July 22, 2006

18. Juli, 28 Grad Aussenhitze, 40 Grad Innenhitze

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 4:44 pm

Wir sind unterwegs nach Ekaterinenburg. Der Zug fuhr um 13.53 in Kazan los. Morgen kommen wir gegen halb 9, Ortszeit, an und werden vermutlich von Kzyuya, einem Mädchen vom Hospitality Club am Bahnhof abgeholt. Es funktionierte ganz gut mit unseren Bleiben bisher, wir haben bis jetzt immer etwas gefunden, und ich fand es spannend so neue Leute zu treffen, die ich sonst nie treffen würde in einer Stadt gerade wie Moskau.
Im Zug ist es heiss und schwitzig. Schweiss- und Biergeruch, braungebrannte, verbrannte Rücken und Füsse in den gummigen Tapotschki (Plastikschlarpen, ca. 3 Modelle in ganz Russland, auf jedem Markt erhältlich ; ) und omnipräsentes Detail im Sommer).
Draussen grollt gerade ein langerwartetes Gewitter, im Wagon brennt das Neonlicht. David liest neben mir links in einem Indienroman, der alte Mann rechts von mir ahmt mich beim Tippen nach. Naja, reiche Europäerin ; )) Geschäftsfrau ;)))
Er reist glaub ich allein, hat aber fürsorgliche Gesellschaft gefunden, die ihn mit Gurken und Brot und Tee versorgt. Die Frau vis-a-vis von mir, die sympathisch Wohltäterin, ist bei besonderem Lichteinfall etwas sonderlich anzusehen. Ihre Lippen sind von einem dichten Schnurrbart gesäumt, was die Frau zum Fischotter macht.
Gerade hat der Blitz mit lautem Knall irgendwo eingeschlagen. Wir sind alle zusammengezuckt.
Der graumelierte braungebrannte Mann neben mir, wandte sich an mich, in einer Sprache, die ich nicht verstehe, oder war es ein zahnloses Russisch?? Die Frau gegenüber von mir schaute ihn jedenfalls argwöhnisch an, dann mich, lächelnd – anscheinend lohnt sich die Übersetzung nicht. Mein schnelles Tippen brachte er jedenfalls in irgendeinen Zusammenhang mit dem Blitzeinschlag. Wie auch immer…. David liest und ich schreibe nun. Ich muss die letzten Wochen nochmals revue passieren lassen. Ich habe sehr lange nichts mehr eingetragen.
Ich weiss nicht, wo ich ansetzten sollte. Der Mann nben mir schwitzt und stinkt…. und beobachtet mich beim Schreiben. Auch er wird sich nach einiger Zeit dran gewöhnen und sich hoffenltich auf sein Plätzchen, auch vis-à-vis legen.
Der Speisewagen hat gerade frei und erwartet zahlreichen Kinderbesuch, wurde uns mitgeteilt. Dummerweise haben wir tatsächlich viel zu wenig Essen dabei. EIn paar Madleines und trockene Kekse haben wir aber noch bekommen.
Die Frau gegenüber hat ihre kleine Tochter dabei, die uns ganz neugierig vom oberen Bett beäugt und sich vermutlich fragt und vorstellt, was für Leutchen wir sind, die lesen und ein Compüterchen dabei haben.
Die Frau vis-à-vis kennt den halben Wagon und beherbergt ;))
Eine Frau in hellblauen Russia-shorts und blauen Tapocki kommt ab und an wieder auf ein Schwätzchen vorbei. Gespräche über Gurken, wie man sie am besten aufbewahrt, ob man sie einfrieren kann oder nicht, und wenn, ob man sie nur noch für die Okroshka (kalte Kvas- oder Kefirsuppe) verwenden kann. Die Leute spielen Karten, Essen weiches Brot mit Wurst, trinken Bier aus 2,5 liter-Flaschen und geben sich dem Schlummer hin.
Ohne die schweissige Biernote hier im Abteil wäre es tatsächlich um Einiges angenehmer, aber das sind Sachen, die man während Zugfahrten wohl oder übel in Kauf nehmen muss. Dafür strömt von aussen gerade wunderbar kalte Luft rein.
Ich habe in einem Buch von Ljudmila Ulitzkaja gelesen, ein paar Erzählungen. U.a. ist eine mit dem Titel Zju-jurich (soviel wie Zürich ist gemeint) darunter. Darin geht es um eine  “Einheiratung” in diese verheissene Stadt.
Nun spielt das ganze Nachbartischchen von den Vis-à-vis Karten.
Kurzer Zwischenstopp in einer Miniortschaft. Gelegenheit auf dem Perron bei Babuschki und Devuschki Instantsuppe, Instantkaffee und Gartengemüse zu kaufen. So haben David und ich uns für die Weiterreise wieder versorgt und löffeln gerade Suppe und beissen in kleine Gartenzwiebeln, während unsere Nachbarn einen grossen gelb getrockneten Fisch mit vor Schreck geöffnetem Maul hereintragen. Der Fisch ist gar nicht so schlecht, für uns etwas ungewohnt, da roh getrocknet und zml fischig, aber mit Bier und Brot ist er in kleinen Mengen noch gut.

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