September 5, 2006

Alma-Ata – Vater der Äpfel / 10. August 2006

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 5:53 pm

Nachdem wir das Gepäck einschliessen hatten lassen am prunkigen Bahnhof Almaty2, liefen wir in die Stadt, vom Bahnhof aus die erste lange fadengerade Strasse hoch, am Reiterdenkmal eines Khanen vorbei. Wir kamen auch am Zelenyj Rynok (Grüner Markt) vorbei und kauften einen Becher Brombeeren, sassen kurz im Panfilov Park vor der Kathedrale, die ohne einen einzigen Nagel erbaut worden sein soll. Die Moschee, unweit davon, ist ziemlich gross und ist badezimmerähnlich geplättelt an den Aussenwänden. Daneben hing eine grosses Werbeplakat für Pilgerreisen nach Mekka. Wir liefen bis zur Ulica Abaya, dort auf die Dostyk zur Seilbahnstation. Mit der Seilbahn fuhren wir auf den Hügel Koektube, von wo man, wäre es nicht dermassen dunstig Berge und die Stadt sehen könnte. Ein Touristengag. WIr hörten dort oben sogar den Gesängen einer japanischen spirituellen Vereinigung zu, die dort als jugendliche Reisegruppe mit Gitarre halt machte. Viel gab es dort oben nicht, einen sorgfältig drapierten Rasen, einen lauten Spielplatz mit Kinderanimationsmusik (einigermassen nervtötend), ein Café am äussersten Zipfel beim hohen Fernsehturm, wo wir uns einigermassen in Zürich fühlten.
Kurz, ein Ort den man gesehen haben kann aber nicht muss. Der Spass läge einzig in der Seilbahnfahrt, doch als Schweizer war das für uns wahrscheinlich kaum eines der höheren Gefühle ; ).
Auf der “Rückfahrt” bekamen wir Mitteilungen von Aleksandr, mit dem wir einige Tage zuvor Kontakt aufgenommen hatten, um bei ihm übernachten zu können. Er hatte auch vor uns noch die Umgebung zu zeigen in den Bergen und mit uns an den Issyk Kul mitzukommen.
Wir verabredeten uns vor der Russischen Botschaft, nahe seiner Arbeitsstelle. Mit dem Bus und zu Fuss kamen wir da etwas verspätet hin. Da er anscheinend mit seinem Rad stets rundherumgefahren war, verpassten wir ihn ein paar Mal. Als wir ihn dann schliesslich trafen, waren wir etwas überrascht, wenn nicht auch sofort irgendwie entäuscht. Ziemlich übel gelaunt war er und verzog keine Miene, nicht zu einem Lächeln, nichts. Wir entschuldigten uns für die Verspätung, doch auf das schien er auch nicht einzugehen. Wir fanden seinen Blick äusserst merkwürdig. Mir fiel auf, dass er wahnsinnig schlecht sehen musste, denn er hielt alles 8cm nah vor die Augen. Somit dachte ich zunächst sei seine irgendwie ungelenke Art erklaert.
Wir schlugen ein Café vor an der Ecke, worauf er meinte er hätte keinen Durst. Wir überredeten ihn dann doch. Dem Kellner gegenüber benahm er sich so unfreundlich und ungehobelt, dass es mir peinlich war. Jedenfalls bestellte er dann doch einen Liter Orangensaft.
Er stellte uns die ganze Zeit keine einzige Frage über uns, redete die ganze Zeit nur über die Routen an den Issyk Kul in Kirgistan. Dabei schien uns, dass er sich nicht wahnsinnig gut auskennt, sowas noch nie gemacht hat. Wir verstanden, dass er selber einfach unbedingt diese Wanderung machen wollte und wir die Gelegenheit dazu boten. Wir kannten allerdings selber weder Bedingungen noch die Wege. Auf Englisch ergaben sich immer wieder Missverständnisse, so dass er nur noch mit mir Russisch zu reden bereit war. Zwischendurch berieten David und ich, meinten einfach noch ein Weilchen abzuwarten. Bald aber entschieden wir, ihm gänzlich abzusagen. Es war nicht einfach zu erklären, offensichtlich fühlte er sich gekränkt. Es tat mir einerseits leid, dass wir ihm sagten, wir hätten kein Interesse mit ihm zusammenzusein. Andererseits muessen wir nicht jedem vertrauen, schon gar nicht, wenn die Person so unangenehm wirkt. Ich bin in vielen Fällen dafür, dass Gute in einer Person hochzuhalten und sie nicht einseitig zu bewerten, doch bei einem Unbekannten krampfhaft danach zu suchen macht wohl wenig Sinn. Es ist oft wahr, dass man sich in der ersten Sekunde für oder gegen einen Menschen entscheidet. Das Dagegenentscheiden kommt so häufiger vor und ist schwieriger zu aendern.
Somit standen wir wieder alleine im Dunkeln sozusagen um 21h abends, auf einer verkehrsreichen Strasse und suchten von vorne Unterkunft und den Weg nach Issyk Kul.
Wir fanden beim Bahnhof ein einigermassen günstiges Hotel “Tranzit”, Almaty wartet in der Regel eher mit Wucherpreisen auf, günstige Unterkunft ist dummerweise schwierig zu finden.
Ich war todmüde und schlief nach nur drei Augenblicken ein.

Ein nettes Treffen 

Am nächsten Tag gings mir morgens nicht so wahnsinnig gut, und ich blieb im Zimmer für ein paar Stunden, während David in einem Café mit WI-FI (Davids Glück ; ) ) arbeitete. Etwas später holte ich ihn dort ab, und wir machten uns auf die SUche nach einer Reiseagentur Asia Tours, die Touren anbietet. Als wir an der besagten Adresse waren, standen dort nur ein paar Melonen- und Gemüsestände herum. Es war nichts zu sehen von einem Büro.
Aus dem Haus an der Ecke, wo wir das Büro vermutet hatten, kamen zwei Männer mit kleinen Abfallsäcken auf die Strasse. Einer von ihnen wandte sich sofort an uns mit feiner Stimme “Oh, are you lost? Can I help you?” So lernten wir wohl einen der liebenswürdigsten Menschen in Kasachstan, Jerkin, kennen. Wir sagten ihm, wir suchten Asia Tours, worauf er affektiert in die Hände klatschte “You are already the fifth person, asking for that travel agency!” Er wandte sich an mich, gleich wie er es mit einem Kind getan hätte, und fragte mit mitleidvoll klingender Stimme “Oh, are you Spanish?”, worauf ich lachend zuerst gar nicht antworten konnte. Er bat uns ins Büro rein, sein Kollege meinte, er gehe schon mal. Jerkin begann rumzutelefonieren, Leuten, die er kannte. Das dauerte eine ganze Weile. Eine junge Mitrarbeiterin, die das Büro schliessen musste, wartete langsam ungeduldig. Die Telefonate gingen lang. Sie meinte lächelnd, dass es immer dasselbe mit Jerkin sei. Jerkin legte auf “My god, that man was sooooo talkactive!!”
Er hatte eine Adresse noch aufgeschrieben für und, dann fuhren wir mit ihm zusammen im Bus noch zurück. Er meinte, er gehe noch mit einer Kollegin ein Bier trinken, wir könnten doch auch gleich noch mitkommen. Das wollten wir gerne und lernten so seine Kollegin Seda, die er selber auch erst seit Kurzem kennt kennen. Jerkin arbeitet für eine Firma, die Dokumentarfilme vertreibt oder ähnlich. Ganz genau hat er es nicht erklärt. Er selber ist von Beruf Zahnarzt und war längere Zeit in Afrika, in Kenia und Nigeria. Er spricht sehr gut englisch und französisch. Ich habe ihn grad ins Herz geschlossen mit seiner feinen, sanften Art und dem verschmitzten Schalk in den Augen. Sein T-Shirt hatte auch einen Schriftaufdruck, der etwa so lautete: Show me your hands wide open and soft .. o.ä.
Am kleinen Finger trug er einen Ring in Form eines Elefanten. “Please, try once Shubat, it is very soft camel milk. Very tasty and veeeeeery healthy!” Das schrieb er extra noch auf ein Zettelchen: “Shubat – soft camel milk”.
Er stellte sich als ein Liebhaber von französischer Sprache, Szeneclubs, Klatsch und Tratsch heraus, was er ein paar Mal ironisch erwähnte. Ich unterhielt mich lange auch mit Seda, wobei ich glaub ich furchtbar viel redete und fragte. Jerkin erzählte uns von seinem Freund Vitalij, einem armtätowierten Russen, von seiner Familie, die Vitalij wie einen weiteren Sohn aufgenommen habe, über kasachische Familien. Familien leben  schon noch eher konservativ, meinte er.
Auf dem Rückweg schenkte uns Jerkin noch einen Kebab auf dem Food Market. Ich kaufte mir ein kirgisisches Tan, das so käsig ist, dass es  ein Eigenleben zu haben scheint.
Ich konnte es letztendlich nicht trinken. Wir verabschiedeten uns von den beiden, dankten Jerkin tausendmal für seine fürsorgliche Hilfe. Ich war fast ein bisschen traurig Adieu sagen zu müssen. Auf dem Weg ins Hotel trafen wir einen Deutschen, der nach Tadschikistan aufbrechen wollte, Individualreisender. Danach liefen uns noch zwei junge, ebenfalls Deutsche, Bürschchen mit blond gelocktem Haar und Fistelstimmchen über den Weg. Sie fragten zuerst in gut zurechtgelegtem Russisch, wo es zum ZUM (EInkaufszentrum) gehe. Sie suchten ein Internetcafé. Sie waren am selben Tag von China gekommen. Die beiden erinnerten mich an Kobi und Bobby aus dem “Besuch der alten Dame”. Mit ihren feinen Stimmchen antworteten sie immer im Chor und glichen sich aufs Haar.

