Das Fergana Tal
Wir fuhren nach Fergana, südlich von Andijan. Das Ferganatal verdient auf den ersten Blick seinen Namen nicht. Von einem Tal ist weit und breit nichts zu sehen. Die Landschaft ist weitgehend flach und wird landwirtschaftlich genutzt. Baumwolle, Gemüse und Früchte werden angebaut. Die Gegend gilt als die fruchtbarste in Uzbekistan. Fergana ist eine kleine Stadt ohne grossen Stadtcharakter. Es gibt Baumalleen, vorwiegend viele Wohnhäuser, einen Busbahnhof, einen Markt, wo etwa das Stadtzentrum sein muss. Es ist etwas unübersichtlich und nicht einfach per Adresse etwas zu finden, da Strassen meistens gar nicht gekenntzeichnet werden. Unser Fahrer liess uns bei einem grossen Hotel aussteigen, von wo wir zu Fuss weiter sollten, um unseren Zielort zu finden. David konnte im Hotel kurz anrufen, damit uns jemand abholt. Nach etwa zehn Minuten stand ein Junge dort, der Sohn der B&B Besitzerin, die wir finden wollten. Das B&B befand sich in ihrer eigenen Wohnung, versteckt in einem typischen kleinen Wohnblock aus der Sovjetzeit. Die Mutter, Shakhida, war eine sehr sympathische Frau um 33, die eigentlich als Russischlehrerin arbeitet. Ihr Sohn war sehr aufgeweckt und sprach Englisch. Shakhida sprach auch Englisch, und es schien, dass sie viel über ihren Sohn aufschnappt. Er jedenfalls sprach David mit “Sir” an ; ). Es brauchte ein Weilchen, um das auf “David” zu ändern. Es hatte noch andere Gäste in der Wohnung, ein junges Paar aus Milano und eine ältere reiselustige italienische Dame. Wir schliefen im Wohnzimmer auf den ausrollbaren dünnen Matratzen. Am Abend lernten wir den Onkel und Gönner der Famillie kennen. Ein grosser dicker Mann mit Dickschädel. Er brachte eine grosse Honigmelone mit. Er muss eine wichtige Position in der Familie innehaben, denn seine Ideen scheinen oft nicht mit denen Shakhidas vereinbar, doch dennoch wird der Onkel respektiert. Er scherzte den Jungen in zwei Jahren (sechzehn) zu verheiraten, wobei das nur als halber Scherz ankam. Shakhida wurde mit sechzehn selber verheiratet und bekam mit neunzehn ihren ersten Sohn. Ebenfalls wurde der Onkel zu seiner Zeit mit sechzehn verheiratet und hat bis jetzt mehr denn acht Kinder (genaue Zahl vergessen). Shakhida fand es heutzutage nicht modern und ungeschickt, die Kinder so früh zu verheiraten. Ihr Sohn brauche zuerst eine gute Ausbildung. Es wirkte lustigerweise paradox, den Onkel als Hilfeleister der Familie und gleichzeitig als mögliches Hindernis zu sehen. Er scheint mit der B&B Angelegenheit eng verbandelt zu sein und hat ziemlich sicher eigenes Geld in das Projekt hineingesteckt. Mich erinnerte er an einen alten grauen Gorilla, der von seiner Familie unbedingten Respekt verlangt für das weitere Wohlergehen. Am nächsten Morgen fuhren wir für einen Tagesausflug nach Margilan, welches eine knappe halbe Stunde von Fergana entfernt liegt. Vom Bazaar fuhren Marshrutki und Shared taxi die ganze Zeit. Margilan ist ein noch viel provinzielleres Städtchen mit vielen Chaikhanas (Teestuben = Restaurant) und Shashlykbuden und Lehmöfen, in welchen auf der Strasse Brötchen gebacken werden (dabei werden Teigbälle geformt und an die Innenseite des rundlichen Ofens geklebt). Margilan ist berühmt für die Seidenproduktion. Es gibt mehrere Fabriken und viele Marktstände, wo ein grosses Sortiment an Seide angeboten wird. Wir besuchten eine Seidenfabrik, die nach herkömmlichen traditionellen Methoden Seide