Über die Grenze nach Kirgistan / eine viertägige Wanderung von Freitag bis Montag 21. August
Vorbereitungen
Wir gingen in die von dem russischen “Gid” empfohlene Agentur vorbei und lernten Jurij kennen. Er war etwas lustlos aufs Erste, schien mit Allem zwar einverstanden, doch blieb zurückhaltend vorerst. Der Grund lag darin, dass er die Grenzüberschreitung für uns als problematisch betrachtete. Es ist wahr, vor etwa zwei Jahren wurden die Grenzbestimmungen geändert, Ausländer können nicht mehr so einfach über die grüne Grenze. Das lasen wir auch in unserem Guidebook. Doch was sollten wir machen? Wir hatten uns in den Kopf gesetzt dort rüberzuwandern. Die Grenzpatrouille befinde sich im Chong Kemin Tal, er wisse nicht, ob die uns zurückschicken oder uns mit einer Busse belegen würde. Er würde es nicht riskieren, sagte er. Es sah so aus, als wäre er deshalb nicht bereit mitzukommen, was verständlich ist. Wir brauchen für jedes Land offiziell Einreisestempel und Ausreisestempel, wobei Ersterer bei der Ausreise wichtig ist. Die Patrouille gebe keine Einreisestempel, den müsse man sich sonst irgendwie besorgen.
Ich fragte, ob es denn Leute gäbe, die die Tour trotzdem machen. Darauf meinte er, er könne sich umfragen und uns abends oder am nächsten Tag Bescheid geben.
Am nächsten Morgen rief ich an, und Jurij sagte, es gäbe anscheinend Leute, die es wagen. “Na gut, dann fahren wir.” Somit wars entschieden, wir bereiteten uns vor auf den nächsten Morgen. Auf dem Zelenyj Rynok gingen wir Proviant für über vier Tage vorsorglich einkaufen, leichte Sachen vorwiegend, da unsere Rucksäcke schon schwer sind. Ich hatte bisher immer wieder unterwegs Sachen weggegeben , um das Gepäck möglichst tragbar zu halten. Irgendwo schnappte ich mich mir noch ein Shubat, Kamelmilch, war aber nicht so hingerissen davon. Khmyz oder Kumuz, fermentierte Pferdemilch, schmeckt mir besser. Aber frisch wäre Shubat vielleicht auch was Anderes.
Erster Tag
Um neun Uhr kam Jurij mit einem Fahrer im diesmal beigen Lada Niva, demselben Modell wie in Ust’-Kamenogorsk, angefahren.
Wir fuhren eigenlich weiter als es das Auto ertrug, streckenweise blieb es spulend stecken. Jurij wollte an anfänglichen Höhenmetern gewinnen, da der Weg vor uns sowieso noch lang und teils steil werden würde.
Zuerst mussten wir Schuhe ausziehen und durch einen eiskalten Gletscherfluss waten. Die Füsse sterben danach fast ab. Das sollte nicht das letzte Mal sein, dass wir durch einen Fluss mussten. Nur ein Fluss war hüfttief, das war um sieben Uhr morgens früh schon gar etwas hart ; ).
Wir kamen am ersten Tag schon gut vorwärts und erreichten gegen Abend das Chong Kemin Tal, wo der Fluss Kemin (Chong heisst auf kirgisisch “gross”) durchfliesst durch mittlerweile dürres Grasland. In der Ferne weideten Pferde und Kühe. Weit weg waren Jurtensommelager, Jailoos, zu sehen.
Wir schlugen unsere beiden Zelte auf und begannen auf Jurijs Gaskochplatte zu kochen. Um die Zeit kamen drei Kirgisen auf Pferden vorbei, einer davon war der Nationalparkinspektor. Wir mussten etwas bezahlen für das Zelten und bekamen die “Warnung”, dass die “pogranicniki” am nächsten morgen früh durchs Tal reiten würden. Jurij meinte, wir sollten diese eher meiden, und so entschieden wir allerspätestens um sieben Uhr aufzubrechen.
Wir gingen auch früh schlafen, es wehte ein kalter Wind, und Jurij war so gut und hat uns allen Arbeiterhandschuhe gekauft, mit denen das Zeltauf- und -abbauen viel leichter war. In der Nacht war es ziemlich kalt, ich behielt alle meine Kleider plus Faserpelz an.
