May 27, 2006

Soll ich was schreiben? Letzte zwei Wochen ungefähr..

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 12:49 am

Zwei, drei Wochen habe ich nichts festgehalten. Die Zeit verrinnt aber auch auf eigenartige Weise schnell. Eine Stunde oder zwei, was macht es für einen Unterschied? Es kommt mir vor, als wäre eine halbe Stunde vorbei. Mein persönlicher Glaube ist, dass das nur in Sankt Petersburg so ist, mit der Zeit. Etwas scheint da nicht zu stimmen.
In Moskau funktionierte die Zeit wie immer, in Vladimir, in Suzdal… und dort erinnert einen das helle Geläut der Glocken ja dauernd an die Stunden.
Es ist schon nicht abwegig zu sagen, dass Petersburg in mancher Hinsicht eine “Ausnahme” bildet. Wie genau ist natürlich schwierig zu erklären, und das muss man einfach erlebt haben, diese “Stadt auf dem Sumpf”. Die Regeln der Schwerkraft scheinen zum Glück noch zu gelten, noch…
Obwohl das Gehen Einigen auch schon morgens schwer fällt… aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.
In letzter Zeit war viel Besuch hier.Freundinnen aus Moskau. Morgen kommt eine ehemalige Brieffreundin von mir nach Petersburg, zum Stadtfeiertag sozusagen. Prazdnik. Es hängt schon überall die Trikolore.
Es ist eine gute Zeit für Progulki (Spaziergänge). Piter hat was von einem irren Disney Land manchmal. Mit gebildeterer Zunge würde man sagen, es sei das grösste Freilichtmuseum Europas.
Es verstaubt allerdings an allen Ecken, daher kommt es mir manchmal auch vor wie eine grosse Bibliothek. Schöne, alte, staubige Buchdeckel, alter Geruch, darunter befinden sich teilweise sogar unbeschreibliche Geschichten.
Die Literatur holt einen in Piter bei jedem SChritt ein, bei manchem zweiten irgendein junger Geck mit harmloser Absicht: “Devushka, mozhno s vami poznakomit’sja?” (Fräulein, darf man sich mit Ihnen bekannt machen?)
Nun, was ist sonst hier los? Ich habe bald meine Russischsprachprüfung, Test Nr. 3, habe eine Altkirchenslavischprüfung, die mir noch im Kopf rumgeistert, d.h. eher der etwas zerstreute, aber überaus gutherzige, Professor, der sich mehr für die Mikroebene der Morpheme einer Wortendung interessiert als für das Wort selber… So kann man ganze Texte durchkämmen ohne etwas verstehen zu müssen, meiner Meinung nach unendlich Furchtbar! Aber das steh ich durch.
Im Theater waren wir öfters wieder. Das Stück ohne Namen von Tschechov haben wir gestern z.B. gesehen, am Montag ein Stück mit ein paar älteren Damen, war allerdings sehr lau.
Es wird langsam ruhiger, scheint mir, die Examenszeit beginnt, die Stunden gehen dem Ende zu. Abschied bereits von einigen Mitstudierenden.
Hier im Wohnheim ist alles in bester Ordnung: in zwei leere Autopneus wurde die gute Schwarzerde gefüllt, und jetzt prangen je drei Primeln darin, so, dass es richtig auffällt. Der Flieder beginnt an beiden Seiten der Fensterfront zu blühen. Hätte nicht gedacht, dass hier so ein Leben auftaucht, es war alles so dürr und farblos.
Unser Bänkli erfreut sich eben höchster Beliebtheit, es ist deswegen vermutlich am Boden festgeschraubt, sonst wärs sicher schon vor einem anderen Eingang ; ).
Die Tage sind windig und kalt, ich bin an der Uni, oft in einem Café, lerne, lese…
Momentan viel Zeitung, versuche zu vergleichen. Das mache ich einfachheitshalber auf dem Internet. Bin gespannt, was so läuft wg G-8 Gipfel hier (Sammit). Habe gelesen, dass die Aidsfrage u.a. in den Fokus gerückt werden soll. Das halte ich für “sehr an der Zeit”. Eines der Tabuthemen, was es nicht sein sollte.
Ein HIV-infiziertes Mädchen konnte in der Kleinstadt, wo sie aufwuchs weder Kindergarten, noch Schule besuchen, von Arbeitsstelle finden ganz zu schweigen.
Das ist ein kleines Beispiel.
Wir haben hier zuhause auch öfters mal Leute, die aber immer punkt 11 wieder gehen müssen, sonst gibt es Rügen. Ich habs bereits überlebt ; ) Ein Freund verliess das Wohnheim eine glatte Stunde später…
Wovon ich noch erzählen möchte ist Moskau und dem goldenen Ring, doch das an einem anderen Tag.