… So ein Unsinn (erunda), die Kasachen sind ein ausgesprochen gastfreundliches Volk!” Wir konnten beruhigt sein, doch beim Aussteigen meinte er doch noch “Also ich habe euch gewarnt, der wird sicher noch verhauen.” Zur Beruhigung: Niemand kruemmte David auch nur ein Haar!!! Das Einzige, was wir aus Semipalatinks davontrugen waren verdorbene Maegen, da das Essen im HOtel Irtysh, das wir dummerweise fast aufassen, entschuldigung, saumaessig schlecht war. Ichhatte mehrere Tage Probleme nach der fauligen Solyanka. Der Fluss Irtysh ist eigentlich das Schoenste dort, das Interessanteste ist der Markt. Das Dostojewskijmuseum, nach dem wir so lange suchten, entlang offenen Leitungsschaechten und Strassenbauarbeiten, war letztendlich leider zu, doch dafuer sahen wir viele Quartiere, Hauser mit blauen Fenstereinfassungen, bunte Kinderspielplaetze, lustige Baukrane und neue, neue Gesichter. Das Stadtbild ist eigentlich noch ziemlich russisch, viele staatliche Einrichtungen im Zentrum, eine grosse Haengebruecke ziert die Skyline, das Hotel Irtysh ragt aber nach wie vor erbarmungslos klotzig aus Allem hervor, und irgendwo dort drin war unser Poluljuks Zimmer (diesmal nur kaltes Wasser). Wir spazierten mal da hin mal dorthin, mal zum historischsten Punkt, wo alte Tore stehen, die wir aber glattwegs uebersahen, als wir ueber die Eisenbahnschienen liefen. Danach gingen wir richtung orthodoxe Kirche, wo  der kleine Wachwelpe im Hundehuettchen das Interessanteste und Unterhaltsamste war. Wir spazierten weiter, kamen an einer tollen dunkelroten Feuerwehrstation mit hohem Turm vorbei und roten Sternen auf den Garagentoren, sahen mehrfach grosse Nazarbaevplakate, die das Jahr 2030 als das Ziel aller kasachischen Bestrebungen verkuendeten. Propaganda in dem Stil sahen wir noch oft. Nazarbaev strahlend mit Kindern auf dem Arm, plaedierend fuer eine gute zuverlaessige Ausbildung etc. EInerseits Kitsch fuer uns, andererseits evt. wirklich Hoffnung fuer die Kasachen? Kasachstan hat sich seit dem Zusammenbruch der UdSSR gewaltig aufgerafft und viel in kurzer Zeit erreicht. Das Erdoelvorkommen beguenstigt natuerlich unheimlich, aber das Geld scheint auch sinnvoll investiert zu werden, man hat schon den Eindruck, dass sich viel tut, obwohl ich das nun sehr allgemein und plump dahersage. Was ich sagen moechte ist vielmehr, dass ich gemerkt habe, was ich selber manchmal auch fuer ein europaeisches Musterdenken habe, mit abendlaendischen Moralvorstellungen, das schnell auch zum Kaestchendenken werden kann. Das Gefuehl und v.a. die UEberzeugung, dass unsere westlichen Demokratiemuster immer das Beste sein muessen. ICh bin nach wie vor von unserer Schweizer Demokratie ueberzeugt, doch nicht davon, dass diese z.B. in Kasachstan passen wuerde. Viele Informationen, die ich ueber Nazarbaev bezogen habe, verursachen schon argwoehnisches Augenbrauenhochziehen, denn was genau laeuft da mit der Opposition? Ist sie von sich aus so schwach? Andererseits, was interessiert das das Volk, wenn es ihm gut geht? Andere Frage, wem geht es schlecht? Fuer so intensive Nachfragen hatte ich mit knapp drei Wochen in Kasachstan zu wenig Zeit, doch ich denke es war ein Anfang ueber unser westliches, manchmal nicht minder unkritisches Demokratiedenken nachzudenken. Der Markt war ein wildes Durcheinander von Gemuese frisch, gebraten, geschmort, von Fleisch, Samsa, Lagman, Ajran, Shashlyk und Bergen von Tapotschki (Plastiklatschen). Dort verirrten wir uns auf dem Weg zum Busbahnhof. Nach einigen Fragen, fanden wir heraus.Mit dem Minibus fuhren wir dann drei Stunden nach Ust-Kamenogorsk durch weite Steppe, mit einzelnen schwarzen Puenktchen, Reitern. Ab und zu fuhren wir an einem muslimischen Friedhof vorueber, an einer Reihe glitzernder Halbmoendchen. Was bleibt mir von Semey? Die dunklen Strassen nachts, stockdunkel, schwarz, die Stimme des Muezzin, die Technomusik und der erste Eindruck von Kasachstan, der dort noch ein sehr russischer war.

 

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