August 26, 2006

Oeskemen alias Ust’-Kamenogorsk

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 1:05 pm

Wir staunten, als wir uns mit dem Mikroavtobus einer grossen industrialisierten Stadt mit modernen Gebaeuden und breiten Strassen naeherten. Der dreieinhalbstuendige Weg dorthin war ein holpriger Steinweg, der abundzu wieder auf eine kleine Nationalstrasse einbog. Zwischen Semey und Oeskemen liegt Steppe, ein paar verschwindende Doerfer. Entlang der Strasse reiht sich in den Vororten, bzw. Doerfern, MElonenstand an MElonenstand. Kinder hocken mit Melonen und der Handwage im Strassenstaub und warten auf ein anhaltendes Auto. Ab und zu kommen wieder Pferdefuhrwerke vorbei, beladen mit Heu und oft einfach nur vielen Leuten, die von der Feldarbeit heimkommen. Am Strassenrand tauchte ab und zu ein altes sowjetschild in meist phantasievollem Design auf mit C?????????? ????! (Gute Reise). Die Bushaltestellen stammen auch noch aus der selben Zeit meistens und sind oft kompliziert mit aufwendigen nationalen Mustern, halbe Kunstwerke, die langsam ins Broeckeln geraten. Am Avtovokzal (Busbahnhof) wurden wir von einem kleinen Mann grad abgefangen, was wir dann aber gerne zuliessen, muede wie wir waren, und liessen uns ins Hotel Irtysh fahren, auf hundert Umwegen, an jedem erdenklichen Denkmal vorbei. Im Irtysh angekommen, fanden wir schnell heraus, dass der Ort total schick war und ein zml Businessbunker dazu. Die Frau an der Reception zeigte sich aber ganz hilfsbereit und telefonierte fuer uns schnell rum, um an ein guenstiges Zimmer zu kommen. So fanden wir ein Gostinitsja, ein etwas zweifelhaftes zu dem Preis, aber die guenstigste Variante. Dort gab es im Poluljuks (staendiger Begleiter) keine Dusche, auch auf dem Gang nicht.Das Ljukszimmer fuer 4000 Tenge, 40Fr. verfuegte ueber diesen Luxus. Wir konnten die nette Empfangsdame zum Kompromiss 3000 Tenge ueberzeugen. Das Zimmer sah lustig aus. Zwei Zimmer, eines ein etwas heruntergekommener Salon mit violetten golddurchwirkten Vorhaengen, einem dicken Teppich, lila Waenden und kleinem Kronleuchter. Im Buffet lag ein noch buttriges Messer und klebrige Glaeser. Im Nebenzimmer standen zwei Betten. Ein Riesending fanden wir, wir wollten doch nur Bett und Dusche. Das Gebaude war von sich aus kurios, denn es war ein Obshezhitie, ein Wohnheim, wo viele Familien wohnten. Das Zimmer war auf der dritten Etage, ein exklusiver Teil sozusagen dort drin. Neben dem Hotel war eine Bar, wo abends eine ganze Gruppe Tanzgirls vor dem Eingang stand. Wir fragten uns, ob wir aus Versehen in einem Etablissement gelandet waren, dem angeblich “guenstigsten Ort der Stadt”. Fuer drei Tage war es in Ordnung, obwohl das Kaltwasser und somit die Klospuelung aussetzte. Es begann aus der Leitung furchtbar uebelerregend zu stinken.Zum Glueck konnten wir bald raus. Die Stadt Ust-Kamenogorsk ist insgesamt nichts Besonderes. Dort fliesst mehr Geld als in Semey, da sich viel Industrie dort befindet, u.a. die Geldindustrie, Muenzdruck. Abends war schnell mal Ruhe, nicht viel los. Der Bazar war noch witzig, dort konnte ich mir endlich eine Kopftaschenlampe kaufen. Buecherlaeden fand ich keine guten, und spaerlich waren sie auch gesaeht.Essen konnte man dafuer sehr gut und fuer unsere Verhaeltnisse guenstig in einem georgischen Restaurant. Georgisches Essen, ich geb es zu, gehoert immer noch zu meinen Favoriten. Russisches Essen finde ich nur zuhause bei den Leuten gut, in den Cafes finde ich es oft ein Frust. Zuviele graue Backwaren habe ich unterwegs bekommen 🙂 und zuviel Mayonnaise. Kasachisches Essen, d.h. evt. ist es eben auch kirgisisches oder usbekisches, jeder behauptet was anderes, finde ich ganz in Ordnung, aber es besteht hauptsaechlich aus Fleisch. Doch wir sollten noch viel mehr zu kosten bekommen.