Der Sharyn Canyon

Am folgenden Tag suchten wir lange wieder, zu Fuss unterwegs, eine Agentur. Es war Samstag. Wir konnten aber Schlafmatten und faltbares Reisebesteck besorgen. An der Ulica Abylachana befindet sich ein Govinda Restaurant der Hare Krishnas, leider war das im Umbau. Schade. Wir waren so müde.
Wir fanden ein teures usbekisches Restaurant, wo wir das Essen zwar nach dem Preis aussuchen mussten, das Restaurant aber ganz schön war. Die Kellner korrespondierten per Funk.
Ein Internetcafé befindet sich ziemlich weit draussen. Nach diesem Ausflug waren wir endgültig todmüde. Wir planten übers Wochenende in den Sharyn Canyon zu fahren.
Wir dachten, wir wären zeitig dran, erwischten letztendlich doch keinen Bus mehr, da wir noch einkaufen mussten und zum Busbahnhof liefen. Ein adretter Mann in hellblauem Hemd und schwarzer Bundfaltenhose sprach uns sofort an und fragte, wohin wir müssen. Er sagte, wir wären zu spät für den Bus, wir könnten aber einen Fahrer bekommen. David war sehr misstrauisch, wir fragten an der Kasse nochmals nach, aber es gab tatsächlich keine Busse nach 10 Uhr. Der Mann sprach sich mit einem älteren Fahrer ab, er meinte zuerst 100 US Dollars an den Sharyn. Das war uns zu teuer. WIr konnten uns auf 50 einigen (5000 Tenge), das war ok. Der Fahrer hätte uns auch noch zurückfahren können, auf uns warten am Canyon, doch das wollten wir vorerst mal noch nicht. Die Fahrt dauerte dreieinhalb Stunden. Wir fuhren in einem roten Kistchen, mit Teppichen ausgelegt, samtüberzogenem Mittelfach und knallrotem Steuerrad. Unterwegs legten wir einen Halt ein, der Fahrer ging etwas essen, ich kaufte zwei grosse Kuruts, salzige Käsebälle.
Wir fuhren durch Dörfchen mit vielen Markt- und Strassenständen. Melonen links und rechts, Eselgespanne, Eselchen im Galopp, Leute mit chinesischen Handwagen, Autowerkstätten, die sich Vulkanizacija nennen.
Der Fahrer bot uns an, vor elf Uhr am nächsten Morgen  mit uns zurückzufahren. Wir wollten uns allerdings noch nicht festlegen, wir waren ja noch nicht mal angekommen.
Zuerst fuhren wir an einen Wegrand mit einem Schild des Canyons. Der Weg verlor sich im weiten Steppenhorizont. Er könne uns hier rauslassen, weit sei es aber, sehr weit, meinte der Fahrer. Er schlug uns vor weiterzufahren und uns auf der anderen Seite des Canyon rauszulassen. Wir fuhren dorthin, verabschiedeten uns aber vom Fahrer, entschlossen die Rückfahrt von Neuem dann zu organisieren.
Unten im Canyon fliesst in mattblauer Farbe der Sharyn, der sich in Millionen Jahren tief in die Erde reingefressen hat. Die Felsen sind rötlich und im Abendlicht feurig.
Unser Zelt schlugen wir weiter gegen das Talinnere auf, badeten im kalten Wasser, bzw. lagen ins seichte Wasser rein und mussten uns festhalten.
Abends gingen wir auf die Felsen hoch. Unser Wasser ging zur Neige, und wir wussten nicht ganz, woher der Fluss genau kommt, ob man das Wasser trinken kann oder nicht. Es sollte sehr heiss werden am nächsten Tag, wir wollten wandern, wir brauchten Wasser. Ich habe üblicherweise schneller Probleme als David, was Essen und Trinken anbelangt. Öfters hatte ich schon mal Bauchweh, daher verbot mir David aus dem Fluss zu trinken.
Um 7 Uhr standen wir auf, die Sonne brannte bereits auf unser kleines grünes Zelt. Wir liefen den Steinweg hoch,der zu ein paar kleinen Häuschen mit Hof führte, doch das Ganze schien gerade verlassen, und Wasser bekam man keines. Entlang der Nationalstrasse gingen wir zur Brücke runter, wo ein Parkplatz war. Wir dachten, am besten von dort einen Bus erwischen oder ein Auto, um die paar Km zurück zum Schild zu fahren und von dort aus in die andere Seite des Canyon zu gehen.
Etwas unsicher waren wir, da es schon heiss wurde und wir durstig. Ein paar Leute auf dem Parkplatz wollten von uns auch wissen, wie weit es etwa zu Fuss ins andere Ende des Canyons rüber wäre. Ich sagte, wir wüssten es genausowenig und hätten dazu noch ein Wasserproblem. Der Mann meinte sofort “Kein Wasser? Wir geben euch selbverständlich etwas,” und wies einen Kollegen an uns eine grosse Flasche Orangenlimonade zu geben. Wir wussten nicht, wie danken. Solche Dinge sind doch schon schön. Sie hätten einfach sagen können, trinkt doch aus dem Fluss.
Wir liefen beruhigt weiter der Strasse entlang und versuchten etwas anzuhalten. Irgendwann hielt ein alter chinesischer Bus, überfüllt eigentlich, aber irgendwie passten auch wir noch rein. An den hellblauen Wänden hingen noch chinesische Kalender, alle Leute waren im Dämmerschlaf.
Der Fahrer liess uns dann bei der besagten Wegabzeigung raus.
Der Weg zog sich und zog sich und zog sich. Es war heiss, ging schon gegen Mittag zu, die Erde flimmerte. Feld- oder Wüstenmäuse huschten über die Strasse oder sammelten in einem riesen Stress kleine Zweige. Überlebensstress in der Steppe, die Tierchen waren lustig zu beobachten. Survival of the fittest, musste an das Vieh mit dem Nüsschen aus “Ice Age” denken.
Manchmal wirbelte eine kleine Sandwindhose über den Weg. Irgendwann erschienen weit weg zwei leuchtblaue Punkte – das Inspektorhäuschen mit Barriere und das Plumpsklo. Viele Leute fahren mit Jeeps an den Canyon und bezahlen Eintritt. Der Naturschutzaufseher und seine Frau sassen im Hüttchen. Der Mann fragte, warum wir zu Fuss kämen. Er sagte, wir hätten es nicht mehr weit bis zum Fluss runter, und wir könnten bald im Café Tee trinken, sie seien dort etwa ab 17h. Das Wasser sei sehr sauber, man könne es ohne Probleme aus dem Fluss trinken. Er verlangte von uns keinen Eintritt, wir hätten den auch so verdient.
Noch eine Stunde liefen wir, vor uns tat sich ein noch viel eindrücklicherer feuerroter Canyon auf mit hohen Türmen und mustervollen Auswaschungen – Dolina zamkov, Canyon  of Castles.
Von oben herab sah man die kleine oasengleiche Stelle inmitten der roten Trockenheit, an der wir später sitzen sollten. Wir beschlossen eine Nacht dort zu bleiben, da wir auch schon zu vorgerückter Stunde ankamen. Zwei Jurten standen etwas abseits am Fluss. Die eine war die Wohnjurte des Paares, das andere die Küchenjurte, wo ein junger schwarzer Hund angebunden war und ein riesen Durcheinander veranstaltet hatte.
Davor war eine grosse überdachte hölzerne Tribüne. Ganze Familiensippen waren am Nachmittag am Fluss und badeten. Baden war an der Stelle besser möglich. Das Wasser war angenehm kalt. Engländer waren auch dort und packten ihr Lunchpaket aus, das sie vom Veranstalter offensichtlich bekommen hatten.
Irgendwann hatte ich dermassen Durst, dass ich das Wasser aus dem Sharyn gerne trank. Gegen späteren Nachmittag verschwanden die anderen Leute, wir schienen die einzigen zu sein im Talboden unten.
Um 18h gingen wir zur Jurte hin. Die Frau war schon dort mit einem zweiten Hund, der mit seinem roten buschigen Schwanz von Weitem wie ein Fuchs aussah. Der kleine schwarze Hund war wieder ganz glücklich und sprang wild herum.
Ich fragte, ob wir Tee bekommen könnten und was zu essen. Sie hätte Tee aber leider nichts zu essen. Viel zu essen hatten wir auch nicht mehr, wir hatten mehr Hunger gehabt als gedacht. Wir setzten uns ans Ende der grossen hölzernen Tribüne. Die Frau war ziemlich still und schüchtern und brachte zuerst ein geblümtes Plastiktischtuch, das sie extra noch abwischte. Der Tee kam als Konzentrat (Zavarka), und wir konnten aus einem heissen Wasserkessel heisses Wasser dazufügen, so dass wir endlos viel Tee hatten, den  wir literweise mit Milchpulver tranken. Wir bestellten sogar noch eine Kanne. Zum Tee bekamen wir fritierte Brötchen, die auf einer steinharten Lepjoshka lagen, die wir uns aber nicht zu essen trauten, da wir nicht wussten, ob das ein faux Pas wäre.
Der Mann kam etwas später und bot uns Instantsuppe (Lapscha) an. Wir konnten in der Nähe zwischen den Sträuchern unser Zelt aufstellen. Am nächsten Morgen erwachte ich sehr früh wegen eines quakenden Frosches vor unserem Zelt. Abundzu kamen auch die Hunde vorbei und guckten, ob wir schon wach waren. Sie waren ziemlich spielfreudig.
Die Türe der Wohnjurte stand bereits offen. Wir waren mit der Dunkelheit schlafen gegangen, daher erwacht man natürlich auch sehr früh.
Um kurz nach sieben gingen wir zum Ehepaar einen Tee trinken, bezahlten dann alles und wollten uns verabschieden. Der Mann schlug uns vor gegen  Mittag mit jemandem vom Zollhäuschen aus mitzufahren, es kämen sicher bald ein paar Touristen, so dass wir nicht zu Fuss retour müssten. So liefen wir etwas später hoch, trafen im Tal noch einen überaus gesprächigen russischen “Gid” , der erklärte wie ungeschickt die Leute seien, die einen Jeep oben steckenbleiben haben. Langsam müsse man doch fahren, damit die Räder nicht spulen. Er machte eine Skizze in den Sand. Wahrscheinlich war das der Jeep, mit dem wir mitsollten.
Der Mann gab uns die schwarze kasachische Rachat Schokolade zu probieren, als Beweis, dass diese es mit unserer aufnehmen könne. Dann schwärmte er von der Via Mala Schlucht, wo er unbedingt mal hinwolle. David fragte ihn, ob er interessiert sei oder jemanden kenne, um mit uns an den Issyk Kul zu wandern. Er gab uns die Visitenkarte seines Vorgesetzen mit seiner Telefonnummer, so dass wir ihn abends anrufen konnten. Darin lag unser ganzes Glück, und die Geschehnisse reihten sich nahtlos aneinander.
Bald sassen wir vor dem Zollhäuschen und plauderten mit dem Nationalparkinspektor, einem lustigen etwas untersetzten Mann, der uns ein paar kasachische Buchstaben in der Kirillica erklärte, wobei er auf der Nationalparktafel mit dem Kugelschreiber wie ein Lehrer an der Schrift herumkorrigierte und Pünktchen einzeichnete. So war das Warten auf den Jeep kurzweilig. Ein etwas halbstarker Russe kam mit dem Jeep angefahren, dessen Freundin der Jeep gehörte, die aber bereits in die Stadt zurückgefahren war. Es war nett, er fuhr  nach Hause und nahm uns einfach so in die Stadt mit.

