Ein Buenzli im Nirvana?
Wir waren mit dem Bus unterwegs von Kakarbitta nach Kathmandu. Das bedeutete vierzehn Stunden Fahrt, mit nur wenigen Unterbruechen. Der kleine Grenzort war noch ganz in Dunkelheit gehuellt, als wir uns um vier Uhr in der Frueh in den Bus setzten. Auf dem Fahrersims brannten langsam zwei Raeucherstaebchen ab. Wir warteten und verscheuchten die Muecken, die um unsere Fussgelenke surrten. Der Fahrer liess sich in den Sessel plumpsen, und der Ticketjunge hielt sich am Tuerrahmen fest. Die mond- und sternlose Nacht liess unseren Bus wie ein Spielzeug in einer schwarzen Manteltasche verschwinden. Entlang der Landstrasse leuchteten immer wieder Taschenlampen auf, und der Bus liess neue Leute zusteigen. Um sieben Uhr war der Bus bis auf den letzten Platz voll. Der Tag brach an in weissem Dunst und versprach sehr heiss zu werden. Spaetestens gegen Mittag glich unser Bus einem Dampftopf und wir Passagiere einer Handvoll gut gequollener Dampfbroetchen. Neun Stunden hatten wir einigermassen mit einer sparsamen Mittagspause mit Dal Bhat ueberstanden, als ein fataler Fahrerwechsel stattfand. Von hinten sah er aus, wie ein gemuetlicher Buddha, mit tatsaechlich langen Buddhaohren, die halbmondig wie Momos von seinem Kopf abstanden. Was dieser Buddha uns bescherte waren fuenf Stunden Schweisshaende und ein Gespraech ueber die Wiedergeburt. Meine freundlichen Versuche “Excuse me, we would like to arrive in Kathmandu alive” fruchteten leidlich, und sogar das alte nepalesische Vaeterchen, das diskret den bleichen Kopf aus dem Fenster streckte, fiel nur deswegen ueberhaupt auf, weil es im Fahrtwind den Busbegleiter in der offenen Tuer vollkotzte. Wir schnitten Kurven, schliffen die Kanten an vorbeikommenden Bussen. Unser Bus war wie eine Guetzlischachtel auf Ralley. Mein minimal seherisches Potential sagte mir, dass diese wildgewordene Kamblybox heute noch ein Opfer findet. Hurra, Geisterbahn: Ploetzlich sehen wir ein Buswrack nach dem anderen auf der Strassenseite liegen. Gekippt, ausgebrannt, wie ein Kaefer auf dem Ruecken, mit dem Hinterteil in einem Haus und komplett eingeschossen. Fuenf an der Zahl. Wir rufen abundzu was zum Buddha nach vorne, der den Fuss wie einen Klotz auf dem Gas laesst. Nichts. Hoch gehts auf der Bergstrasse nach Kathmandu. Schneller als die Engel fliegen. “David, wenn du waehlen koenntest, als was moechtest du wiedergeboren werden?” – “Hm, im schlechteren Fall als europaeische Hauskatze.” Genau wie ich! Was eine bessere Wiedergeburt betrifft, so geraten wir beide eher in Verlegenheit. Wir stammen aus dem Bollywood-Film-Paradies. Vor unserer Landschaft und Architekur tanzen Inder in gelben Windjacken und Inderinnen in bunten Sarees. Unser Leben ist ein indischer Traum. Wenn dieser Film fertig ist, was dann? Encore une fois? Oder kommt man nach einem friedfertigen, langweiligen, ja vielleicht buenzligen Schweizer Leben direkt ins Nirvana? Wir geben zu, wir verstehen die hierarchische Wiedergeburtsordnung nicht ganz, und wollen uns auch gar nicht drueber lustig machen. Wir stellten schliesslich nur fest, dass wir beide eigentlich mit dem Wiedergeburtsmodell der europaeischen Hauskatze ueberaus zufrieden waeren und die hoehere Wiedergeburt gerne anderen ueberlassen wuerden. Wenn man freilich waehlen darf. Ich kann mich erinnern, dass ich frueher insbesondere auf unseren roten Kater neidisch war, als ich jeweils morgens um sechs Uhr meine Sachen zusammenpackte und der faule Kerl schnurrend eingerollt auf dem Sofa lag und schlafend lachte. Ein kurzes Leben, aber immerhin, viel Zeit, um gekrault zu werden. Ich sehe mich schon auf vier Beinen unter Brombeerhecken durchschleichen, waherend Kater David an der Sonne liegt. Doch ploetzlich ein Motorrad! Die Katze kreischt. Die moerderische Kamblybox: Drei Maenner auf einem Motorrad reissen vor uns die Augen auf. Der Schreck haelt sie starr, doch ihr Fahrer schafft es den Lenker im letzten Moment herumzuziehen. Sie verschwinden schleunigst am linken Rand der Windschutzscheibe. Buddha verzieht keine Miene. Er spielt sich tatsaechlich auf, als waere er ein schicksalshafter Komet, ein goettlicher Thunderbolt.
Die Dampfbroetchen im Bus realisieren nichts. Zu lange haben wir alle schon geschmort.
Dann, die naechste Ortschaft. Eine Schranke. Die Kamblybox steht still. Am Rand der rechten Windschutzscheibe bildet sich langsam ein immer groesser werdender dunkler Fleck. Faeuste werden erkennbar, und wir sehen wieder die drei Maenner mit dem Motorrad. Wutenbrannt, treten sie gegen den Bus, steigen zum Fahrer hoch und schlagen ihn ins Gesicht. Ihre Augen sehen furchterregend aus, irgendwie unwirklich. Wie die kugeligen rotgeaederten Augen wutenbrannter Goetter wie Vajrapani. Buddha verhaelt sich zumindest buddhalike. Er laesst sich kommentarlos das T-Shirt zerreissen und ins Gesicht schlagen. Als handle es sich um einen kurzen Donnerhagel oder einen Wespenangriff, haelt er sich still, bis die Maenner von ihm ablassen und die Menge rund herum sich beruhigt hat. Dann ist es ploetzlich gut. Ich war froh, hatte sich also das Fatum erfuellt fuer den heutigen Tag und hatte der Schicksalsgott nicht mehr gefordert als einen Blick ins Katzenauge des Todesgotts (Yama).
May 30th, 2010 at 11:51 am
wie von paperlapaps befürchtet….öv im Himalaya ist schlimmer als mit Goldketteli im slum von Bogota. besopa