August 21, 2006

Semey alias Semipalatinsk

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 5:08 pm

“Semipalatinsk, das erinnert mich an einen halben Palatschinken”, meinte David. Soviel zur Klangseite des Wortes. Semipalatinsk war fuer uns die Ankunft an einem weissgekalkten Bahnhof mit blauen Tueren und Fensterrahmen. Wir assen im Cafe dort noch den ersten kasachischen Lagman, und ich wartete leidend auf die Toilettenoeffnung, waehrend die Femme de Service de la toilette in der Mittagspause sass, im naemlich selben Cafe wie wir :)). Irgendwann fragte ich dann mal schuechtern, wann sie denn fertig sei, ich muesste wirklich mal ganz dringend. Ich denke der Mittagskaffee konnte so verschoben werden. Danach setzten wir uns in die Marschrutka und fuhren natuerlich mal viel zu weit, weil wir nicht fragten, aber das war auch nicht schlimm. So hatten wir doch mal eine Idee von der Stadt. Im Bus meinte einer, es sei ja gut, dass ich russisch koenne, was sei aber mit meinem Freund, der werde noch Probleme kriegen hier. ICh fragte verdutzt wieso. “Naja,ist doch klar,abends vor einem HOtel in Semey, denn verpruegeln sie doch.” Na dann… Unsere Sitznachbarin mischte sich aber eifrig ein: “Na, na, na… So ein Unsinn (erunda), die Kasachen sind ein ausgesprochen gastfreundliches Volk!” Wir konnten beruhigt sein, doch beim Aussteigen meinte er doch noch “Also ich habe euch gewarnt, der wird sicher noch verhauen.” Zur Beruhigung: Niemand kruemmte David auch nur ein Haar!!! Das Einzige, was wir aus Semipalatinks davontrugen waren verdorbene Maegen, da das Essen im HOtel Irtysh, das wir dummerweise fast aufassen, entschuldigung, saumaessig schlecht war. Ichhatte mehrere Tage Probleme nach der fauligen Solyanka. Der Fluss Irtysh ist eigentlich das Schoenste dort, das Interessanteste ist der Markt. Das Dostojewskijmuseum, nach dem wir so lange suchten, entlang offenen Leitungsschaechten und Strassenbauarbeiten, war letztendlich leider zu, doch dafuer sahen wir viele Quartiere, Hauser mit blauen Fenstereinfassungen, bunte Kinderspielplaetze, lustige Baukrane und neue, neue Gesichter. Das Stadtbild ist eigentlich noch ziemlich russisch, viele staatliche Einrichtungen im Zentrum, eine grosse Haengebruecke ziert die Skyline, das Hotel Irtysh ragt aber nach wie vor erbarmungslos klotzig aus Allem hervor, und irgendwo dort drin war unser Poluljuks Zimmer (diesmal nur kaltes Wasser). Wir spazierten mal da hin mal dorthin, mal zum historischsten Punkt, wo alte Tore stehen, die wir aber glattwegs uebersahen, als wir ueber die Eisenbahnschienen liefen. Danach gingen wir richtung orthodoxe Kirche, wo  der kleine Wachwelpe im Hundehuettchen das Interessanteste und Unterhaltsamste war. Wir spazierten weiter, kamen an einer tollen dunkelroten Feuerwehrstation mit hohem Turm vorbei und roten Sternen auf den Garagentoren, sahen mehrfach grosse Nazarbaevplakate, die das Jahr 2030 als das Ziel aller kasachischen Bestrebungen verkuendeten. Propaganda in dem Stil sahen wir noch oft. Nazarbaev strahlend mit Kindern auf dem Arm, plaedierend fuer eine gute zuverlaessige Ausbildung etc. EInerseits Kitsch fuer uns, andererseits evt. wirklich Hoffnung fuer die Kasachen? Kasachstan hat sich seit dem Zusammenbruch der UdSSR gewaltig aufgerafft und viel in kurzer Zeit erreicht. Das Erdoelvorkommen beguenstigt natuerlich unheimlich, aber das Geld scheint auch sinnvoll investiert zu werden, man hat schon den Eindruck, dass sich viel tut, obwohl ich das nun sehr allgemein und plump dahersage. Was ich sagen moechte ist vielmehr, dass ich gemerkt habe, was ich selber manchmal auch fuer ein europaeisches Musterdenken habe, mit abendlaendischen Moralvorstellungen, das schnell auch zum Kaestchendenken werden kann. Das Gefuehl und v.a. die UEberzeugung, dass unsere westlichen Demokratiemuster immer das Beste sein muessen. ICh bin nach wie vor von unserer Schweizer Demokratie ueberzeugt, doch nicht davon, dass diese z.B. in Kasachstan passen wuerde. Viele Informationen, die ich ueber Nazarbaev bezogen habe, verursachen schon argwoehnisches Augenbrauenhochziehen, denn was genau laeuft da mit der Opposition? Ist sie von sich aus so schwach? Andererseits, was interessiert das das Volk, wenn es ihm gut geht? Andere Frage, wem geht es schlecht? Fuer so intensive Nachfragen hatte ich mit knapp drei Wochen in Kasachstan zu wenig Zeit, doch ich denke es war ein Anfang ueber unser westliches, manchmal nicht minder unkritisches Demokratiedenken nachzudenken. Der Markt war ein wildes Durcheinander von Gemuese frisch, gebraten, geschmort, von Fleisch, Samsa, Lagman, Ajran, Shashlyk und Bergen von Tapotschki (Plastiklatschen). Dort verirrten wir uns auf dem Weg zum Busbahnhof. Nach einigen Fragen, fanden wir heraus.Mit dem Minibus fuhren wir dann drei Stunden nach Ust-Kamenogorsk durch weite Steppe, mit einzelnen schwarzen Puenktchen, Reitern. Ab und zu fuhren wir an einem muslimischen Friedhof vorueber, an einer Reihe glitzernder Halbmoendchen. Was bleibt mir von Semey? Die dunklen Strassen nachts, stockdunkel, schwarz, die Stimme des Muezzin, die Technomusik und der erste Eindruck von Kasachstan, der dort noch ein sehr russischer war.

 

August 18, 2006

Fahrt nach Semipalatinsk

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 9:49 am

Am Nachmittag stiegen wir in den Zug nach Almaty. Der Zug war auf diesem Perron riesenhoch, wir mussten richtig in den Wagen reinklettern mit unseren Rucksäcken. Zum ersten Mal hatten wir Plätze im Coupé (separates Viererabteil), da nichts anderes mehr vorhanden war. Es kostete aber wesentlich weniger als üblicherweise ein Coupé in Russland kostet.