“I minä Schue fähle d’Sole, i mine Hosä wähit de Wind” (Züri West)

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 5:51 pm

Jetzt sind  wir schon eine Weile unterwegs, und es scheint so, als gäbe es  nichts Anderes als weiter- und weiterzureisen, und seis an den Rand der Welt und sitzend die Beine über ihm baumeln zu lassen. In den Kleidern weht der Herbstwind von Bishkek, und eine leichte Melancholie könnte sich fast breit machen, wenn ich “Radio zum Glück” höre und mich schon meilenweit vorausdenke. Wir sitzen in dem japanischen Guesthouse Sakura und reden und hören zu, den sich wiederholenden Geschichten, die alle dieselben sind und doch verschieden, über Einreisen, Ausreisen, Pässe und Strassen, Botschaften, Märkte, Leute und so fort.
Wir klauen Bücher aus Cafés, die man nach einer Woche zurückgeben müsste, doch was interessiert das einen Leser von “Krieg und Frieden” ?!
Heute auf dem Osh Bazar sahen wir alte goldene Rasierer mit den alten Klingen, fast schon Sammelstücke. Durch den Kleidermarkt wurde ein grosser unförmiger Klumpen Fleisch gekarrt. Der Gemüsemarkt sprengte jede Farbenskala, die Gewürze wehte es durch die stickige Luft. Karotten, dick wie kurze Raketen, waren überall in Säcken zu haben. Konzentrierter Käsegeruch von Kurut, den Käsebällchen, lag schwer unter einem von einer Plane abgedeckten Platz.
Wir sind hier seit nun vier Tagen. David beantragt hier zwei Visa, jeweils für China und Pakistan. Diese Zeit nutze ich an seinem Laptop im Café Metro, das grad noch gähnend leer ist. Still ist es dafür, der Verkehr rauscht gleichmässig am Fenster vorbei. Der Himmel ist heute milchig trüb. Ein bisschen bedrückt bin ich selber, da ich den Eindruck habe, als wäre das unsere letzte Station – Bishkek, David bereitet sich auf die Weiter- und ich auf die Heimreise vor, beide suchen sich Flüge in verschiedene Richtungen.Doch wir fahren doch noch nach Usbekistan, und ich vergesse das hier mit diesen ganzen Reiseangelegenheiten wieder fast. Danach sehen wir uns erneut leider ein halbes Jahr nicht. Verflixte moderne Zeiten. Vermutlich hat das aber nichts mit unserer Zeit zu tun, vermutlich ist das die alte Geschichte von Leuten, die gerne unterwegs sind.
Ich habe viel zu berichten heute, da war Alma-Ata (Almaty), das Chong Kemin Tal, der Aksu Pass, unsere Einreise nach Kirgistan, die ich bis jetzt nicht erwähnen konnte.
Neben einem Capuccino mit viel Schaum und vier Stück Zucker und einer Tafel schwarzer Schokolade versuche ich nun nochmals zurückzugehen…Bishkek, Kochgor, Song Köl, Kochgor, Bakanbayev, Tamga, Karakol, Dolina Cvetov, Karakol, Cholpon Ata, Grigorievka, Chong Aksu, Aksu, Chong Kemin,Alma-Ata.