produziert. Es gab dort für uns eine gratis englischsprachige Führung durch die Fabrik. Als wir ankamen war es ganz still, anscheinend waren viele Leute grad nicht da, weil sie auf einer Hochzeit einer Mitarbeiterin waren. Herbst ist Hochzeitszeit! Das fällt mit der Erntezeit zusammen. Die Seide wurde in schrittweiser Handarbeit hergestellt. Nach dem Kochen der Cocons wird der Faden mit den Fingern abgezogen und über ein grosses Rad (manchmal elektrisch betrieben) aufgespult. Wir sahen den Prozess des Färbens: zwei Männer tauchen die an einem Stab aufgehängte Seide mehrmals in einen Topf mit kochender oder heisser Farbe. Die Seide wir an bestimmten Stellen für die Musterung abgedeckt. Wir konnten zusehen wie die fertige Seidenspule verwoben wird. Der Webraum war gross, mit mehreren bunten Webrahmen, an denen Aufkleber irgendwelcher indischer oder koreanischer Pop- und Filmstars klebten. Im Hintergrund lief Bollywoodmusik. Die Webrahmen verfügten über verschiedene Pedalen, die für die Musterung des Atlas (reine Seide) oder Atras (Seide gemischt mit Baumwolle) betätigt werden. In einem weiteren Teil wurden aus Resten die berühmten Seidenteppiche geknüpft, eine aufwendige endlos scheinende Arbeit. Die Mädchen waren alle schrecklich interessiert, ob wir verheiratet sind und ein Getuschel und Gekicher ging durch den Raum. Die Frauen kehrten auch langsam scherzend und lachend von der Hochzeitsfeier zurück. Am Schluss kaufte ich noch ein paar Meter Atlas und Atras und ein Tuch als Geschenk für jemanden. Mit dem Stoff ging ich später in Tashkent zu einer Frau, die mir bis zum 9. Oktober daraus etwas nähen soll. Unterwegs zu einer Moschee kamen wir an einem Brautkleidladen vorbei. Die Kleider waren zahlreich auf Schneiderbüsten gezogen, dass es im Laden nach einem grossen Ball von kopflosen Frauen aussah. Ich war erstaunt auch hier weisse Kleider zu sehen. Doch am ersten Hochzeitstag wird dieses unbedingt getragen, für Fotos etc. Letztendlich haben wir in ganz Uzbekistan immer wieder “Weisse Hochzeiten”gesehen. Die Gegend gilt als weitgehend konservativ. Man sieht nicht viele Frauen nicht westlich moderner Kleidung, aber ganz verhüllte sieht man fast ebenso selten. Die Frauen tragen üblicherweise ein buntes Kopftuch, das im Nacken geknotet wird, lange etwas vorhanghafte Kleider und oft Gummilatschen. Oft wird ein plüschartiger Stoff verwendet, für Kinder oft auch, der so gar nicht kleidermässig wirkt. Die Stoffe scheinen abundzu gar nicht für Kleider bestimmt zu sein, das wirkt dann eigenartig, wenn jemand mit einem Vorhang- oder Bettüberwurfmuster daherkommt ; ). Aber es lässt sich damit erklären, dass solche Stoffe auf dem Bazaar sehr billig sind. Am Abend, zurückgekehrt aus Margilan, wurden wir mit reichlich uzbekischem Plov bedient. Plov ist DAS Essen in Uzbekistan. Es wird überall gerühmt für seine regionale “Nuancen”, seine Traditionalität, ich entschuldige mich für meinen leichten Zynismus, aber überall findet man den gleichen meist zu öligen Reis mit gelben Rüben und Fleischstücken vor. Im Voraus wird er immer gross angekündigt, doch irgendwie ist es einfach immer ein einfacher phantasieloser Reis. Lieber mochte ich immer die Früchte, wie Trauben, Granatäpfel, Birnen, Melonen, Nüsse etc. Der Plov war nicht schlecht aber sehr ölig. Man musste den Reis erst etwas abtropfen lassen. Das Öl ist anscheinend Baumwollöl, das sie zur vollständigen Baumwollverwertung herstellen.