Nach einer Weile, wir hatten bereits die Bücher rausgenommen und lasen, kamen zwei Frauen zu uns ins Abteil. Mutter und Tochter wie sich bald herausstellte. Sie hatten beide ganz dunkles Haar, das Mädchen hatte Augen, die unglaublich unter einer scharfen Augenbrauenlinie hervorleuchteten, grün-türkis und blau. Ihr Blick kippte immer zwischen kritischer Aufmerksamkeit und heller Freude hin und her. Als sie bemerkten, dass wir nicht Russe und Zigeunerin, wie sie anfangs annahmen ; ), waren, sondern hörbar irgendein anderes Kauderwelsch sprachen, wurden sie neugierig.

Sie fanden es anscheinend ganz verrückt mit Schweizern im Zugabteil zu fahren, denn noch nie hätten sie die Gelegenheit gehabt sich mit Ausländern aus Europa zu unterhalten, wenn sie das in ihrem Dorf erzählen würden, würden die dort ihnen das kaum glauben.

Wir fanden es aber mindestens eine so schöne Begegnung wie die beiden, denn noch nie hatten wir die Gelegenheit uns mit Gastarbeiterinnen in Russland zu unterhalten, die sich gerade auf dem Heimweg befanden. Wahrscheinlich fanden sie sich so unexotisch dabei, in diesem Zug nach Kasachstan, wie wir uns : ).

Die Frau, deren Name ich nicht erfuhr, und ihre Tochter Susanna sind Türkinnen und sprechen auch türkisch, sind aber seit Geburt Bürger Kasachstans. Sie nennen die Türkei ihre Heimat, in der sie noch nie waren. Sie fuhren über die Ferien nach Hause in ihr Dorf unweit von Shymkent, im Süden Kasachstans.

Die beiden arbeiten in Novosibirsk in einem Supermarkt. Susanna ist sechzehn und kam mit vierzehn nach Russland, um ihrer Mutter zu helfen. Zwei Jahre war sie nicht zuhause. Sie würden vielmehr verdienen in Russland als in Kasachstan, sagte die Frau. Es stellte sich heraus, dass sie noch einen Sohn hat und seit einigen Jahren alleinstehend ist.

Das war der Einstieg in eine längere Erzählung: Sie selber stammt aus einer kinderreichen türkischen muslimischen Familie. Wie viele andere Frauen wurde sie auf Absprache zwischen Eltern und Bräutigam verheiratet, und nicht mit dem Mann, den sie gern hatte. In Zentralasien existierte lange, und in neuerer Form auch heute noch, der Brauch des Frauenraubs.

In ihrer Erzählung kam er etwas anders vor, dass ihr zukünftiger Mann sich das Einverständnis ihrer Mutter holte und sie nachher auf der Strasse im Auto mitnahm. Im Wagen eröffnete er ihr, dass er sie heiraten werde. Sie sass sozusagen in der Falle.

Neun Jahre sei sie verheiratet gewesen, unglücklich und unzufrieden. Sie lebte im Haus des Mannes, wo dessen Mutter und Geschwister und sonstige Familienmitglieder noch wohnten. Es sei langweilig gewesen, sagte sie, kochen, putzen für alle, immer zuhause sitzen und die Schwiegermutter ertragen, mit der sie es nicht gut gehabt habe. Vom Mann hätte sie keine Unterstützung bekommen, der Zusammenhalt in seiner Familie sei zu stark gewesen.

Irgendwann sei es unerträglich gewesen, sie habe ihre Kinder gepackt und sei zu ihrer Mutter, die sie mit Vorwürfen beworfen hätte, sie könne nicht mehr, es sei alles ihre Schuld. Die Mutter habe gesagt “Poterpi”, “erdulde es”. Sie hätte es aber nicht mehr gekonnt. Ihr Mann sei auch schon sehr unzufrieden geworden mit ihr.

Sie blieb mit ihren Kindern allein. Man verachtete sie, wie sie sagte, sogar in der eigenen Familie dafür. Ihr Bruder habe sich abgekehrt, und die Eltern rieten ihr anfangs die Kinder wegzugeben.

An der Stelle wurde die Erzählung wie auch sie sehr traurig, und ich hatte fast das Gefühl schon zuviel gehört zu haben.

“Ich habe aber Arbeit gesucht”, fuhr sie fort, “ich arbeitete als Köchin, als Hauswart und Vieles mehr, um mit den Kindern durchzukommen. Ein Bekannter riet mir in Russland zu arbeiten. So kam ich vor vier Jahren nach Novosibirsk.”

Ihr Leben scheint sich verändert zu haben in Russland. Sie sei eigentlich streng erzogen worden, Schweinefleisch, Alkohol, Schminke, lange Nägel sei alles nicht erlaubt. So wie Russinnen dürften sie sich nie geben, eigentlich fänden sie das selber auch nicht schön, so geschminkt mit gefärbtem Haar. Die Tochter rümpfte die Nase. Doch einige Sachen nehme man schon an. Im Winter auf dem Markt sei es einfach sehr kalt, im Durchzug, da trinke sie mit den anderen Frauen abundzu einen Vodka, wenn es sich ergäbe. Selber aus einem konservativeren Ort, ist sie und ihre Tochter schon sehr westlich modern gekleidet.

Ich fragte, ob sie sich umziehen müssen, bevor sie nach Hause kommen.