August 26, 2006

Fahrt nach Almaty

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 3:28 pm

Es ist kurz nach Mittag. Wir fahren durch die kasachische Steppe. An Semey sind wir morgens vorbeigefahren. Es regnete bisher halbwegs und war angenehm kuehl im Wagon. Jetzt wird es heisser und stickiger. Es steigen auch immer mehr Leute zu. Ich frage mich, wo die alle schlafen moechten. Ein paar liegen schon zuoberst auf der Gepaeckablage, auf der dritten Etage sozusagen.Der Zug faehr langsam, schaukelnd, vielleicht 60km/h momentan. Ich lese und schreibe und unterhalte mich mit meiner Nachbarin, die sich mir als Karlegash vorstellte, einer Kasachin mit Handy am Handgelenk, das ist hier In. Gestern sind wir spaet abends an den Bahnhof gefahren mit dem Tram, es wirkte unheimlich an der Endhaltestelle, da keine Beleuchtung vorhanden ist und man sich an den Bhf tasten muss oder einfach den anderen Leuten dicht auf den Fersen nachgeht. Unser Provodnik, ein hoher Mann mit Schnauz, sprach uns stolz mit wenigen WOrten auf Deutsch an. Es hatte irgendwann ein paar Beamte im Zug, Zollbeamte, die mich wegen meiner runtergefallenen Jacke am Arm unsanft ruettelten “Ist das Ihre?” Ein paar Minuten spaeter fand der naechste zu meiner aufgehaengten Kopftaschenlampe “Und was ist das?” – “Eine Kopftaschenlampe?!”- “Stecken Sie die besser auch gleich unters Kissen, das Volk klaut wie verrueckt.” Es gab auch viel Hin-und Herlaufen im Wagon und Ein- und Aussteigen, doch es war alles in Ordnung mit unseren Mitreisenden. Die waren sogar ausgesprochen nett und mitteilsam bisher. Jedenfalls sind vorher zwei Kasachen ganz neugierig zu David gekommen und fragten ihn ueber sein Notebook aus, an dem er grad arbeitet. Fragen wie”Wahrscheinlich hat er Internet ueber Satellit da oben? (auf den Himmel deutend)” und Vorschlaege wie “Er sollte unbedingt ein Internet Cafe eroeffnen!” erheiterten das Gespraech. Meine Erklaerung war dann, dass Programmisten sowas wie Koeche seien, die sich ums Wesentliche kuemmern und den Rest wie Verwaltung den anderen ueberlassen. Dann erklaerte David Cyberduck (sein Programm – Werbung, Werbung 🙂 ),was ich irgendwie uebersetzte. Man schaute uns von allen Seiten mit Neugierde an. Etwas vorsichtig muessen wir nun sein, da jeder weiss, dass David ein interessantes Notebook dabei hat. Er muss es wohl ins Bett nehmen :). Die Steppe hoert nicht auf, und das ist ein Bruchteil des Landes. Es erinnert mich an eine Busfahrt von Madrid nach Mazzaron mit Nana, meiner Grossmutter, 1998. Die Gegend war aehnlich karg und flach, mit verlassenen Hoefen. Nana sagte, es erinnere sie an Kasachstan, das sie auf dem Weg nach Indien einmal ueberflogen hatte. Das was damals unter ihr lag, durchquere ich nun in ueber 24/stuendiger rhythmisch langsamer Zugfahrt, taram-taram, allerdings auf Umweg ueber die russische Grenze.Ich unterhalte mich mit meiner Nachbarin Karlegash, die mir von ihren Neffen erzaehlt, ihren Reisen nach Indien und in den Iran, glaub ich. Abends fahren wir an kleineren Ortschaften vorbei, die unweit vom Balkashsee liegen, dem zur Haelfte salzigen See. Die Sonne geht unter. Auf den Bahnsteigen verkaufen sie riesigen geraeucherten Fisch aus dem See, Kzmyz, Stutenmilch und Kurut, die trockenen Kaesekugeln. Wir sehen Leute auf Pferden, ein paar Haeuser mit Grasdach, ein paar Jurten, und dann – Kamele, liegend vor einer Huette zu dritt im Abendrot. Karlegash und eine andere Zuggefaehrtin boten uns Kymyz an in einer Piala (kl. Teeschale). Ich nahm einen zu mutigen Schluck und hatte Muehe das Husten zu unterdruecken, David guckte ermutigend. Es war irrsinnig sauer, mit Kohlensaeure durchsetzt. David fands auch nicht sehr geniessbar. (Es gibt aber genial guten frischen Kymyz, man sollte keinen auf der Zugfahrt kaufen, da er nicht frisch ist meistens und gepanscht.) Der Vollmond ging auf ueber der Steppe, es war still und um uns herum war nichts. Karlegash sagte, sie liebe die Steppe, sie sei dort aufgewachsen. Dort wuerden die Gedanken stroemen, weit, weit, weit, du kannst sie nicht fassen, sie fliegen dir davon. In den Bergen sammelst du sie, hast sie bei dir. In der Steppe erfuelle dich etwas ganz anderes. Das sei der Unterschied zwischen Bergland und Steppe.

An der Ul’ba

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:56 pm

Wir verbrachten die Tage an der Ul’ba, einem Fluss, entlang welchem wir unsere Lager aufstellten. Die ersten Tage waren wir bei einem kleinen Imkerhaeuschen, die anderen bei einer anderen Huette, die zu Fuss in zwei Stunden zu erreichen war. Wir badeten, assen Melone und badeten weiter. Sascha ging auch ins Wasser mit ihrer kleinen gelben Minischwimmweste, wenn auch unter heftigem Protestgeschrei :). Am Ende hoerte man jedenfalls froehliches Quietschen. David und ich lasen den Indienroman Shantaram, den er zuvor in zwei Haelften teilen musste mit meinem Sackmesser, da ich verzweifelt was zu lesen suchte und in  Oeskemen nichts mehr gefunden hatte. So liefen wir sozusagen mit Altem und Neuem Testament den Fluss auf- und abwaerts. Es gab viele Tiere in der Umgebung, Elche, Baeren, doch wir sahen sie nicht. Was wir staendig ueber uns hatten, waren grosse Greifvoegel. Einmal erlitten wir einen Angriff einer Muniherde, 13 Stueck. Sie waren schon am Vortag um uns rumgezogen, wir hatten sie da auch vertrieben. Doch sie kamen wieder und stampften so zml viel platt, frassen unser Essen aus den Pfannen und versauten unsere Rucksaecke. Die Vegetation erinnerte sehr an die SChweiz, so dass ich manchmal vergass in Kasachstan zu sein. Schoen war es unter dem Vordach auf der Holztribuene auf den weichen Decken Tee zu trinken und zu schauen, auf den gruengescheckten Wald zum Beispiel. Schlafen gingen wir immer frueh, denn irgendwann ging das Licht halt aus. Sterne hagelte es zu Tausenden herunter schien es, wir konnten die sternschnuppen kaum zaehlen. Noch oefter sahen wir Sputniki, Satelliten. Am vierten Tag liefen wir zum Lada zurueck und fuhren richtung Oeskemen zurueck.Wir fuhren an Hoefen vorbei mit hohen Heuhaufen, an Hirten auf Pferden, ehemaligen Kolchosen, teils verlassen, teils noch irgendwie in Betrieb, an Strassenstaenden, plaudernden Alten vor den einstoeckigen Haeuschen, Gemuesefrauen. Immer naeher kamen die Schornsteine der Vorstadt, dann waren wir wieder dort in Oeskemen. Es war eine gute Zeit mit Pascha und Sascha, wir konnten viel zu Kasachstan, v.a. dem Norden fragen und bekamen zum ersten Mal kasachische Konfety (Suessigkeiten, Bonbons), Schokolade zu probieren,  und das sackweise :). Die Firma heisst Rachat und befindet sich in Almaty, unsere naechste Stadt.

Beim Bienenmann

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:38 pm

Das alte Mannchen lud uns zum Tee in sein einstoeckiges Haus ein. Der Innenraum, aufgeteilt in Wohn- und Kuechenraum, war hell und einladend. Vor zwei alten eisernen Bettgestellen stand ein grosser Holzkasten, wo man die Bienenwaben reinhaengen kann. In der Ecke befand sich eine Zentrifuge, in welche die Waben hereingelegt werden, um den Honig rauszuschleudern. Vor dem Fenster stand ein quadratischer Tisch, ausgelegt mit gruenem frischen Dill, der stark roch. Die Zwischenfenster waren etwas mit Moos aufgefuellt, zur Isolierung. An den weissen Waenden hingen zwei Wandteppiche, auf dem einen war eine Darstellung des in teils Gebieten traditionellen Frauenraubes mit Pferd zu sehen. Pascha hatte Kekse mitgebracht, und wir tranken in der Kueche Kraeutertee. Auf dem Tisch stand ein grosses Glas Honig und eine Schuessel mit Wabenresten, d.h. Honig, der an Wachs klebt. Das solle man kauen, meinte der Mann, da seien noch gesunde Pollen (pl’ca) dran. Man duerfe ihn aber nicht in den Tee ruehren, so verliere der Honig generell seine Kraft. Ich machte den Fehler und schluckte das ganze Honig- und Wachsknauel mit Muehe herunter, dabei konnte man den leeren Wachs wieder ausspucken.Der Mann lachte und meinte zu seinem Honig: “Meine Zellen sind alt und sterben nur noch ab, aber nur der Honig kann Zellen wieder aufbauen.” Er kaute auf dem Wachs herum, dabei schob sich sein dicker grauer Schnurrbart immer bis unter die Nase.Er erinnerte mich an ein Portrait eines Malers, der seinen eigenen Vater malte. Weisse Haare, ein Schnurrbart, dunkle faltige Haut und kristallblaue Augen und eine Muetze. War es vielleicht Dix? Ich muss nachsehen. Das Mannchen in seinen langen  Unterhosen, Gummigaloschen und Holzfaellerhemd kam mir nach wenigen Momenten schon so vertraut vor.Er lebe am 17.August schon vierzig Jahre hier oben, jeweils fuer acht Monate. In der Stadt lebe es sich nicht gut fuer ihn. Er haette dort einmal in den Spiegel geschaut und sein aschfahles Gesicht gesehen und begriffen, dass es fuer ihn nur die Berge gibt. Am 23. August werde er 73. Er vermisse lediglich seine Enkelchen, wovon er zehn habe.Selber habe er vier Kinder,die er mit seiner Imkerei etwas unterstuetze, so gut er koenne.Immerhin habe er vom Sommer her schon acht grosse Milcheimer verkaufen koennen zu 1200 Tenge (120.-).Er erklaerte, dass eine volle Wabe etwa vier bis fuenf Kilogramm schwer sei. In jedem Bienenkasten habe es etwa drei bis fuenf Waben. Ich fragte, ob er uns die Kasten zeigen wuerde. Sicherheitshalber gab er uns Imkerhuete und ein zusaetliches Hemd zum UEberziehen. So stapften wir durch seinen Garten und er erzaehlte zu seinen Bienen, seiner Lebenshingabe. An den Baeumen hingen kleine Holzdaecher, wo sich die Bienen, bevor sie losfliegen sich anscheinend versammeln. Ueberall von allen Richtungen surrte es. Pascha schenkte dem Mann eine Flasche Cognac, im Gegenzug erhielt er ein Kilo Honig. Ich glaube es war der beste Honig, den ich jeh hatte, und das ist wirklich wahr. Diesen Geschmack kannte ich zuvor nicht, den Geschmack des Altaj.  