Zweiter Tag
Am Morgen hörten wir Wiehern. Als ich aus dem Zelt äugte, war eine ganze Pferdeherde am Hügel versammelt, ein Mann trieb sie das Tal hinunter. Wir tranken schnell Tee, packten unsere Sachen ein und gingen weiter. Zuerst, nach 15 Metern, mussten wir gleich durch den hüfttiefen Gletscherbach. Eine knappe Stunde später mussten wir über den eiskalten Chong Kemin. Da war am Ende des Tals ein kleiner Bergsee, zu dem man hätte raufgehen können, doch wir wollten möglichst nichts mit den Grenzpatrouillen riskieren. So liessen wir diese Schönheit aus und wanderten richtung Aksu Gletscher hoch. Wo hin man schaute, überall erspähte man einen Gletscher, zumindest noch eine Zunge davon oder eine gewaltige Moräne.
Es war anstrengend, oft über die kleinen Felsen zu spingen. Unterwegs sahen wir die ganze Zeit grosse dicke Murmelchen (Sorok), die herumquietschten oder sich neben ihrem Erdloch sonnten. Zum ersten Mal sah ich Hermeline, kleine Tierchen mit kurzem Schwänzchen. EInen Adler hatten wir übrigens ganz zu Anfang, am ersten Tag gesehen.
Wir schlugen unser Lager direkt unter dem Gletscher Aksu auf. Dort war alles steinig. Die Bäche waren milchig trüb vom Gletscherwasser. Bäche vom Berg weiter oben waren gegen Abend tiefbraun und das Wasser unmöglich mehr verwendbar. Am Nachmittag legten wir uns in das noch warme Zelt und lasen. Wir waren gegen 8 Stunden unterwegs gewesen. Wir tranken mit Jurij Tee und erzählten uns viele Dinge.
Dritter Tag
Am dritten Tag liefen wir den Gletscher hoch, eine Mondlandschaft. Grosse Steine lagen auf kleinen und sahen aus wie Pilze, da das Eis abgesunken war. Manchmal sah man in eine tiefe Spalte in kristallen leuchtendes, kaltes Blau, woraus es von tief unten rauschte und gluckste. Es war schön. Ich war das erste Mal auf einem Gletscher, ich wollte das immer schon mal, doch ich dachte man müsse speziell dazu ausgerüstet gehen, sonst wäre es zu gefährlich.
Ich hatte den Eindruck, dass mein Rucksack immer schwerer wird, als wir ganz steil einen kleinen Weg ueber eine Steinhalde heraufsteigen mussten zum Aksu Pass. Da hatte ich mit dem Rucksack ziemlich Mühe. Es ging, aber ich musste ganz langsam hoch. Hinter uns änderte das Wetter, und es trieb uns an zügig weiterzugehen. Nun mussten wir alles wieder hinunter ins Aksu Tal. Das dauerte auch eine Weile, dort unten schliesslich mussten wir noch einmal durch einen Bach waten. Dann gingen wir auch gleich weiter talabwärts.
Ankunft in Kirgistan (bzw. in der Zivilisation)
Das Tal ist sehr, sehr lang. In einem Tag Fussmarsch kommt man kaum runter. Wir waren sehr müde, stolperten bis Abend weiter und weiter, um unser Zelt in der Nähe eines Jailoos aufstellen zu können. Wir wollten am nächsten Tag mit jemandem hinunterfahren. Irgendwo unterwegs sah ich eine Frau mit Pferden, die zu uns guckte. Ich winkte ihr zu, sie winkte zurück und ritt uns kurz darauf nach. Als sie uns einholte, sah ich, dass es ein ganz altes Frauchen war in pinken Tapocki (Plastiklatschen). Sie bot uns an das Gepäck aufzuladen. Es fahre um 17h ein Wagen nach Grigorievka an den Issyk Kul hinunter. Wir hatten aber soviel Gepäck, welches auf dem Pferd nie und nimmer anzubinden gewesen wäre. Wir wären gleich schnell gewesen. Wir fragten, wieviel es kosten würde, dabei zeichnete sie die Zahl 100 mit dem Zeigefinger in die Luft “Eins und Null, Null”.