Sie schauten mich mit grossen Augen an: “Natürlich. Meine Güte, mein Vater würde mich verfluchen, würde er mich so sehen! Langärmlig müssen wir angezogen sein, und das Kopftuch müssen wir tragen. Sonst nennen sie uns Schlampen!”

Der Sohn, der jetzt vierzehn ist wohnt bei den Eltern, während Mutter und Schwester in Russland arbeiten. Wie denn jetzt das Verhältnis sei zwischen ihr und den Eltern und Verwandten, fragte ich. Besser sei es, sagte sie, denn sie käme für sich selber auf, verdiene viel Geld. Wahrscheinlich schämten die sich auch im Nachhinein. Was aber ein wesentliches Thema war, war die Verheiratung von Susanna. Sie müsse Geld haben, damit sich das Mädchen anständig verheiraten könne. Anscheinend kostet eine Hochzeit ein irrsinniges Geld, d.h. der Festschmuck für die Braut. Auf solche Dinge werde noch unheimlich viel Wert gelegt. Sie wolle das Mädchen aber erst verheiraten, wenn es jemanden gefunden habe, der ihr auch wirklich gefällt, auch wenn ihre eigene Mutter dränge, Susanna nun endlich zu verheiraten, sie wolle nur das Beste für das Mädchen.

Bildung fände sie auch wichtig, meinte sie, da konnte ich nur eifrig nicken, denn so dachte ich nämlich auch. Susanna schien mir nämlich als sehr intelligent, sprach sehr gut Russisch, lernte sehr gut Kasachisch und lernte auf dem Markt sogar Tadschikisch. Ob das wohl klappt mit Heirat und Weiterbildung?

Ich finde es wahnsinnig, dass sich ein Mädchen mit sechzehn bereits so langfristigen Entscheidungen wie Ehe stellen muss.

Zwischendurch kam ein Junge in unser Abteil, der mit ihnen reiste aber nicht in ihr Abteil konnte. Er guckte uns am Anfang auch ganz argwöhnisch an. Dann wollte er aber unbedingt mal unseren Schweizer Pass angucken, wir guckten dafür seinen schönen türkis Pass an. Als wir über den Ob fuhren, begann er plötzlich wild zu fuchteln an. “Hier beliefere ich die Schiffe mit Gemüse und Obst! Hier ist meine Arbeitsstelle. Ach, das ist der schönste Platz in Novosibirsk!” Das war ein Moment, der mich sehr rührte, jemanden so begeistert und stolz von seiner Arbeit reden zu hören. Sie sagten, sie arbeiten sehr gerne in Novosibirsk. Es sei sehr angenehm. Es störe sie auch nicht, dass es acht Monate kalt sei.

Irgendwann fuhr ein Speisewägelchen über den Zuggang, der mit türkis Teppich ausgelegt war. Der Junge bestellte ein Wasser und heulte vor Freude wieder auf, als er das heimatlicher Wasser aus seiner Region erkannte.

Die Gespräche und Ereignisse dauerten immer eine Weile, so dass ich David immer alles etwas später übersetzte. Er las in der Zwischenzeit den Indienroman Shantaram.

Ich konnte lange nicht einschlafen, schrieb irgendwie noch halb im Dunkeln, halb im Flur, wartete darauf, dass das Klo aufmachte, welches immer geschlossen wird kurz vor Bahnhofankunft und das oft gut 40 Minuten bleibt. So etwa in Barnaul.

Der Zug fuhr langsam, ruckelnd, mit rhythmischem taram-taram, welches ich mit Davids Handy aufgenommen habe. Evt. stelle ich das mal mit anderen Lebenssoundtracks auf den Blog ; ), eine Sound gallery.

Am frühen Morgen waren wir an der Grenze, wo der Zug lange stand. Es dauerte lange, bis unser Wagen untersucht wurde. Ich musste die Sitzfläche aufziehen und unser Gepäck zeigen, durchsucht wurde es aber nicht.

Im Zugabteil neben uns wurde eine Unruhe laut. Die russische Zollbeamtin war bereits hörbar. Es handelte sich um Kirgisen, die keine Migrationskarte besassen.

Offensichtlich handelte es sich um Schwarzarbeiter, sie mussten eine Busse bezahlen schlussendlich nach langem Hin-und-Her. Die Frau in unserem Abteil und Susanna hatten auch keine Migrationskarte, Susanna hatte auch noch keinen eigenen Pass. Sie bekamen eine Verwarnung, dabei blieb es zum Glück. Bei wiederholtem Kartenverlust könne es zur Verweigerung der Einreise kommen.

Susanna und ihre Mutter, so begriff ich, arbeiten wie viele schwarz in Russland, sind beide von einer Armenierin angestellt und wohnen zur Untermiete bei einer älteren Russin.

Der Morgen brach an. Wir rollten ins Steppenland, wo plötzlich gar keine Birken mehr zu sehen waren, die Sträucher immer rarer wurden, teilweise noch Kornfelder aufglänzten. Ich sagte David, dass es schön wäre durch dieses Steppenland zu reiten.

Fünf Minuten später schreit er nach mir! Aus dem anderen Zugfenster sieht man einen Mann auf einem Pferd in sprengendem Galopp Jungpferde vor sich treibend.

Ich machte einen Luftsprung und muss grad unglaublich gequitscht haben vor Aufregung, denn der junge Türke meinte, wir sollten doch unbedingt zu ihm zu Besuch kommen nach Shymkent, sie hätten auch ein Pferd, und oh, es sei so schön dort zu reiten! Alle lachten über den gutgemeinten Vorschlag. Es kam zum Fotoalbum, bzw. Tausenden losen Fotos… Viele von Sylvester in Novosibirsk, Susanna mit den Neffen von dem Jungen, dessen Schwester und Familie. Der Junge war eines von zehn Kindern, der Vater musste anhand des Bildes über siebzig schon sein. Er war weisshaarig und trug ein schwarzes Samtkäppchen.