Ladaferien

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 2:29 pm

Lada, das ist ein positives Wort einerseits, andererseits “das” russische Auto (nebst staedtischem Zhiguli). Ein kompakter kleiner Lada Niva, ein 4×4, stand zu unserer Reise zur Verfuegung. Pascha verspaetete sich um satte zwei Stunden, um “etwa 17Uhr” hatten wir im Office abgemacht, so dass es Diana schon unangenehm wurde. Als er gemuetlich reinkam, meinte er es sei alles bereit, wir muesste nur noch die kleine Sascha bei der Oma abholen. Der Kofferraum war voll, Pascha hatte einen immensen Rucksack und viel, viel Essen dabei. Diana fuhr noch mit bis nach Hause, dort kam uns ein kleines blondes Wesen in Unterhosen und T-Shirt entgegen und stieg auf den Beifahrersitz und begann wie ein Wasserfall zu reden – Sascha. Sascha ist drei und hat den Wortschatz einer Fuenfzigjaehrigen :).Grossmuetter haben ihren Einfluss :). Im Auto spielte sie immer die alte Marktfrau und pries mir unablaessig “gesunde Beeren und nur die besten frischesten Aepfel” an. Ich sagte zu Pascha, sie sei wie ein kleiner fixfertiger Mensch. Sascha guckte mich an und sagte “Ich wachse”. Bis jetzt ist nicht klar, ob das eine Rechtfertigung oder eine Drohung war :). Die Kleine war wie ein Radio, sie schlief ploetzlich mitten im Satz dann aber irgendwann ein. Pascha sagte am folgenden Abend, er schlafe bei Gutenachtgeschichtelesen stets ein. Wir fuhren am ersten Abend an weiten Sonnenblumenfeldern vorbei, einen schmalen schlechten Steinweg hoch und schlugen die erste Nacht die Zelte neben einem Fluesschen auf im hohen Gras. Schlafen gingen wir sehr frueh. Am naechsten Tag fuhren wir zeitig weiter und kamen nach etwa zwei Stunden zu ersten Haeuschen. Huehner gackerten nervoes dem Gock hinterher, der befehlerisch herumkraehte, Kaelber stolperten ueber den staubigen Weg. Pascha redete kurz mit einer aelteren Frau, die ihm von einer “Basika”, Basisstation (Holzhuette), erzaehlte. Wir fuhren noch etwas weiter danach und kamen zu einem kleinen umwucherten Hauschen hochgefahren, das von einem grossen Garten umsaeumt wurde, wo dreissig Bienenkasten standen. Wir stiegen aus, ich zog Sascha ihre kleinen trikolorfarbenen Schuhe an (siehe Titelbild!), und ein alter schnauzbaertiger Mann kam uns bereits entgegen.

In den Altaj

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 1:11 pm

Ziemlich schnell wollten wir herausfinden, wie wir am besten in den Altaj kommen. Wir wollten eigentlich an den Markakolsee, wohin wir aber ohne spezielle Genehmigung (propusk) nicht hindurften. Die Umgebung ist ein Naturreservat und liegt suedlich des Altajgebirges, welches dort die Grenze zu Russland, China und der Mongolei bildet. Da dies als heikles Grenzgebiet gilt, kommt man ohne offizielle Genehmigung, die man bei der Polizei einholen kann, nicht hin.
Viele Reiseanbieter fanden wir in der Stadt gar nicht mehr, so dass ich dann dem ein oder anderen zuerst kurz anrief, um nicht vergebens den Weg zu gehen.
Schliesslich landeten wir in einem modernen, schicken Reisebuero, wo uns eine russische Dame mit dunkelrotem schimmernd getoentem Haar freundlich empfing.
“Prisazhivaetes”, (Setzen Sie sich), seufzte sie laechelnd und schaute uns aufmerksam mit gefalteten Haenden an. Ich erklaerte unser Anliegen, dass wir gerne in die Berge wuerden fuer ein paar Tage, wandern, zelten und so weiter. Sie schlug uns das ‘Sanatorij’ vor beim Berg Belukha (4506m), ein Sanatorium, wo es Heilquellen gibt. Das Ganze entpuppte sich als etwas High-End Tourismus, naemlich teuer und auf Luxuserholung und Kur getrimmt, was ich, wie ich David sagte, gern nach der Pensionierung goennen wuerde, noch nicht jetzt aber. Die Genehmigung stellte auch noch ein Problem dar. Dort hinauf, waere es noch moeglich uns unbemerkt hochzuschmuggeln, doch an den Markakolsee gar nicht. Die Genehmigung beansprucht zehn Tage, so lange wollten wir nicht in Oeskemen bleiben natuerlich. Wir suchten nach Alternativen. Die Frau schlug ein dickes kleines Fotoalbum auf und blaetterte mit langen glitzernden Manicurefingernaegeln ein paar Seiten um. “Baza otdycha”, erklaerte sie (Erholungsort), “kleine Holzhauschen mit allem Comfort, die Gegend ist bezaubernd, man kann Beeren sammeln, auch reiten, fischen (aus dem Swimmingpool!), Ausfluege machen…”
Ich guckte David an, das war es eigentlich nicht, was wir wollten: Ausruhferien im kleinen Holzchalet. Dazu konnte ich mir das ueberhaupt nicht leisten. Die Dame meinte dann, was wir brauchten sei “aktivnyj turizm”, evt. Helfe uns ein anderes Unternehmen weiter und gab uns dessen Adresse. Wir dankten und sagten, wir ueberlegten es uns mit dem Sanatorium, obwohl ich mich eigentlich von der Idee schon verabschiedet hatte.
Es war siedend heiss, unterwegs gingen wir noch schnell in den seichten Fluss plantschen. Ich hatte da immer noch keine anstaendige Badehose, aber Unterwaesche tuts ja auch. Dann legten wir uns auf die schraegen Betonplaten, die den Fluss “kanalisieren” und sonnten uns mehr oder weniger trocken. “Weiterfahren, wenns nicht klappt? Oder sonst was auf eigene Faust unternehmen?” Schwierig, da in der Gegend nicht viel lief und wir sie nicht kannten. Wir kamen nur wegen des Altajs nach Oeskemen.
Gegen fuenf Uhr rafften wir uns auf und suchten das “Imperija turizma” auf, was wir dem Namen nach nicht sofort positiv beurteilten. Doch – Ueberraschung! Es war genau das, was wir von Anfang an brauchten: ein kleiner Laden mit Skiern, Camping- und Zeltausruestung, dahinter ein noch kleineres Buero. Die Frau, die uns ins Buero einlud, stellte sich als Diana vor. Sie war wie alle Mitarbeiter im Laden Russin. Als wir ihr unser Vorhaben eroeffneten, meinte sie, dass es ohne diese verflixte Bewilligung zml schwierig sei, sie aber unbedingt was fuer uns herausfinden moechte. Sie telefonierte hin und her. Die meisten “Gidy” waren selber grad unterwegs, und am naechsten Tag sollte unter dem Belukha ein Festival stattfinden, wo alle sich treffen wuerden. Dorthin koennten wir, meinte sie, mit ihr und anderen, man muesste uns da irgendwie hochschmuggeln. Nach einer Weile tauchten zwei aeltere Damen auf, die man ueberhaupt nicht mit Bergtourismus in Verbindung gebracht haette und nahmen an der beratenden Konferenz um die zwei “Shvejcarca” teil.
Diana meinte “Keine Sorge”, irgendwas finden wir ganz sicher fuer euch. Ich rufe jetzt mal meinem Mann an.”
So kam letztendlich nach zwei Stunden Lagebesprechung heraus, dass ihr Mann mit uns vier Tage in den suedwestlichen Auslaeufer des Altajs fahren koennte. Dabei sollte die kleine Tochter Sascha sein. Etwas spaeter kam Pascha ins Buero, ein braungebrannter schweigsamer Bergler, mit kritischen blauen Augen. Wir unterhielten uns eine Weile und fanden, dass vier Tage dort oben, Wandern von Basis zu Basis ganz toll waere. Wir konnten auch gleich am naechsten Tag losfahren, gegen Abend. So entschieden wir uns mit Pascha und Sascha in die “Bulanka” zu fahren, was die richtige Entscheidung war.
Einzig hatte ich zu der Zeit solche Magenbeschwerden, dass mir permanent leicht uebel war, un d am Abend konnte ich auch kaum was essen. Ich holte mir in der Apotheke ein Puelverchen, und das Grossmuetterchen schien mir unendlich dankbar, dass ich was kaufte und wuenschte mir gute Besserung. Ich hatte sie zwar eigentlich eher konsultieren wollen, um herauszufinden, wie sich die Symptome einer anbrechenden Gastritis aeussern, schliesslich beugt man besser vor J, doch das Puelverchen schien Wunder zu versprechen, und es war ein Produkt der Pharmaindustrie. Es wird schon alles gut warden, sagte ich mir, und so war es auch.

