Neues aus Petersburg oder Auf einer schlechten Party
Erste Bekanntschaft mit der hiesigen Polizei, genannt Milicia. Angenehm. Klingeln um vier, hartes Klopfen um 2 nach vier, Hämmern um 3 nach vier. A., der Chozjajn (zu deutsch Mieter) öffnet um 4 nach 4, 4 Minuten zu spät, oder überhaupt überflüssigerweise, die Tür. 5 nach 4 und A. kriegt einen Schlag ins Gesicht. Alle anderen, inklusive die kerligen russischen DJs, halten sich hinter geschlossenen Türen verborgen, mucksmäuschenstill. Eine unglaubliche Ruhe, die der strengste Lehrer bei der zahmsten Schulklasse nicht hinkriegen würde. Die annähernd 80 Leute scheinen verschwunden zu sein, ihr Gegröhle, ihr betrunkenes Kichern, die spastischen Bewegungen zum eckig anonymen Elektrosound. Ich freue mich zunächst auf meinem Plätzchen in der Küche, dass mal jemand vielleicht auf die Idee gekommen ist, die Musik zu wechseln, welche dem Gesichtsausdruck nach die Leute im Griff hat. Ich ernte hie und da einen giftigen Blick von einem Mädchen, der mir den Aufenthalt in der Küche auch nicht grad gemütlicher macht. Ein Blick einer Schmollmündigen mit tiefem Decolleté, der schon Gegnerschaft auf Lebzeit ausdrückt. (So glaubte ich jedenfalls vor ein paar Wochen – nun versteht man sich nachmittags auf dem Sonnenbänkli doch bereits blendend….Frauen..) Mein Lächeln beantwortet die Schönheit mit noch grimmigeren Blick…nichts zu machen. Ich versuchte es mit einer beschwipsten Russin in geblümter Bluse und dunkelrot-metalisé lackierten Fingernägeln, die bereits alles wunderbar lustig findet. Immerhin. Wohlgesinnung. Parties dieser Art verführen zum Rauchen und Trinken. Doch mir graut vor den süssen Mädchengetränken (Vodka mit Kirschsaft), da ich nach zwei Gläsern von diesem klebrigen Zeug nicht mehr stehen kann. Aber wo war ich? Genau, wegen Ruhestörung in mehreren Fällen, hat eine etwas betagtere Nachbarin schliesslich die Milicia bestellt. Die Küchentür springt auf, alle weichen mit den Köpfen zurück. Im Türrahmen steht ein schnurrbärtiger Mann, mit kleinen roten Augen und funkelt zornig und beginnt zu lärmen. “Pasport”, “Pasport”!! Die Küchengesellschaft gerät in Bewegung und beginnt in den Taschen zu kramen. Der Schmollmund schaut noch viel ernster, mit einer gewissen dramatischen Note. Ein junger Typ, mit letzter nachpubertärer Akne und blonder Dandystirnwelle, scheint seinen Rausch vergessen zu haben und gibt plötzlich kleine Anweisungen: Pass nicht geben, nicht bezahlen, bezahlen… Ich gebe gleichgültig meine “Spravka” (provisor. Passersatz) ab, mit dem Wissen, dass ich sowieso bald den Pass vom Passbüro zurückbekomme. Am Ende kommt der Milizionär etwas ruhiger in die Küche, knallt unsere Pässe auf den Tisch und spricht plötzlich in der Erzieherrolle zu uns. Der nächtliche gefürchtete “Eindringling”, dessen zweiter Name “Unannehmlichkeiten” ist, gibt uns die Anweisungen, so spät nicht mehr so laut Musik zu hören, schliesslich lebten hier Familien mit kleinen Kindern, und überhaupt befänden wir uns in einem unglaublichen Dreck…all die Flaschen, Becher, Servietten, dreckige Pfannen, Aschenbecher (dabei haben wir noch die meisten Flaschen versteckt)…so einen Tisch dürfe man Mädchen doch nicht präsentieren, die zu Besuch seien… Schmunzeln. Ungefähr 400 Rubel konnten das Problem lösen. Die Mädchen v.a. sind übel gelaunt. Auch ich bin gereizt, weil an diesem Abend sowieso mit niemandem vernünftig zu reden ist. Mir gefällt die Party an sich überhaupt nicht, und wie wir uns endlich entschliessen doch schon mal in ein café zu gehen, werde ich von zwei beduselten Russen für eine eingeschüchterte Ente gehalten. “Warum gehst du denn schon?” Könnte ihnen doch eigentlich Schnuppe sein, schliesslich haben wir kein einziges Mal an diesem Fest miteinander gesprochen. “Hast Du Angst bekommen? Immer bekommt Ihr Ausländer gleich Angst. Bleib doch, ist ja gut jetzt.” – “Wollte sowieso gern gehen.” – “Sie hat Angst.” Naja, eben beknackte Gespräche an einer schlechten Party. “Ja gut, hatte Angst. Ich geh jetzt.” Zu fünft gehen wir ins Kofechaus, wo ich eine dicke heisse Schokolade bestelle. Wohltat auf leeren Magen. Gespräch mit nem etwas älteren Typen mit ganz vielen Goldzähnen. Sympathischer Frauenheld, etwas militärische Visage, auffallend freundlich und aufmerksam. Ein Mann, den ich als sehr autoritär einschätze. Leichter Hang zur “Ethnophobie” (mag Tataren nicht, Grund: es gibt viele). Den Ausdruck habe ich in ‘ner Vorlesung mitbekommen, seither begleitet er mich. War der angenehmste Teil des Abends, wenns auch am äussersten Ende der Zeit, Wachheit und Aufmerksamkeit stattfand. In Zukunft werde ich mich doch wieder auf das Bauchgefühl verlassen und bei geringer Lust auf Parties doch lieber zuhause ein Buch aufschlagen.Dabeisein ist manchmal nicht immer alles….aber doch gut, auch das gesehen zu haben ; )
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