Die Frau schenkte mir eine Foto von Susanna, worauf ich ihr ein etwas einfalloses Passfoto von mir schenkte. Sie gab mir noch ihre Adresse an, so kann ich ihr aus der entlegenen Schweiz einmal einen Brief mit Fotos schicken. Ich muss nur noch irgendwie den Postindex herausfinden von ihrem Dörfchen, den hatte sie vergessen. Dazu schenkte sie uns Gurken und Ghurt (wenn richtig geschrieben), getrockneten, gesalzenen Käse, der zu einer Kugel geformt ist und ein Jahrhundert haltbar ist. Nomadenkost für die Satteltasche ; ). Immer wieder kamen Leute ins Abteil, die Wechsel anboten “Tenge, Tenge”.

Ich lernte schön brav “rahmet”, danke, auf kasachisch und Elementares wie Su und Nan (Wasser und Brot), für den Notfall ; ), wobei hier alle Russisch sprechen natürlich. Nach Mittag rollten wir in den Semipalatinsker Bahnhof ein, wo wir uns verabschiedeten von den beiden und ihnen alles Gute wünschten für die noch lange Heimreise.

So standen wir in der Mittagshitze umringt von Ankömmlingen, fröhlichen Abholern am einfachen blauweissen Bahnhof. Die dominanten Farben in Kasachstan übrigens: Blau und Weiss. Der Himmel ist blau, der Steppenboden weiss. Die Häuser sind kalkig weiss, die Fensterrahmen tiefblau. Die Barrieren sind sogar blauweiss, die Geländer sind überall blau, auch fast jede Art von Gitter.

Manchmal wird diese Farbharmonie auch noch mit dem lautlosen Flug eines Falken unter stahlblauen Himmel vollendet. Ich schaue die Landesflagge an und staune darüber, wie ähnlich die Zeichen gewählt wurden. Es waren die ersten Dinge, die ich von Kasachstan sah: die Landesflagge und das weite Land angrenzend an noch weiteren blauen Himmel.

August 16, 2006

Auf Wiedersehen Russland

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 3:13 pm

Auf Wiedersehen Russland, wir werden alle Deine Schoenheit, alle Deine verschaemten Haesslichkeiten, Deine Weiten, Deine Staedte, Deinen Zauber, Deinen Spuk, Deinen Fatalismus, Deine Sturheit, Deine Herzlichkeit, Deinen Witz, Deinen Humor, Deine Abgruende, Deine Hoehen, Deine Staerke, Deine Schwaeche, Deine banale Alltagsexotik, Deine frischen und alten trockenen Piroggen, Deinen ewigen Kohl und die ewige Kartoschka, Deine herrlichen Golubcy, Deinen suessen Beerenwein, Deine bittere Suesse insgesamt nicht vergessen, und Deine Leute werde ich nicht vergessen, mit denen ich eine wunderbare Zeit verbrachte. Nun ist es and der Zeit weiterzureisen, in Deine eigene Geschichte eigentlich. Wir reisen nach Zentralasien. Das erste Land wird Kazachstan sein. Warum wir nach Zentralasien reisen, werden wir stets gefragt. Dort herrschten grauenhafte Zustaende und furchterregende Lebensbedingungen. Die Leute wuenschten sich doch alle nach “Russland” zurueck (Sowjetunion gemeint). Ich moechte wissen, ob das tatsaechlich so ist, ob die Leute Dich tatsaechlich zurueckhaben wollen. Manchmal scheint mir, dass die Sowjetunion doch eigentlich gar nichts anderes als eine Kolonialmacht war. Sie zog es einfach vor nahe Laender einzuverleiben und auf deren Kosten zu speisen. Mich hat die Haltung der Russen gegenueber der frueheren Sowjetrepubliken immer interessiert, jetzt habe ich Gelegenheit, Vorurteile aufzudecken und die Laender mit eigenen Augen zu sehen. Fuer mich gehoeren diese Laender in den russischen historischen Zusammenhang. In Petersburg habe ich viele usbekische Gastarbeiter getroffen, die mir ueber ihr Land schwaermten, Georgier, die schwaermten…. Nur die Russen schwaermen nicht, wieso? Warum werden ehemalige Landesbrueder in Petersburg z.B. von Skinheads attackiert? Warum haelt ein alter Mann “Araber” fuer nicht genug lernfaehig (sie koennen nie richtig Russisch lernen), warum sind Kaukasier und Zigeuner ” Cernye” (Schwarze)? Russland, irgendwann musst auch Du Dich diesen Fragen ernsthaft stellen.