Oeskemen alias Ust’-Kamenogorsk

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 1:05 pm

Wir staunten, als wir uns mit dem Mikroavtobus einer grossen industrialisierten Stadt mit modernen Gebaeuden und breiten Strassen naeherten. Der dreieinhalbstuendige Weg dorthin war ein holpriger Steinweg, der abundzu wieder auf eine kleine Nationalstrasse einbog. Zwischen Semey und Oeskemen liegt Steppe, ein paar verschwindende Doerfer. Entlang der Strasse reiht sich in den Vororten, bzw. Doerfern, MElonenstand an MElonenstand. Kinder hocken mit Melonen und der Handwage im Strassenstaub und warten auf ein anhaltendes Auto. Ab und zu kommen wieder Pferdefuhrwerke vorbei, beladen mit Heu und oft einfach nur vielen Leuten, die von der Feldarbeit heimkommen. Am Strassenrand tauchte ab und zu ein altes sowjetschild in meist phantasievollem Design auf mit C?????????? ????! (Gute Reise). Die Bushaltestellen stammen auch noch aus der selben Zeit meistens und sind oft kompliziert mit aufwendigen nationalen Mustern, halbe Kunstwerke, die langsam ins Broeckeln geraten. Am Avtovokzal (Busbahnhof) wurden wir von einem kleinen Mann grad abgefangen, was wir dann aber gerne zuliessen, muede wie wir waren, und liessen uns ins Hotel Irtysh fahren, auf hundert Umwegen, an jedem erdenklichen Denkmal vorbei. Im Irtysh angekommen, fanden wir schnell heraus, dass der Ort total schick war und ein zml Businessbunker dazu. Die Frau an der Reception zeigte sich aber ganz hilfsbereit und telefonierte fuer uns schnell rum, um an ein guenstiges Zimmer zu kommen. So fanden wir ein Gostinitsja, ein etwas zweifelhaftes zu dem Preis, aber die guenstigste Variante. Dort gab es im Poluljuks (staendiger Begleiter) keine Dusche, auch auf dem Gang nicht.Das Ljukszimmer fuer 4000 Tenge, 40Fr. verfuegte ueber diesen Luxus. Wir konnten die nette Empfangsdame zum Kompromiss 3000 Tenge ueberzeugen. Das Zimmer sah lustig aus. Zwei Zimmer, eines ein etwas heruntergekommener Salon mit violetten golddurchwirkten Vorhaengen, einem dicken Teppich, lila Waenden und kleinem Kronleuchter. Im Buffet lag ein noch buttriges Messer und klebrige Glaeser. Im Nebenzimmer standen zwei Betten. Ein Riesending fanden wir, wir wollten doch nur Bett und Dusche. Das Gebaude war von sich aus kurios, denn es war ein Obshezhitie, ein Wohnheim, wo viele Familien wohnten. Das Zimmer war auf der dritten Etage, ein exklusiver Teil sozusagen dort drin. Neben dem Hotel war eine Bar, wo abends eine ganze Gruppe Tanzgirls vor dem Eingang stand. Wir fragten uns, ob wir aus Versehen in einem Etablissement gelandet waren, dem angeblich “guenstigsten Ort der Stadt”. Fuer drei Tage war es in Ordnung, obwohl das Kaltwasser und somit die Klospuelung aussetzte. Es begann aus der Leitung furchtbar uebelerregend zu stinken.Zum Glueck konnten wir bald raus. Die Stadt Ust-Kamenogorsk ist insgesamt nichts Besonderes. Dort fliesst mehr Geld als in Semey, da sich viel Industrie dort befindet, u.a. die Geldindustrie, Muenzdruck. Abends war schnell mal Ruhe, nicht viel los. Der Bazar war noch witzig, dort konnte ich mir endlich eine Kopftaschenlampe kaufen. Buecherlaeden fand ich keine guten, und spaerlich waren sie auch gesaeht.Essen konnte man dafuer sehr gut und fuer unsere Verhaeltnisse guenstig in einem georgischen Restaurant. Georgisches Essen, ich geb es zu, gehoert immer noch zu meinen Favoriten. Russisches Essen finde ich nur zuhause bei den Leuten gut, in den Cafes finde ich es oft ein Frust. Zuviele graue Backwaren habe ich unterwegs bekommen 🙂 und zuviel Mayonnaise. Kasachisches Essen, d.h. evt. ist es eben auch kirgisisches oder usbekisches, jeder behauptet was anderes, finde ich ganz in Ordnung, aber es besteht hauptsaechlich aus Fleisch. Doch wir sollten noch viel mehr zu kosten bekommen.