Wir dankten ihr, gingen aber so wie bisher weiter. Gegen sieben Uhr kamen wir zum ersten grösseren Jailoo. Eine alte Frau winkte uns mit dem Winken aus dem Handgelenk, wobei sich die Hand im Kreis dreht. Von unten kam ein Mann auf dem Pferd auf uns zugeritten. Als er bei uns war, liess er sich schlapp vorüberkippen, um mit uns zu sprechen. Der schnauzbärtige Mann war stockbetrunken und sass dank lebenslänglicher Erfahrung noch im Sattel. Er wollte uns ein Auto andrehen für viel zu viel Geld. Er fragte wie wir heissen und schien höchst entzückt. Doch irgendwie brachten wirs mit ihm nicht weiter und wollten eigentlich lieber zur Jurte. Die Grossmutter kam mit einem Enkelkind zu uns, und Jurij meinte zu mir “Geht mit der Babuschka mit. Ich versuch den hier irgendwie loszuwerden.”
Die Grossmutter war eine sehr sympathische Frau im langen violetten Kittel, hintenzugeknöpften Kopftuch und mit einer ganzen Reihe blitzender Goldzähne. Das Enkelkind hatte unwahrscheinlich volle rote Backen und viel Milch um den kleinen Mund, der zwischen den Backen fast verschwand. Vor der Jurte spielten junge Hunde, im Gehege waren nur die Kälbchen, alle schienen auf die Erwachsenen zu warten, die abends von der Weide runterkommen. Die Babuschka sprach noch etwas russisch. Wir bekamen Ajran und Khmyz zu trinken. Ajran ist Joghurt. Es waren insgesamt vier Kinder und noch ein paar ältere Jungs zuhause. Ich wusste nicht genau, wer mit wem wie verwandt ist. Rachat war jedenfalls die Mutter von dem kleinen rotbackigen Mädchen in der bunten Blumenveste. Sie selber war ganz in Pink, von Kopf bis Fuss. Die Familie leuchtete in Farben. Ich schenkte den Kindern die letzten kasachischen Rachatbonbons (derselbe Name!) und Rachat ein Armband.
Wir konnten neben ider Jurte unsere Zelte aufschlagen. Vor dem Eindunkeln kamen die Männer nach Hause mit einer riesigen Schafherde. Rachats Mann war auf dem Pferd. Hunde kamen angesprungen und bellten, und die Kühe verschlug es auch nach Hause. Ein Riesenbetrieb. Die Schafe drängten sich alle 250-300 Stück in den runden Paddock und blieben bis morgen früh dicht aneinandergedrängt in diesem Kreisrund.
Wir wurden von den Männern noch begrüsst. Irgendwann rief mir Rachat zu, sie stand vor einem kleinen Zelt. Ich sprang hin. Im Zelt sass die Babuschka an einem sogenannten Separator, durch den sie die Milch liess, dabei drehte sie eine Kurbel. “Du musst Milch probieren!” David und Jurij wurden darauf auch noch gerufen.
Später, es war schon dunkel, lud man uns zum Abendessen in die Jurte ein. Wir zogen unsere Schuhe aus und setzten uns auf den dicken Teppich um den niederen Tisch herum. Auf dem Tisch stand eine Oellampe, eine grosse silberne Platte mit einem Schaf in mehreren Teilen und vielen Kartoffeln und Nan (Fladenbrot).
Die Babuschka war die Einzige, die russisch konnte, sie übersetzte immer hin und her. Ein Junge legte uns ganz viel Fleisch in die Schalen, viel Fett u.a., Magen und Leber. Die Leber war ganz in Ordnung, das Fett mussten wir meiden, das schmeckte uns nicht besonders. Da lagen noch ganz andere Teile auf der Platte, von denen wir aber keine bekamen zum Glück. Man isst hier mit den Händen. Die Babuschka rollte uns immer wieder ein paar Kartoffeln über den Tisch. Nach dem Essen gab es Chai. Bevor man das Mahl verlaesst, ist es ueblich das “Omin” zu sprechen. Man formt die beiden Haende zu einer Schale, als muesste man Wasser schoepfen, und faehrt damit leicht uebers Gesicht und sagt “Omin”. Diese Geste beobachtet man auch, wenn Leute im Auto oder Bus sich auf einen laengeren Weg begeben.
Früh gingen wir schlafen. Ich las noch ein Weilchen. Neben unserem Zelt graste das Pferd mit zusammengebundenen Beinen, und direkt vor unserem Zelteingang war ein braunes Schaf angebunden, das krankte und deshalb abseits stand, das Arme. Die Babuschka meinte, es werde uns bewachen oder wir es, je nachdem, und lachte.
Am nächsten Morgen bekamen wir Ajran und Tee. Ich gab der Babuschka etwas Geld, nicht wissend, ob man es machen muss, wie die Leute reagieren, Jurij meinte man könne und solle das ruhig machen. So setzten wir es auch fort bei anderen Familien.