Billiardabend im Akademgorodok

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:51 pm

Was macht man an einem freien Abend in Akademgorodok? Wir gingen ins erstbeste Cafe in der Naehe und tranken Kaffee, die die rechtzeitig waren, bevor die Kaffeemaschine schon gereinigt wurde (um 20Uhr!!), die anderen (ich), wie es sich um die Tageszeit ja eigentlich gehoert Bier :). Zu dritt mit Karin sassen wir an einem der Bistrotischchen, in einem Einkaufshausmaessigen Cafe und wussten nicht mehr so recht wohin, da auch das Wetter regnerisch war. Ich bemerkte seit einiger Zeit einen neugierigen Blick vom Nebentisch, wo ein junger Typ mit einem dicken Buch und einem grossen Bier sass. Auch er scheint sich irgendwie zu arrangieren, dachte ich bei mir. Jedenfalls sprach er uns dann einmal an. Karin fragte ihn dann unverwandt, wo man denn in diesem Ort eigentlich hinkoenne um die Zeit. -Schwupp- flog ein Handy aus der Tasche und er meinte “One moment! ….. Sed? Zdorovo! U menja zdes’ tri inostranca….etc..” (Sed? Hallo! Ich habe hier drei Auslaender….).So lernten wir Eduard kennen. So kamen wir eine gute halbe Stunde spaeter mit rechtsgesteuertem Taxi vor einer Kellerbar an. Dort standen in daemmrigem Licht vier Billiardtische, an denen irgendwie originalgetreu Maenner mit Bier und einer mit VOllglatze Billiard spielten. Wir bestellten Bier, dazu den getrockneten Fisch, Shpaly (grosse Croutons!!mit Knoblauch!!), und Sed (alias Aleksandr) kam dann noch dazu. War ne gemuetliche Runde. Nach etwa zwei Runden spielten wir Billiard, und das den Rest des Abends bis 1, dann hatten wir noch mehr Lust auf Billiard und fuhren zur Banja, wo man bis 4 Billiard spielen kann, oder noch laenger? Ich weiss es gar nicht mehr genau und weiss auch gar nicht mehr, wann wir da wieder rausgekommen sind…. Zuhause waren wir jedenfalls nach langem Fussmarsch erst kurz vor sechs. Es war lustig, David und ich ein Kommando, Sed und Eduard das andere und Karin war die Ueberlauferin, die im Wechsel fuer beide spielte. Sed und Eduard bestellten eine Flasche Vodka und Essen dazu, d.h. dazwischen assen und tranken wir wieder. Fuer uns wurde es bald mal schwerer die Kugel zu treffen,wobei wir nicht so betrunken waren wie der arme Eduard, der ploetzlich mit uns noch in die Banja wollte. Wir konnten ihn aber alle einstimmig bremsen:”Net!” Das Spielen machte Spass, doch bekanntlich koennen Abende ploetzlich auch zu lange werden, und nehmen eine unerwartete Wende. So nach Regel: Permanente Steigerung, Hoehepunkt und dann der Wendepunkt, dann fallende Handlung. Hoehepunkt: VOdkaflasche leer, Wendepunkt: Eduard machte mir einen unplazierten Heiratsantrag, Fallende Handlung: alle wollten ploetzlich nur noch nach Hause. Tja, aber so enden die meisten Geschichten, nicht wahr? Die Geschichte spann sich auch nicht weiter, es war und bleibt ein einfacher, lustiger Billiardabend in Akademgorodok.                                                                                                                                                          

August 12, 2006

Novosibirsk und Signora Elenas unglaubliches Kuechenland

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 6:42 pm

Ankunft in Novosibirsk im anbrechenden Morgen. Wir konnten direkt im Bahnhof selber in einem Poluljuks Zimmer (Halbluxus Zimmer) uebernachten. Wenn wir aus dem Zimmer rauskamen, standen wir auf einer Bruestung und blickten auf einen riesigen schoenen Wartsaal hinunter. Es kam mir vor, als wuerden wir auf einer Kirchenempore uebernachten. Der sog. Halbluxus zeigte sich damit, dass es kein echtes WC gab, sondern eine Campingtoilette. Ansonsten war das Zimmer riesig, mit allen Schikanen. Am Nachmittag trafen wir Karin, die einen guten Monat in Novosibirsk verbrachte, dort bei einer Soziologin ein Praktikum in der Bibliothek machen und gleichzeitig bei deren Mutter wohnen konnte. So wurden wir von Karin fuer ein paar Tage in die Wohnung von Elena eingeladen, mit der Vorwarnung, dass man sich in den Buecher- und Geschirrtuermen verlaufen koenne. Wir fuhren in das Akademgorodok (Akademisches Staedtchen), etwa 40 Minuten mit der Marschrutka. Dieser Ort ist am Obsee gelegen, einem Reservoir des Ob, mitten im Nadel- und Birkenwald. Es ist das wissenschaftliche Zentrum von Sibirien und hat studentisches Flair.Der Ort ist ungewoehnlich, da er irgendwie wie ein riesiger Campus wirkt, andererseits dort verschiedenste Leute wohnen.  Elena und ihre Tochter Tatjana sowie deren Mann wohnen in zwei Wohnungen mit einer Verbindungstuer. Wie wir reinkamen in das – ich nenns “intellektuelle”- Paradies, sahen wir zuerst eine hohe vollgepackte Buecherwand, davor noch Kisten mit Buechern. Daneben einen grossen Milchkontainer, bis oben voll mit Honig. Ein Kuehlschrank mit Schreibsachen und Papierchen, Hueten und Kalendern drauf, stand in der Ecke, fast die Durchgangstuer verdeckend. An der Wand zwischen Tuermen von weiteren Sachen – ein Garderobenspiegel mit ganz vielen bunten Ketten behaengt. Karin zeigte uns das Zimmer, wo wir zu dritt drin schlafen wuerden. Wuchernde Pflanzen auf dem Fenstersims. Eine, die sich von der Decke sogar auf das Bett herunterringelt, und rundherum Buecher, Buecher, Buecher… Antike Philosophie, Sowjetgeschichte, Krimiautorinnen, Mark Twain… Da lag noch so eine Schachtel rum, wie eine Pizzaschachtel, das habe ich nicht so ganz begriffen, da war ein Bild von Dostojewskij draufgeklebt. Dostojewskij Pizza Service? Jedenfalls kamen wir in die Kueche, und ich wusste, das war nun das Schlaraffenland. Davon hatte ich als Klein gelesen. Das Land, wo es keine Rolle spielt, ob du nun 3 oder zehn Tomaten isst, denn die Schuessel spuckt immer neue aus. Die Broetchen fallen vom Himmel, das Huhn fliegt gebraten durch die Luft, die Kirschen und Aepfel wachsen zum Fenster herein. In der sehr hohen Kueche, stand in der Mitte ein grosser quadratischer Tisch, bei leeren Zeiten war ein kariertes Tischtuch zu sehen, ansonsten stand dort immer eine volle Salatschuessel, Teetassen, Kannen, Loeffel, ein Korb voller Brot, ein Becken voll von frischem Gartengemuese. An den Knaeufen der Einbauschraenke hingen Saecke voll mit Nuessen, Aepfeln, Bonbons… Ueber den Tisch schaute man sich durch lange Pfannen- und Tellerschluchten an, und fast hoerte man sein eigenes Echo. Die Suppe schlummerte brodelnd die ganze Zeit vor sich hin, im riesen Topf. Elena, die kleine Signora, die vor wenigen Jahren zur Katholikin geworden war, Liebhaberin der italienischen Sprache und italienischer Lieder, verschwand zuweilen hinter ihrem ganzen Werk. Die Pflanzen auf dem Sims daempften das Licht in der Kueche. Man hatte beim Essen unbedingt immer einen Gemuesetopf oder einen Vorratssack zwischen den Beinen. Nachts, ich konnte nicht schlafen, schlich ich mich in die Kueche und las dort volle drei Stunden. Diese Kueche und Elena, die mir beherzt die Romanze Santa Lucia  vorsang, werde ich nie vergessen koennen. Es war herrlich schoen dort.