August 21, 2006

Semey alias Semipalatinsk

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 5:08 pm

“Semipalatinsk, das erinnert mich an einen halben Palatschinken”, meinte David. Soviel zur Klangseite des Wortes. Semipalatinsk war fuer uns die Ankunft an einem weissgekalkten Bahnhof mit blauen Tueren und Fensterrahmen. Wir assen im Cafe dort noch den ersten kasachischen Lagman, und ich wartete leidend auf die Toilettenoeffnung, waehrend die Femme de Service de la toilette in der Mittagspause sass, im naemlich selben Cafe wie wir :)). Irgendwann fragte ich dann mal schuechtern, wann sie denn fertig sei, ich muesste wirklich mal ganz dringend. Ich denke der Mittagskaffee konnte so verschoben werden. Danach setzten wir uns in die Marschrutka und fuhren natuerlich mal viel zu weit, weil wir nicht fragten, aber das war auch nicht schlimm. So hatten wir doch mal eine Idee von der Stadt. Im Bus meinte einer, es sei ja gut, dass ich russisch koenne, was sei aber mit meinem Freund, der werde noch Probleme kriegen hier. ICh fragte verdutzt wieso. “Naja,ist doch klar,abends vor einem HOtel in Semey, denn verpruegeln sie doch.” Na dann… Unsere Sitznachbarin mischte sich aber eifrig ein: “Na, na, na… So ein Unsinn (erunda), die Kasachen sind ein ausgesprochen gastfreundliches Volk!” Wir konnten beruhigt sein, doch beim Aussteigen meinte er doch noch “Also ich habe euch gewarnt, der wird sicher noch verhauen.” Zur Beruhigung: Niemand kruemmte David auch nur ein Haar!!! Das Einzige, was wir aus Semipalatinks davontrugen waren verdorbene Maegen, da das Essen im HOtel Irtysh, das wir dummerweise fast aufassen, entschuldigung, saumaessig schlecht war. Ichhatte mehrere Tage Probleme nach der fauligen Solyanka. Der Fluss Irtysh ist eigentlich das Schoenste dort, das Interessanteste ist der Markt. Das Dostojewskijmuseum, nach dem wir so lange suchten, entlang offenen Leitungsschaechten und Strassenbauarbeiten, war letztendlich leider zu, doch dafuer sahen wir viele Quartiere, Hauser mit blauen Fenstereinfassungen, bunte Kinderspielplaetze, lustige Baukrane und neue, neue Gesichter. Das Stadtbild ist eigentlich noch ziemlich russisch, viele staatliche Einrichtungen im Zentrum, eine grosse Haengebruecke ziert die Skyline, das Hotel Irtysh ragt aber nach wie vor erbarmungslos klotzig aus Allem hervor, und irgendwo dort drin war unser Poluljuks Zimmer (diesmal nur kaltes Wasser). Wir spazierten mal da hin mal dorthin, mal zum historischsten Punkt, wo alte Tore stehen, die wir aber glattwegs uebersahen, als wir ueber die Eisenbahnschienen liefen. Danach gingen wir richtung orthodoxe Kirche, wo  der kleine Wachwelpe im Hundehuettchen das Interessanteste und Unterhaltsamste war. Wir spazierten weiter, kamen an einer tollen dunkelroten Feuerwehrstation mit hohem Turm vorbei und roten Sternen auf den Garagentoren, sahen mehrfach grosse Nazarbaevplakate, die das Jahr 2030 als das Ziel aller kasachischen Bestrebungen verkuendeten. Propaganda in dem Stil sahen wir noch oft. Nazarbaev strahlend mit Kindern auf dem Arm, plaedierend fuer eine gute zuverlaessige Ausbildung etc. EInerseits Kitsch fuer uns, andererseits evt. wirklich Hoffnung fuer die Kasachen? Kasachstan hat sich seit dem Zusammenbruch der UdSSR gewaltig aufgerafft und viel in kurzer Zeit erreicht. Das Erdoelvorkommen beguenstigt natuerlich unheimlich, aber das Geld scheint auch sinnvoll investiert zu werden, man hat schon den Eindruck, dass sich viel tut, obwohl ich das nun sehr allgemein und plump dahersage. Was ich sagen moechte ist vielmehr, dass ich gemerkt habe, was ich selber manchmal auch fuer ein europaeisches Musterdenken habe, mit abendlaendischen Moralvorstellungen, das schnell auch zum Kaestchendenken werden kann. Das Gefuehl und v.a. die UEberzeugung, dass unsere westlichen Demokratiemuster immer das Beste sein muessen. ICh bin nach wie vor von unserer Schweizer Demokratie ueberzeugt, doch nicht davon, dass diese z.B. in Kasachstan passen wuerde. Viele Informationen, die ich ueber Nazarbaev bezogen habe, verursachen schon argwoehnisches Augenbrauenhochziehen, denn was genau laeuft da mit der Opposition? Ist sie von sich aus so schwach? Andererseits, was interessiert das das Volk, wenn es ihm gut geht? Andere Frage, wem geht es schlecht? Fuer so intensive Nachfragen hatte ich mit knapp drei Wochen in Kasachstan zu wenig Zeit, doch ich denke es war ein Anfang ueber unser westliches, manchmal nicht minder unkritisches Demokratiedenken nachzudenken. Der Markt war ein wildes Durcheinander von Gemuese frisch, gebraten, geschmort, von Fleisch, Samsa, Lagman, Ajran, Shashlyk und Bergen von Tapotschki (Plastiklatschen). Dort verirrten wir uns auf dem Weg zum Busbahnhof. Nach einigen Fragen, fanden wir heraus.Mit dem Minibus fuhren wir dann drei Stunden nach Ust-Kamenogorsk durch weite Steppe, mit einzelnen schwarzen Puenktchen, Reitern. Ab und zu fuhren wir an einem muslimischen Friedhof vorueber, an einer Reihe glitzernder Halbmoendchen. Was bleibt mir von Semey? Die dunklen Strassen nachts, stockdunkel, schwarz, die Stimme des Muezzin, die Technomusik und der erste Eindruck von Kasachstan, der dort noch ein sehr russischer war.

 

August 18, 2006

Fahrt nach Semipalatinsk

Filed under: Von Petersburg nach Turkestan — sarah @ 9:49 am

Am Nachmittag stiegen wir in den Zug nach Almaty. Der Zug war auf diesem Perron riesenhoch, wir mussten richtig in den Wagen reinklettern mit unseren Rucksäcken. Zum ersten Mal hatten wir Plätze im Coupé (separates Viererabteil), da nichts anderes mehr vorhanden war. Es kostete aber wesentlich weniger als üblicherweise ein Coupé in Russland kostet.

Nach einer Weile, wir hatten bereits die Bücher rausgenommen und lasen, kamen zwei Frauen zu uns ins Abteil. Mutter und Tochter wie sich bald herausstellte. Sie hatten beide ganz dunkles Haar, das Mädchen hatte Augen, die unglaublich unter einer scharfen Augenbrauenlinie hervorleuchteten, grün-türkis und blau. Ihr Blick kippte immer zwischen kritischer Aufmerksamkeit und heller Freude hin und her. Als sie bemerkten, dass wir nicht Russe und Zigeunerin, wie sie anfangs annahmen ; ), waren, sondern hörbar irgendein anderes Kauderwelsch sprachen, wurden sie neugierig.

Sie fanden es anscheinend ganz verrückt mit Schweizern im Zugabteil zu fahren, denn noch nie hätten sie die Gelegenheit gehabt sich mit Ausländern aus Europa zu unterhalten, wenn sie das in ihrem Dorf erzählen würden, würden die dort ihnen das kaum glauben.

Wir fanden es aber mindestens eine so schöne Begegnung wie die beiden, denn noch nie hatten wir die Gelegenheit uns mit Gastarbeiterinnen in Russland zu unterhalten, die sich gerade auf dem Heimweg befanden. Wahrscheinlich fanden sie sich so unexotisch dabei, in diesem Zug nach Kasachstan, wie wir uns : ).

Die Frau, deren Name ich nicht erfuhr, und ihre Tochter Susanna sind Türkinnen und sprechen auch türkisch, sind aber seit Geburt Bürger Kasachstans. Sie nennen die Türkei ihre Heimat, in der sie noch nie waren. Sie fuhren über die Ferien nach Hause in ihr Dorf unweit von Shymkent, im Süden Kasachstans.

Die beiden arbeiten in Novosibirsk in einem Supermarkt. Susanna ist sechzehn und kam mit vierzehn nach Russland, um ihrer Mutter zu helfen. Zwei Jahre war sie nicht zuhause. Sie würden vielmehr verdienen in Russland als in Kasachstan, sagte die Frau. Es stellte sich heraus, dass sie noch einen Sohn hat und seit einigen Jahren alleinstehend ist.

Das war der Einstieg in eine längere Erzählung: Sie selber stammt aus einer kinderreichen türkischen muslimischen Familie. Wie viele andere Frauen wurde sie auf Absprache zwischen Eltern und Bräutigam verheiratet, und nicht mit dem Mann, den sie gern hatte. In Zentralasien existierte lange, und in neuerer Form auch heute noch, der Brauch des Frauenraubs.

In ihrer Erzählung kam er etwas anders vor, dass ihr zukünftiger Mann sich das Einverständnis ihrer Mutter holte und sie nachher auf der Strasse im Auto mitnahm. Im Wagen eröffnete er ihr, dass er sie heiraten werde. Sie sass sozusagen in der Falle.

Neun Jahre sei sie verheiratet gewesen, unglücklich und unzufrieden. Sie lebte im Haus des Mannes, wo dessen Mutter und Geschwister und sonstige Familienmitglieder noch wohnten. Es sei langweilig gewesen, sagte sie, kochen, putzen für alle, immer zuhause sitzen und die Schwiegermutter ertragen, mit der sie es nicht gut gehabt habe. Vom Mann hätte sie keine Unterstützung bekommen, der Zusammenhalt in seiner Familie sei zu stark gewesen.

Irgendwann sei es unerträglich gewesen, sie habe ihre Kinder gepackt und sei zu ihrer Mutter, die sie mit Vorwürfen beworfen hätte, sie könne nicht mehr, es sei alles ihre Schuld. Die Mutter habe gesagt “Poterpi”, “erdulde es”. Sie hätte es aber nicht mehr gekonnt. Ihr Mann sei auch schon sehr unzufrieden geworden mit ihr.

Sie blieb mit ihren Kindern allein. Man verachtete sie, wie sie sagte, sogar in der eigenen Familie dafür. Ihr Bruder habe sich abgekehrt, und die Eltern rieten ihr anfangs die Kinder wegzugeben.

An der Stelle wurde die Erzählung wie auch sie sehr traurig, und ich hatte fast das Gefühl schon zuviel gehört zu haben.

“Ich habe aber Arbeit gesucht”, fuhr sie fort, “ich arbeitete als Köchin, als Hauswart und Vieles mehr, um mit den Kindern durchzukommen. Ein Bekannter riet mir in Russland zu arbeiten. So kam ich vor vier Jahren nach Novosibirsk.”