Wir verabschiedeten uns, machten noch ein paar Familienfotos mit uns, die wir Jurij nun geschickt haben, damit er sie im nächsten Jahr der Familie vorbeibringen kann. Sie befinden sich wie bei uns auch Sommers immer am selben Platz, auf der Alm.
Wir gingen etwa eine halbe Stunde kaum, da holten uns ein paar Jungs von anderen Jurten ein und fragten, ob wir eine Fahrmöglichkeit brauchten. Wir bejahten und kamen zu deren Jailoo, wo ein alter vermutlich chinesischer Laster stand. Die Zündung funktionierte nicht, der Fahrer musste immer aussteigen und ankurbeln. David und ich konnten uns ins Führerhäuschen quetschen, der arme Jurij wurde im Laderaum durchgeschüttelt und durchgestaubt. Je weiter wir talabwärts fuhren, desto touristischer wurde es, das hätten wir ganz oben nie erwartet. Junge Touristinnen in Tops auf dem Pferd und hinten drauf strahlende Jungengesichter, mit den Zügeln in den Händen. Irgendwann sah man Blau. Niemals würde man dies für einen See halten. Die Küste ist sehr trocken, es riecht nach Rosmarin oder Thymian, und man hat einen anscheinend grenzenlosen Blick auf eine weite Wasserfläche. Nur wenn man ganz genau hinsieht, nimmt man durch den Dunst die feinen Umrisse des gegenüberliegenden Gebirgszuges war. Dazu riecht es salzig, der See ist zwar nur leicht salzhaltig. In Grigorievka wurde Jurij dann befreit mit ein paar anderen Mitfahrenden.
In Grigorievka hatten wir zunächst ein Geldproblem, da wir die Fahrer nicht in kirgisischen Som bezahlen konnten, wir hatten nicht genug gewechselt, bzw. der Familie schon was bezahlt. Die Jungs hatten uns erzählt, dass man im Ort unten wechseln könne, das war aber eben nicht der Fall. So standen wir eine Weile herum, wussten nicht wie weiter. Jurij konnten wir genau in kasachischen Tenge entlöhnen, die Fahrrechnung blieb das einzige Problem. Jurij wollte nach Cholpon Ata, um von dort aus zurück nach Almaty zu kommen, wir wollten nach Karakol, doch wir mussten zusammenbleiben,da wir noch was bezahlen mussten, wechseln mussten. Wir fuhren auch nach Cholpon Ata kurzum. Jurij sprach sich mit einem Fahrer ab, der die Jungs gut kannte, gab ihm seinen Pass und, nachdem wir gewechselt hatten, das Geld für die Fahrt nach Grigorievka.
Erster Ort – Cholpon Ata
In Cholpon Ata, dem Supertouristenort, ein kulureller Totalschock, hielt es uns nicht lange. Überall werden Zimmer vermietet “Sdaju komnatu” (Vermiete Zimmer), und man findet sich wieder am russischen Badestrand, wo ein gestreifter Esel und ein Kamel mit den Touris aufs gestellte Ferienfoto kommen. Der See selber ist Klasse, der Strand eher ein Ablöscher mit lauter russischer Billigmusik, die immer dieselbe ist.
Trotzdem wars ein lustiger Ort für Beobachtungen, aber lange hielt es uns dort nicht. Wir wohnten bei einer Frau namens Rosa, die uns auf der Strasse angesprochen hatte, als wir Jurij verabschiedeten. Sie wohnte zwar eher abgelegen, doch sie hatte eines der angenehmeren Cafés am Seeufer, in dem ihre Kinder mitarbeiten.
Mit dem Sohn verstanden wir uns sehr gut, unterhielten uns abends noch lange. Die Leute waren uns sehr sympathisch. Ich kaufte mir einen etwas ollen Bikini in grossmütterlichem Muster und etwas idiotischem Röckchen um die Badehose, aber was solls, das kann ja auch mal Spass machen. Die Russinnen hatten lange Tücher umgeschlungen, extra etwas unter der SChulter, damit auch diese Kurve schön betont ist, Strohhütchen auf dem Kopf und Tigerbikini am Körper, die Schuhe wennmöglich mit leichtem Absatz. Es gab dazu nicht selten Strandfotos. Die Stimmung erinnerte an einen vielleicht alten 70-er Jahre Prospekt “Exotisches Spanien” o.ä.
Leicht zu erraten, dass die Südseite des Sees fuer uns um Einiges eindrücklicher war.