August 7, 2006

Im Zug durch Sibirien mit Pink Floyd und Doors

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 11:06 am

Um viertel nach 2 (Moskauer Zeit, also viertel nach 4) sind wir in das verdunkelte Abteil eingestiegen und warteten auf die Frau Provodnik (Zugbegleiterin), die uns Tickets abreissen und Bettwäsche bringen sollte.
Wir waren müde, runherum gleichmässiges Atmen, hie und da ein kleiner Schnarcher, und dann PLUMPS!, fiel ein kleines Mädchen aus dem Bett. Wütend packte sie ihr Bettzeug und drückte sich wieder auf die Liege.
Vom oberen Bett stieg nun ihre Mutter herab und fragte mich, ob die Kleine aus dem Bett gefallen sei und wickelte sie dann lange sorgfältig wieder ein, dass bald wieder alles still war.
Es dämmerte, als wir schlafen gingen, und lange schlief ich auch nicht.
Der Tag bestand aus Lesen (ich Ljudmila Ulitzkaja, David einen Bestseller mit Titel Shantaram, den er jetzt noch mit dem letzten Licht vom WC Korridor liest), Fotos ordnen auf dem Power Book (David), aus dem Fenster gucken und Musik hören. Bei diesen Weiten: Wiese, Wiese, Wiese, Birke, Haus, Wiese, Wiese, Wiese, Birkenhain, Wiese, Wiese, Wiese, Birkenwald fand ich Pink Floyd super.
Vor allem das Stück “Time” setzte die kleinen abgelegenen 30 Seelendörfchen in eine malerisch-bedeutungsvolle Perspektive.
Immer wieder die Frage, was machen die Leute dort den ganzen Tag? Wo ist der nächste grössere Ort, wo gehen sie einkaufen?
Ist es wirklich so auf dem russischen Dorf?
“Ticking away, the hours of a long, long day…”
Die Gegend hat sich seit heute morgen minimal verändert. Die Wiesen sind grösser geworden und sumpfiger, die Gegend leerer…. aber ich bin mir eigentlich selber gar nicht so sicher.
Der transsibirische Traum? Ich glaube, dass die interessantere Strecke in Irkutsk beginnt, bzw, sich um den Bajkalsee zieht.
Ich fahre selber unheimlich gern Zug, eine romantische Schwäche von mir, doch stelle ich doch auch ernüchtert fest, dass die Strecke Zürich-Bern bereits abwechslungsreicher ist. Wir fahren hier so ziemlich fadengerade längs durch einen irrelangen Vegetationsgürtel, ein ewiges wunderschönes Birkenhainland.
Ich liebe Birken, nun habe ich tagelang keinen anderen Baum mehr gesehen.
In einer Stunde treffen wir in Novosibirsk ein!! Eine Stadt wie ein Pilz aus dem Nichts geschossen muss das sein. Hier aus dem Zugfenster ist es finster. Ich sehe nur mein vom Laptop erhelltes Gesicht und Davids lesendes Profil mit Kopfhörern.
Kein Dorf, keine Fabrik, gar nicht.
Ernährt haben wir uns von sowas wie Quick Soup à la Russe und Kartoffelstock. Heisses Wasser gibt es immer im grossen Samowar bei der Zugbegleiterin vorne. Kaffee haben wir auch genug dabei.
Omsk und Baranilsk, dieses mit sowjetlike Leuchtschrift angekündigt auf dem Betonklotz von Bahnhof, zeigten nur ihr graues unbewohntes Gesicht, dass dort soviele Menschen leben sollen, glaubt man auf den ersten Blick sicher nicht.
Was für ein eigenartiges Land Du doch bist, Russland.
Ich glaube langsam, dass wir über den Bauch eines schlafenden Riesen fahren.