Ihr Leben scheint sich verändert zu haben in Russland. Sie sei eigentlich streng erzogen worden, Schweinefleisch, Alkohol, Schminke, lange Nägel sei alles nicht erlaubt. So wie Russinnen dürften sie sich nie geben, eigentlich fänden sie das selber auch nicht schön, so geschminkt mit gefärbtem Haar. Die Tochter rümpfte die Nase. Doch einige Sachen nehme man schon an. Im Winter auf dem Markt sei es einfach sehr kalt, im Durchzug, da trinke sie mit den anderen Frauen abundzu einen Vodka, wenn es sich ergäbe. Selber aus einem konservativeren Ort, ist sie und ihre Tochter schon sehr westlich modern gekleidet.

Ich fragte, ob sie sich umziehen müssen, bevor sie nach Hause kommen.

Sie schauten mich mit grossen Augen an: “Natürlich. Meine Güte, mein Vater würde mich verfluchen, würde er mich so sehen! Langärmlig müssen wir angezogen sein, und das Kopftuch müssen wir tragen. Sonst nennen sie uns Schlampen!”

Der Sohn, der jetzt vierzehn ist wohnt bei den Eltern, während Mutter und Schwester in Russland arbeiten. Wie denn jetzt das Verhältnis sei zwischen ihr und den Eltern und Verwandten, fragte ich. Besser sei es, sagte sie, denn sie käme für sich selber auf, verdiene viel Geld. Wahrscheinlich schämten die sich auch im Nachhinein. Was aber ein wesentliches Thema war, war die Verheiratung von Susanna. Sie müsse Geld haben, damit sich das Mädchen anständig verheiraten könne. Anscheinend kostet eine Hochzeit ein irrsinniges Geld, d.h. der Festschmuck für die Braut. Auf solche Dinge werde noch unheimlich viel Wert gelegt. Sie wolle das Mädchen aber erst verheiraten, wenn es jemanden gefunden habe, der ihr auch wirklich gefällt, auch wenn ihre eigene Mutter dränge, Susanna nun endlich zu verheiraten, sie wolle nur das Beste für das Mädchen.

Bildung fände sie auch wichtig, meinte sie, da konnte ich nur eifrig nicken, denn so dachte ich nämlich auch. Susanna schien mir nämlich als sehr intelligent, sprach sehr gut Russisch, lernte sehr gut Kasachisch und lernte auf dem Markt sogar Tadschikisch. Ob das wohl klappt mit Heirat und Weiterbildung?

Ich finde es wahnsinnig, dass sich ein Mädchen mit sechzehn bereits so langfristigen Entscheidungen wie Ehe stellen muss.

Zwischendurch kam ein Junge in unser Abteil, der mit ihnen reiste aber nicht in ihr Abteil konnte. Er guckte uns am Anfang auch ganz argwöhnisch an. Dann wollte er aber unbedingt mal unseren Schweizer Pass angucken, wir guckten dafür seinen schönen türkis Pass an. Als wir über den Ob fuhren, begann er plötzlich wild zu fuchteln an. “Hier beliefere ich die Schiffe mit Gemüse und Obst! Hier ist meine Arbeitsstelle. Ach, das ist der schönste Platz in Novosibirsk!” Das war ein Moment, der mich sehr rührte, jemanden so begeistert und stolz von seiner Arbeit reden zu hören. Sie sagten, sie arbeiten sehr gerne in Novosibirsk. Es sei sehr angenehm. Es störe sie auch nicht, dass es acht Monate kalt sei.

Irgendwann fuhr ein Speisewägelchen über den Zuggang, der mit türkis Teppich ausgelegt war. Der Junge bestellte ein Wasser und heulte vor Freude wieder auf, als er das heimatlicher Wasser aus seiner Region erkannte.

Die Gespräche und Ereignisse dauerten immer eine Weile, so dass ich David immer alles etwas später übersetzte. Er las in der Zwischenzeit den Indienroman Shantaram.

Ich konnte lange nicht einschlafen, schrieb irgendwie noch halb im Dunkeln, halb im Flur, wartete darauf, dass das Klo aufmachte, welches immer geschlossen wird kurz vor Bahnhofankunft und das oft gut 40 Minuten bleibt. So etwa in Barnaul.

Der Zug fuhr langsam, ruckelnd, mit rhythmischem taram-taram, welches ich mit Davids Handy aufgenommen habe. Evt. stelle ich das mal mit anderen Lebenssoundtracks auf den Blog ; ), eine Sound gallery.

Am frühen Morgen waren wir an der Grenze, wo der Zug lange stand. Es dauerte lange, bis unser Wagen untersucht wurde. Ich musste die Sitzfläche aufziehen und unser Gepäck zeigen, durchsucht wurde es aber nicht.

Im Zugabteil neben uns wurde eine Unruhe laut. Die russische Zollbeamtin war bereits hörbar. Es handelte sich um Kirgisen, die keine Migrationskarte besassen.

Offensichtlich handelte es sich um Schwarzarbeiter, sie mussten eine Busse bezahlen schlussendlich nach langem Hin-und-Her. Die Frau in unserem Abteil und Susanna hatten auch keine Migrationskarte, Susanna hatte auch noch keinen eigenen Pass. Sie bekamen eine Verwarnung, dabei blieb es zum Glück. Bei wiederholtem Kartenverlust könne es zur Verweigerung der Einreise kommen.

Susanna und ihre Mutter, so begriff ich, arbeiten wie viele schwarz in Russland, sind beide von einer Armenierin angestellt und wohnen zur Untermiete bei einer älteren Russin.

Der Morgen brach an. Wir rollten ins Steppenland, wo plötzlich gar keine Birken mehr zu sehen waren, die Sträucher immer rarer wurden, teilweise noch Kornfelder aufglänzten. Ich sagte David, dass es schön wäre durch dieses Steppenland zu reiten.

Fünf Minuten später schreit er nach mir! Aus dem anderen Zugfenster sieht man einen Mann auf einem Pferd in sprengendem Galopp Jungpferde vor sich treibend.

Ich machte einen Luftsprung und muss grad unglaublich gequitscht haben vor Aufregung, denn der junge Türke meinte, wir sollten doch unbedingt zu ihm zu Besuch kommen nach Shymkent, sie hätten auch ein Pferd, und oh, es sei so schön dort zu reiten! Alle lachten über den gutgemeinten Vorschlag. Es kam zum Fotoalbum, bzw. Tausenden losen Fotos… Viele von Sylvester in Novosibirsk, Susanna mit den Neffen von dem Jungen, dessen Schwester und Familie. Der Junge war eines von zehn Kindern, der Vater musste anhand des Bildes über siebzig schon sein. Er war weisshaarig und trug ein schwarzes Samtkäppchen.

Die Frau schenkte mir eine Foto von Susanna, worauf ich ihr ein etwas einfalloses Passfoto von mir schenkte. Sie gab mir noch ihre Adresse an, so kann ich ihr aus der entlegenen Schweiz einmal einen Brief mit Fotos schicken. Ich muss nur noch irgendwie den Postindex herausfinden von ihrem Dörfchen, den hatte sie vergessen. Dazu schenkte sie uns Gurken und Ghurt (wenn richtig geschrieben), getrockneten, gesalzenen Käse, der zu einer Kugel geformt ist und ein Jahrhundert haltbar ist. Nomadenkost für die Satteltasche ; ). Immer wieder kamen Leute ins Abteil, die Wechsel anboten “Tenge, Tenge”.

Ich lernte schön brav “rahmet”, danke, auf kasachisch und Elementares wie Su und Nan (Wasser und Brot), für den Notfall ; ), wobei hier alle Russisch sprechen natürlich. Nach Mittag rollten wir in den Semipalatinsker Bahnhof ein, wo wir uns verabschiedeten von den beiden und ihnen alles Gute wünschten für die noch lange Heimreise.

So standen wir in der Mittagshitze umringt von Ankömmlingen, fröhlichen Abholern am einfachen blauweissen Bahnhof. Die dominanten Farben in Kasachstan übrigens: Blau und Weiss. Der Himmel ist blau, der Steppenboden weiss. Die Häuser sind kalkig weiss, die Fensterrahmen tiefblau. Die Barrieren sind sogar blauweiss, die Geländer sind überall blau, auch fast jede Art von Gitter.

Manchmal wird diese Farbharmonie auch noch mit dem lautlosen Flug eines Falken unter stahlblauen Himmel vollendet. Ich schaue die Landesflagge an und staune darüber, wie ähnlich die Zeichen gewählt wurden. Es waren die ersten Dinge, die ich von Kasachstan sah: die Landesflagge und das weite Land angrenzend an noch weiteren blauen Himmel.

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