August 6, 2006

Der letzte Tag im Ekaterinendorf

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 11:07 am

Am Bahnhof haben wir heute ohne grosse Mühe aber mit einigem Glück wieder zwei Fahrkarten nach Novosibirsk bekommen.
Der Zug fährt heute um halb 2 (MOSKAUER ZEIT, wohlgemerkt) los, i.e. halb 4.
Jetzt  ist es halb 12, und ich kann mich nicht recht entschliessen, ob ich mich kurzem Schlaf hingeben soll oder müden Auges die Zeit “durchbloggen” soll.
David schläft schon tief. Ich weiss nicht, ich höre jetzt Shine on you crazy diamond, tippe, tappe und gefall mir ganz gut dabei…
Heute waren wir nach unserem Bahnkartentreffer mit Elena, ihrem Freund Sergio und Elenas Papa auf Kurzexkursion. Ich schlug gestern vor gemeinsam das Memorial, Denkmal, für die Opfer der stalinistischen Repression zu besuchen und wähnte daneben auch noch einen bekannten Friedhof, der allerdings woanders lag. Das Denkmal war sternförmig angeordnet und bestand aus vielen Inschriftplatten mit Tausenden von Namen und Daten. Das Denkmal erinnert an die Strecke nach Sibirien in die Gulags, auf der, in Viehwagen, soviele Menschen traurig verenden mussten. Viel gabs sonst nicht zu sehen, es war direkt an der Autostrasse, dahinter war ein kleines Wäldchen.
Über Landstrasse fuhren wir weiter zur  Europa-Asien Grenze, zu einem Grenzstein von 1837 oder so und einer grünen auf den Boden gepinselten Linie.
Es war heute eisig kalt. Sieben Grad.
Elenas Vater fand, wir hätten noch nicht genug getrunken, um hierherzufahren. Das ist ein idealer Fest- und Schalkort dort hinten.
Danach fuhren wir zum Friedhof, weil auf diesem berühmte Mafiabosse, die es in den 90-ern in ihren Fehden tödlich erwischt hatte,  beerdigt und feierlich verewigt wurden. Die Grabsteine sind spektakulär, aus Marmor mit eingraviertem Portrait nach Foto von Typen in schwerer Lederjacke und Goldkettchen. Noch nie sowas gesehen… Elenas Vater fand mein Drängen, “Banditen” anzugucken auch etwas komisch, doch das musste sein. Wo steht denn bei uns ein Grabstein mit einem kleinen, stämmigen Macho darauf abgebildet, in spitzen Schuhen, schlechtem Anzug und Mercedesautoschlüssel in der Hand? Einer wurde auf der Grabsteinkante auf seinem Schneemotorfahrzeug abgebildet und in wichtiger geschäftiger Schreibtischpose.
Die Autofahrt ging etwas zügig vor sich, dass uns hinten allen ziemlich schlecht wurde.
Zum Schluss landeten wir noch in einem Café in der Stadt und gingen danach heim. Da sind wir nun und warten, schlafen, schreiben bis in die frühen Morgenstunden.

July 22, 2006

Abstrakter Raum Bahnhof

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 5:32 pm

Bahnhöfe sind nicht in der Gegenwart angesiedelt. Verwirrung schafft diese zentralistische Regel “Moskauer Zeit” bei uns Ausländern. Erste Vermutung bei Betrachtung des elektronischen Fahrplans “Hm, isch bi dene d Uhr usgschtige?” Eine herzige Babuschka erklärte uns dann die goldene Regel “Moskauer Zeit”. Bis Vladivostok verkehren die Züge nach Moskauer Zeit.Heute Morgen fand ich auch, dass ich nun mal nach Moskauer Zeit aufstehe, nämlich um 2 Std. später 😉

…iz Ekaterinburga

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 5:27 pm

Heute ist ein Leerlauftag. Wir schliefen lange, hatten wenig vor. Vorhaben 1: Tickets nach Novosibirsk besorgen, Vorhaben 2: den Dom Knigi finden, um dort einen Koran in Englisch zu kaufen. 1) Der 24h Schalter hatte plötzlich Mittag und danach noch eine technische Pause, wobei die Dame am Schalter dort sitzen blieb und ständig meinte: “Ich arbeite nicht. Das sehen Sie doch!” So sassen wir dort und mal im Café zwischendurch drei Stunden. Ein Ticket gab es schliesslich nicht, nur zu teure. Wir versuchen es morgen nochmal an einer anderen Kasse in der Stadt, wo vier Angestellte arbeiten, so dass wir den Pausen ausweichen können. Heimtückische Sache. Um 1800 trafen wir Elena und ihren Freund Sergio aus Spanien. Mit ihnen gingen wir was essen in ein multiples Restaurant, einen “Themenpark” (David), wo wir schliesslich nach georgisch, russisch, mazedonisch etc. food japanisch food bestellten. Danach schafften wir es in den Dom Knigi (!) und fanden den Koran, immerhin, auf Russisch. Nun ja, es ist herauszuhören, wir sind nicht eben wahnsinnig begeistert ab der Stadt, und es zieht schrecklich weiter. Morgen nach dem Ticketkauf treffen wir Elena und Sergio nochmals beim Lenin (Denkmal), manchmal sind diese Statuen schon praktisch 😉 )und fahren zu einem Denkmal für die Opfer der Repression raus, etwa 8 km von hier. Dort sollen sich auch die Gräber, bzw. mächtigen Tomben, von bedeutenden Mafiabossen und Familiamitgliedern befinden, die hier in den 90-ern so eifrig am Werk gewesen sein sollen.Wir sind gespannt…

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